"Hallo Helga-Helga! Ich bin's, Runardt. Danke für die Einladung. Ich komme gerne. An welche Uhrzeit hattest du denn gedacht?"
"Oooch", singsangelte sie. "So gegen acht heut Abend, dachte ich. Ist doch auch für dich immer so die angebrachte Sitzungszeit."
"Schon, Helgachen. Aber du weißt ja, je später der Abend, desto besser die Geister."
"Ja sicher, mein Lieber! Aber ein bisschen gemütliches Beisammensein...?"
Alles klar, ich verstand. "Gut, meine Liebe, dann tauche ich zu zwanzig Uhr bei dir vorbei."
Sie vermerkte das mit gurrendem Geräusch, Ausdruck tiefer Befriedigung bei ihr. "Tschüißi!" - Ja wirklich: Tschüißi! - Ende des Gesprächs.
Verbleibende Zeit nutzte ich für einige Einkäufe und wenige Aufräumarbeiten. Inzwischen fast vier Uhr nachmittags. Nichts störte erwartungsvolles Gemüt, schlürfte unterwegs Stehkaffee, lümmelte auf einer Bank in die Sonne und ließ alle Götter liebe Leute sein. Mich erstaunte so viel Gelassenheit angesichts geschehenen Durcheinanders, führte es aber darauf zurück, mein innerer Freund dränge erst einmal unzuträgliche Umstände weg. Dennoch stifteten verschiedene Gedanken anhaltende Verwirrung. Schließlich machte ich mich auf den Weg zur Séance.
Gehüllt in sommerlich durchsichtiges Gewand öffnete Helga-Helga ihre Wohnungstür. Oberflächlich gesehen, züchtig bodenlang fließend, genauer besehen, gewährten duftige Stoffbahnen höchst aufregende Einblicke. Das kann man ordinär finden. Doch was soll es? Bei ihrer Figur durfte sie dergestalten Aufzug gern machen, zudem auf ihre Art eine wunderbare Frau und Freundin. - Entspannend.
"Hallo!" Küsschen, Küsschen. Rechts und links und in die Mitte.
"Komm herein, mein Besuch ist auch schon da. Er heißt Klaudius."
"Vorname oder Nachname?" fragte ich.
"Vorname!" stellte sie bestimmend klar.
Pfffff, Klaudius! Wird sicherlich 'Claudius' geschrieben. Was manche Eltern für schrullig unpassende Namen heraussuchen? Bestimmt katholisch. Papisten! Möglicherweise Anthroposophen. Sebastian oder Nikolaus sind vergleichbare Absonderlichkeiten. Hätten doch wenigstens die französische Ausführung 'Claude' wählen können, das wirkt dann zumindest nicht dermaßen aufgeblasen. Ich gebe ja gerne zu, die deutsche Nennart 'Klaus' klingt ausgesprochen prolo und stellt elterlicher Reife Armutszeugnis aus. Außerdem, wer ist schon glücklich mit Vornamen einst langweilig schwäbelnden Außenministers, mittlerweile verflossen? Letztere Unart wäre noch einigermaßen erträglich. Gipfel des Unmenschentums kam mir einmal mit 'Hesekiel' unter. - Bibelnamen: Geschmacklos, grässlich!
Solche Vorgabe und Helga-Helgas erstaunlich sparsames Lächeln warnten seltsam, dieser Abend genüge wahrscheinlich kaum meinen Erwartungen. Und schon erst recht nicht den Wünschen der Gastgeberin. Unversehens landeten wir in einer saublöden Geschichte, wie sie eben nur uns und hier und jetzt widerfahren konnte.
Dummerweise hatte sie einen Freund. Helga-Helga hingen stets irgendwelche Verhältnisse am Halse, mindestens eines. Nichts neues für mich. Sie brauchte das für ihre Gesundheit. Aber ihre derzeitige Hauptflamme besaß abstoßende Eigenschaften, tauchte immer dann auf, wenn am wenigsten vonnöten oder gefragt. - So folgend.
In linke Sofaecke gequetscht saß Claudius als farbloser Fleck, etwas verloren und unsicher. Verschüchtert wirkender grauer Mäuserich, etwa dreißig Jahre alt. Wenigstens keine unangenehme Ausstrahlung, eigentlich herzlich wenig sogar. Seine Mutter musste ihm als Kind übermächtig gewesen sein und auch jetzt noch. Zumindest mein Mitleid sehr sachte geweckt.
Gerade einander vorgestellt, klingelte es an der Wohnungstür Sturm. Hereinspaziert kam Baldwin, besagte Hauptflamme Helga-Helgas. Baldwin! Auch so ein doofer Name. Seine Eltern müssen nicht ganz echt gewesen sein. Warum nicht gleich Archibald? Oder Balduin das Nachtgespenst? - Er guckte uns entgeistert an. Anscheinend keine blasse Ahnung, was hier ablaufen sollte. War ja auch nicht eingeladen. Wohlweislich nicht. Wir reichlich genervt. Helga und ich verbargen es nur unvollkommen. Claudius hingegen, blieb als graue Maus sowieso unbemerkbar.
"Deine Aura ist heute aber ziemlich beschissen", stellte Helga an Baldwin gewandt unverblümt fest.
"Hähhöhm Hmpf!" mein Verlauten. Allen Ärgers zum Trotz musste ich lachen, was einigermaßen blind geklungen haben mag, weil just unterdrückt sein sollte und darum vorheriges Gegurgel entfloh.
"Ich habe Probleme", warf Baldwin in die Kampfrunde, Unverständnisgesicht aufsetzend. Wie kann man nur wagen, teilweise minderbekleidet genervt herumhocken, wenn er Probleme habe?
Baldwin war ein Musterbeispiel an Anpassungsfähigkeit. Verhältnismäßig groß, etwa einsfünfundachtzig und blond. Vor etlichen Jahren Punk gewesen, jedoch aus beruflichen Gründen gewandelt, wie er sagte. Jetzt sieht er einem Spätpopper zum Verwechseln ähnlich. Entsprechend äußerlicher Erscheinungsweise wechselte er eben leider auch innerlich. Na ja, Punk oder Popper, fängt beides mit 'P' an. So ungefähr schien mir seine Ansicht manchmal. Dabei blieb er aber noch einigermaßen erträglich.