Kring 01, 08. Kapitel, Seite 62

 

 
   
 

 


Diese fangende Stille! - Ungewohnt drängte ihre Ruhe, flutete in alle Glieder, nahm Besitz von Gedanken, klärte ungefragt den Geist. Selbst in vorher durchschrittener Schlucht war derartige Stille so nicht vorhanden. Tropfendes Wasser, krabbelnde Kleintiere, leichtflatternde Vogelschatten, ab und zu sachter Lufthauch begleiteten dort Drams Wanderweg. Freilich, im Gegensatz zu jenem Land, vor Nacht und Tag verlassen, erschuf die Enge des tief eingeschnittenen Passweges eine besondere, beschauliche Welt.

Überdrüssig unergründlicher Aufgeregtheit quirlenden Lebens seiner Heimat ging er von Zuhause fort. - Fort in Richtung, welche niemand aus all den Orten gehen mochte, sogar davor zurückscheute. Aldram hieß er dort. Hier, wo alles aufs Wichtigste gekürzt schien oder zwangsläufig wird, wusste er, sein Name sei nun Dram. Er verließ auch Irmen, seine Frau, ihre gemeinsame Tochter von nun fünfzehn Jahren und den ein Jahr jüngeren Sohn. Nein, nicht weggeschlichen, heimlich davongelaufen. Eine wehmütige lange Nacht verbrachten sie alle vier miteinander, nachdem er mitteilte, für ihn habe andere Zeit begonnen und er könne nicht bleiben.

Irmen kannte er seit Kindertagen. Und Irmen kannte ihn gut. Sie wusste um sein Anderssein, ahnte, er werde eines Tages alles zurücklassen wollen, müssen. Auch sie! Hoffte allerdings, der Tag käme nie. Dennoch angebrochen, unersehnt von ihr. Sie und ihre Kinder würden keine Not leiden. Haus und Hof bestens bestellt, Tochter und Sohn frühzeitig in Kunst des Messerschmiedens eingeführt. Diese Kunst war gefragt und nützlich. Beide beherrschten sie fast gleich gut wie er. Und Irmen blieb weitum unerreicht in Fertigkeit, schönste Messerscheiden und -griffe herzustellen. Ohne diese wären auch Drams hervorragende Messer und Dolche nur halb so begehrt geworden.

Am Morgen nach der Abschiedsnacht, alle schliefen weiterhin fest, begann er seine unausweichliche Wanderung. Noch Aldram genannt. Das Drängen, welches ihn dazu trieb, war ihm nicht ohne weiteres erklärbar. Gänzlich unbestimmtes Drängen, entquollen verflossenen Jahren, vielfachem Fühlen, es müsse doch mehr und anderes geben. Nicht nur diese ,kleine' Welt, worin er sich fast schon stumpfsinnig verfangen glaubte.

Siebenunddreißig Jahre blickten zurück, bevor er am werdenden Abend ins Felsentor des Passweges eintrat. Zwischen hoch aufragende Felsen fiel rasch Dunkelheit. Dram suchte bedacht einen Schlafplatz für kommende Nacht. Hinter einem großen Felsen, offenbar vor undenklichen Zeiten in die Schlucht gestürzt, entdeckte er genügend weich bemoosten trockenen Ort.

Nachdem er von seiner Wegzehrung aß, wickelte er sich in weite wärmende Decke, von Irmen unlängst bei einem Tuchhändler erstanden. Eigentlich unnötiger Kauf. Irmen meinte nur, eine so schöne und warme Decke sei immer von Nutzen. Als ob sie Drams nahe Zeit der Wandlung unbewusst geahnt. Vertrauend auf eigene Innerung, dem Rascheln und Flüstern dieser Nacht überlassen. Hoch oben auf Schluchtfelsen angesessen, bewachte eine große Eule seinen Schlaf.

Später als gewohnt weckte Frühlicht. Zum Grund des Einschnittes drangen Sonnenstrahlen ohnehin nie. Klamm von aufgestiegener Bodenfeuchte und Niederschlag des Taues erwachte Dram, fror aber nicht. Die Decke wärmte ausgezeichnet. Irmens Wahl erwies ihren Wert. Erst als er aus ihrem Schutz aufstand, wurde Morgenkühle deutlich spürbar. Dram wusch Gesicht, Hände und nackten Oberkörper, trank Wasser aus dem kleinem Rinnsal, das von hohen Felsen sachte herabplätscherte, aß vom Mitgebrachten, packte sein Bündel und beschritt den Weg in die Schlucht. In östliche Richtung hinstreckte der Pass. - Dem Morgen entgegen.

Keineswegs unbeschwerlicher Weg. Viele Unebenheiten, herabgefallenes Gestrüpp oder abgestürzte Steinblöcke wollten überwunden werden. Auch erwies der Laufgrund reichlich glitschige Stellen, mangels trocknender Sonnenstrahlen. Häufige Windungen und Ecken des oft schmalen Passes erlaubten vielfach keinen Überblick anschließender Strecke. Zuweilen fast rechtwinklige Richtungswechsel zur einen oder anderen Seite. Mittlerweile an Sonnenarmut gewöhnte Pflanzen reckten feuchtkühl sperrend in den Weg, meist verschiedene Farne. Gluckernde Quellen, häufig hoch oben aus Felsen entsprungen, bildeten Teiche am Grund, liefen in unbekannte Tiefen ab, versorgten alles und jedes mit reichlich Nässe.

Dram wanderte unaufhörlich, verfolgt von aufmerksamen Augen hier lebender Tiere. Deren Zuhause! Meist Wasserwesen und kleine Nager. Aber auch Vögel, Nester im herabhängenden Bewuchs ragender Felswände versteckt. Sie umflogen neugierig, hielten ihn dann wohl für gefahrlos, wechselten einander von Wegteil zu Wegteil und Nest zu Nest ab.

Längst später Mittag, als Dram rund einstündige Rast einlegte. Scheulos umhüpfte eine Elster den Ort, hoffte auf Anteil am einfachen Imbiss. Dram warf ihr einige Brotbrocken zu. Flink aufgepickt. Dann entdeckte die Elster anscheinend schmackhaftere Seiten an Würmern und Schnecken. Eilig verzehrte sie diese, hockte danach ganz in der Nähe zur Ruhe hin, ließ ihn jedoch nicht aus den Augen. Als er wieder aufbrach, flog sie voraus, verschwand in Biegungen, Ecken und Winkeln schmaler Wegschlucht, tauchte aber immer wieder auf, begleitete seine Wanderung bis zum hereinbrechenden Abend.

Dram musste allmählich erneut nach geeignetem Nachtlager schauen. Keine annehmlichen Möglichkeiten, wo er gerade anlangte. Alle besehenen Plätze wiesen zu hohe Feuchte auf oder patschten sogar sumpfig nass unter prüfenden Sohlen. Die Elster hüpfte um ihn herum, flog auf und entschwand hinter nächster Biegung. Nahe traten Felswände dort zusammen. Dram folgte ihr. Er musste sowieso weitersuchen, einigermaßen trockenen Schlafort finden.


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