Kring 01, 07. Kapitel, Seite 56

 

 
   
 

 


Unvermittelt rannte Bibo los. Seine gewaltigen Adlerkrallen warfen den allgegenwärtigen Sand hoch, feinere Teile blieben vorerst schweben. Zielgerichtet raste der bunte Riesenvogel auf die erwartungsvolle Familie zu. Bibos Geschwindigkeit steigerte unglaublich. Und je näher, desto mehr änderte dessen Erscheinungsbild.

Ein Raubstrauß jagte in wilder Fahrt heran! Muskulöse Beine trommelten übers sandige Pflaster, bleiche Staubfahne hinterdrein. Die Lage kippte ins Bedrohliche. Der Vater wollte schützend vor Frau, Kind und Kinderwagen. Gelang nicht ganz.

Seitlich überrannte ihn der riesige Raubstrauß. Harter Aufprall schleuderte vorbildlichen Familienvater wohl vier Meter in meine Richtung, kopfvoran gegen steinernen Bankunterbau, rammte mit dumpfem Geräusch dagegen. Bewusstlos oder benommen blieb er liegen. Die perlzahnige Mutter riss den Kinderwagen nach hinten. Doch die ,Bank' stand im Wege, stoppte den Rettungsversuch. Langsam erst kippte das Gefährt samt schrecklich schreiendem Kleinkindinhalt, dann krachte es zur Seite. Staubwolke wirbelte.

Krallenbewehrtes Raubstraußbein zeigte doppeltes Wesen, stampfte mit einem einzigen heftigen Hieb die schöne Mutter zu Boden. Ihr Leib klaffte aufgeschlitzt, Blut spritzte dickflüssig, Eingeweide quollen zäh. Gleichzeitig schnellte scharfer Schnabel blitzartig vor, bohrte mitten ins entsetzt gelähmte kleine Mädchen, riss kreischendes Bündel aufgespießt aufwärts. Dort hing es, gepfählt auf tödlicher Waffe, zappelte und zuckte im Todeskampf. Der bunt gefiederte Räuber schleuderte seine jungfleischige Beute mit schüttelnder Kopfbewegung herunter.

Kleiner Körper klatschte zu Boden, lag reglos. Mit unglaublich schnellen Hackbewegungen begann das Ungeheuer seinen Fraß, schlang gierig Fleischstück um Fleischstück, zerstückelte innerhalb Augenblicke, was drei Jahre Leben wachsen ließ, schlürfte einwärts, was riesiger Schnabel fasste, zerschnitt.

Laut schreiend lag das zweiwöchige Kleinkind quer neben dem ohnmächtigen Vater bei der Mordbank, hergekollert vom Schwung umstürzenden Wagens. Ich wollte es aufheben, retten, wagte aus trügerisch ungenügendem Schutz vor die Bank.

Das grässliche Federwesen merkte sofort auf, hielt inne, starrte her, drehte. Eine im aufgerissenen Mutterleib fortwährend verkrallte Beinklaue zerrte zerrissene Eingeweide heraus. Es ließ vom zerhackt blutigen Kinderfleischklumpen ab, tappte drohend näher, wollte ganzen Raub. Dies zarte kleine Ding, ihm nichts als zusätzlicher saftiger Happen, willkommener Nachtisch, Pudding, Götterspeise.

In bebenden Händen den Säugling, wagte ich keine neue Bewegung. Noch zwei Schritte trennten. Wider alles Gefühl schleuderte ich dem Mordvogel das Kind entgegen, schnellte herum, stürzte zum rückwärtigen Haus, besessen von schmaler Hoffnung auf unverschlossene Tür.

Nicht versperrt! Verzweifelter Sprung ins Innere. Panisch Türblatt mit aller Kraft in den Rahmen geschlagen. Verrammeln! Kein Schlüssel, kein Schloss, nur schwacher Riegel, mit Bangen in Sperrschlaufe geschoben. Vorerst gerettet! - Zu welchem Preis? Grauen vor mir selbst. Was hätte ich sonst tun sollen? Sterben als wohlfeiler Fraß des Vogels? - Nein, nein, nein! Und jeden Augenblick kann das Biest durchbrechen, mich niedermachen. Weg hier!

Mehr Sicherheit ließen obere Stockwerke hoffen. Drei Treppen weit hochgehastet. - Ende! Weiter aufwärts ging nicht. Mehrere Türen führten ab. Eine unverschlossen. Staubige Wohnung dahinter. Mit Sperrmüllmöbeln versehener Wohnraum folgte. Drückende Ruhe und von blinden Fensterscheiben gedämpftes Tageslicht umfingen stumm. Wieder vollkommen ins bloße Jetztsein geglitten, fiel eben erlebter Schrecken ab. Ich sah mich um.

Ein löchriges, dick staubüberzogenes Sofa mit Troddelbiesen wirkte zwar nicht einladend, doch ich wollte jetzt unbedingt erst einmal sitzen. Mit einigem Ekel darauf nieder, vorsichtig bedacht, damit dieser widerwärtige Staub nicht aufwirbelte.

Der Wohnraum wirkte erstickend. Alles darin strahlte kriechende Modrigkeit ab, sogar dessen Wände. Dabei konnte dieses Gebäude nicht übermäßig alt sein. Dafür sprachen ,modern' anmutende Bauweise, Zimmerhöhe und Fenster. Dennoch schien Zeit hier drin ,älter' als mein Gefühl dafür zuließ. Unbewohntheit kennzeichnete jedes Teil. Auch das gesamte Gebäude drückte diese fremde Eigenschaft aus. Bewohner, welche einstmals darin Leben gestalteten, schienen im wahrsten Sinne des Wortes ausgestorben. Entschwunden in Schlünde dieser ,alten' Zeit, abgeschieden von ihrer ehemaligen Weltenebene. Möglicherweise weiterdauernd in gesonderten Daseinsräumen. Deren Wandlung?

Trotzdem bestand unabweisbares Empfinden, vergangene Rauminhaber könnten jederzeit zurückkehren. Sie würden unangenehm Fragen stellen, was ich hier drin suche? Vermuten sicherlich, ich sei zum Stehlen eingebrochen, schaue nach lohnenden Dingen. Freundliche Überraschung dürfte keineswegs herrschen. Eher tätlicher Angriff und Überstellung an örtliche Ordnungsmacht. - Bestenfalls! Sollten glückliche Umstände dafür sorgen, dass sie nicht allzu übellaunig, würden sie mich aber bestimmt vereinter Kräfte hinausbefördern. Obwohl: Stehlen konnte man hier nichts! Nicht einmal etwas wirklich Brauchbares erreichte meine Augen. Alles angerottet, eben Sperrmüll.


Alle Rechte vorbehalten
Mannie Manie © 1996-2000
Unentgeltliche Weitergabe erlaubt!

 

weiterblättern: