Kring 01, 05. Kapitel, Seite 36

 

 
   
 

 


Durch weit geöffnetes Fenster schallte zunehmender Vielgesang längst erwachter Vögel. Angenehm und beruhigend zwitscherten ihre verschiedenen Stimmen. Nur leider mischten auch Tauben darein. Deren dumpfes Gegurre klingt doch gar zu eintönig. Elend viele dieser fliegenden Stadtratten trieben zwischenzeitlich ihr hässliches Wesen. Turmfalken oder ähnliche Jäger finden in heutigen Städten kaum Nistmöglichkeiten, fänden aber ausreichend Fraß für ihre Jungen: Fette, vollgefressene, lästige Krachtauben!

Seit meinem Erwachen verstrichen fast volle zwei Stunden. Heute unbedingt nötig. Gehabte Träume, teilweise furchterregende Fiebergebilde und überwundene kurze Krankheit saßen noch fühlbar in allen Gliedern. Nachlassende Mattigkeit kroch aus Knochen. Außerdem ohnehin erst viertel vor Sieben. So früh aufstehen oder wachliegen ist mir ausgesprochen ungewohnt, kommt nur vor, wenn unabweisbare Umstände keinen anderen Ausweg lassen.

Über Ereignisse vergangener Tage einerseits sehr beunruhigt, stand andererseits fest, vieles entsprach durchaus Wirklichkeit, was bis zum Rand geistigen Selbstvertrauens trieb. Wenn auch Wirklichkeit, bislang nicht im Traum für tatsächlich gehalten. Abgesehen davon, harrte allzu vieles endgültiger Erklärung. Und jene mich verstärkt heimsuchenden Träume brachten keine Ruhe ins Gemüt. Selbstverständlich hatte ich auch schon früher Alpträume. Wer denn nicht? Aber diese besaßen eher Eigenschaften wohlig gruseliger Unterhaltungsfilme. Und so was mochte ich eher, als dass es mir unheimlich vorkam.

Nunmehr zeigten dergestalte Träume zumindest teilweise Wirklichkeitskräfte nie erlebter Ausmaße. Sicher, manchmal begegneten mir unbekannte Menschen im Traum. Nie vorher gesehen, tauchten sie eines Tages unerwartet in meinem Leben auf. Meist Verkettungen damit verbunden, wodurch Veränderungen folgten. Nicht ganz unerhebliche. Aber in letzten Tagen häufte das in beunruhigendem Umfang. Sämtliche Ereignisse schienen vielmehr Umwälzungen, denn bloße Wende.

Letzteres tauchte ohnehin von Zeit zu Zeit beständig ins Bewusstsein. Selten jedoch mit solcher Wucht, wie gehabt. Hätte mir früher jemand derlei erzählt, wähnte ich vielmehr übertriebene Vorstellungsgabe und verkniff insgeheim breites Grinsen. Teilweise muteten die Geschehnisse ja auch unfreiwillig komisch an. Aber in Lebensgefahr geraten, findet wohl keiner mehr sehr lustig. Zumal niederfahrender Blitz vorgestern Abend kaum gewöhnlicher dummer Zufall, sondern gezielter Mordanschlag. Wem er auch immer galt, mir oder der bekannten Unbekannten, ich war darin verstrickt, ob es mir nun passte oder nicht. Und es passte mir ganz und gar nicht. - Gottverdammich!

Verdrossen verließ ich meinen Schlafraum. Es sah darin aus wie auf einem Schlachtfeld. Alle abgezogene Bettwäsche, am Vortag vom Fieberschweiß durchtränkt, lag im Zimmer verteilt herum. Kümmerpflanzen wirkten noch verkümmerter und kränklicher als sonst. Jetzt erst recht. Alle Klamotten achtlos irgendwo hingeworfen, darunter und dazwischen. - Saustall! - Sorgsam ich schloss die Tür, sperrte wüste Trübsal weg.

Reichlich kühl in der Dusche. Duschwasser einige Minuten auf voller Hitze laufen lassen, den Raum anwärmen. Nicht gerade umweltfreundlich, aber mir im Augenblick völlig schnurz. Brausendes Wasser spülte anhaftenden Schweißsalze von der Haut. Trockengerubbelt fühlte ich mich wesentlich wohler. - Zum Henker mit dem ganzen Quatsch! Erst mal gut frühstücken, Kaffee schlürfen und dann weitersehen.

Natürlich! In ganzer Breite stand das Küchenfenster sperrangelweit offen. Verdammte Bude völlig ausgekühlt. - Schnell schließen, Gasbackofen an, Brötchen aufbacken, Kaffeemaschine in Gang und warmes englisches Frühstück machen. Solches brachte immer die guten Geister wieder zurück.

Viertel nach acht erst, als ich schon mit letzter Tasse Kaffee dasaß. Mir fiel ein, gestern riss Telefonklingel aus mordendem Alpdruck. Gerade noch rechtzeitig, bevor des Nachtmahrgesetzes Arme griffen. - Ah ja, Ziffernanzeige des Anrufbeantworters erinnerte schrilles Ereignis. Anscheinend hinterlassene Nachricht. Hoffentlich nicht bloß wieder ewig bescheuertes "Schnauf - klack".

Nein. Männliche Stimme verkündete: "Guten Tag! Bitte rufen sie baldmöglichst die Nummer dreizehn zwanzig dreiundsechzig an. Danke!"

Keinen Namen! - Ich hasse dämliche Ziffernfolgen anrufen. Was denken diese Quatschköpfe eigentlich? Heißt der Kerl Dreizehnzwanzigdreiundsechzig oder was? Nicht mal mein strohdummer Anrufbeantworter meldet bloß Rufzahlen. Soviel Höflichkeit ist man anderen doch mindestens schuldig. - Einfach ungehobelt und asozial! - Gewöhnlich wird vor neun Uhr niemand von mir angeläutet. Geht meist auch gar nicht, weil ich um diese Tageszeit erst allmählich ins blasse Leben tauche. Aber hier kurz entschlossen zum Gerät gegriffen und rachelüstern '132063' gewählt.

"Düüüt! - Düüüt!" klangen langgezogen zwei Ruftöne. Hoffentlich ist der kein ekliger Frühaufsteher wie ich heute. "Düüüt! - Düüüt!" zwei weitere. Genüsslich malte ich mir dessen Qualen aus, mit denen er im Bett rumwälzt. Es sei denn, er ist so unverschämt wie ich oft und stellte seine Telefonklingel ab. "Düüüt! - Düüüt!" erscholl wieder. Anrufbeantworter besaß der Dösel wohl nicht oder vergaß ihn anzustellen. Das Ding wäre sonst bestimmt schon angesprungen. Vielleicht scheuche ich den Menschen vom Klo oder aus der Dusche oder störe beim 'Morgenvergnügen', allein oder mit Freundin oder sonst was? - Wundervoll!

"Düüüt! - Dü...!" Letzter Ton brach ab. Geschrappel durch die Leitung, dann erklang völlig verschlafene matte Stimme: "Ja, bitte? Anschluss Dreizehnzwanzigdreiundsechzig hier!"


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