Kring 01, 02. Kapitel, Seite 15

 

 
   
 

 


Im selben Augenblick raste etwas mit unbändiger Gewalt über uns hinweg, in Fahrtrichtung, zurück und wieder zum vorderen Wagenkopf. Dumpfer Schlag erschütterte gesamte Bahn. Menschen schrieen, Gegenstände flogen herum, klatschten irgendwo gegen, polterten herunter.

Stockdunkel! Und die Bahn jagte weiter durch Tunnel.

Trüb flimmerte düstere Notbeleuchtung. Zusammengekrallt lagen wir auf schmutzigem Boden des U-Bahnwagens. Als erstes erschien das erschrockene und besorgte Gesicht des Unbekannten vor meinen Augen. Mit kräftigem Griff hielt er mich an Schultern fest, bereit, erneuten Angriff von mir zu unterbinden.

Irrtum erkannt, drückte ich linke Wange auf dessen Hand, keuchte halblaut: "Entschuldige bitte! Bitte!"

"Ist schon gut. Alles klar", nickte er.

Eben noch wollte ich ihn eiskalt töten. Nur Bruchteil eines Augenblickes verhinderte, dass ich dessen Augäpfel herausriss. - Gütiger Himmel! - Er bewahrte mich wahrscheinlich vor größtem Schaden oder mehr, rettete womöglich mein Leben, gab Schutz mit eigenem Körper. Wir lösten uns, standen auf, versuchten Überblick in schummriger Notbeleuchtung.

Anscheinend kein Strom mehr da. Räder klackerten eisern antriebslos über Schienen. Eigenschwung ließ die Wagen weiterhin vorwärts poltern. Auch im Tunnel leuchtete kein einziges Licht durch jetzt schwarze Fenster. - Wieso polterte es auf diesen Schienen so? Das U-Bahnnetz besitzt doch keine derart alten Gleise mehr, wodurch kennzeichnendes "kalack-kalack, kalack-kalack, kalack-kalack" auftreten konnte. - Eigenartig!

Statt sattsam bekanntem Teergeruch in Tunnelstrecken, wehte muffiger Hauch durch offene Fensteroberlichter. Fahrgeschwindigkeit verlangsamte nach und nach merklich. Allen saß gewaltiger Schrecken in Knochen. Schlecht unterdrückt erklang vom hinteren Wagenteil krankhaftes Gelächter. Andere Leute stöhnten. Es muss Verletzte gegeben haben. Die jungen Leute im Vorderteil redeten aufgeregt durcheinander. Mädchenstimme wimmerte.

"Ich hab meine Tasche verloren. Kann mir bitte wer beim Suchen helfen?" klang es von der gelb- und ockerfarbenen Frau. Sie lag verdreht im grieseligen Schmutz vor ihrer Sitzbank. Heruntergeschleudert. "O Gott! Mein Kopf!" jammerte sie, offenbar unglücklich gestürzt.

Einer der jungen Leute, anscheinend die 'Glatze', beugte zu ihr herunter. "Die blutet! Hier müssen doch irgendwo Erstehilfekästen sein. Weiß jemand wo die sind?"

"Wahrscheinlich beim Führerstand vorn oder hinten", antwortete nicht ortbare Stimme.

Durch Fenster schimmerte zunehmendes blasses Licht, worin jetzt ausrollende Bahn hineinfuhr. Der nächste U-Bahnhof. - Endlich! - Und tatsächlich fuhren wir in einen Bahnsteig, ungenügend erhellt vom bleich kläglichen Leuchten. Immerhin etwas heller als düstere Notlampen im Wagen. Mit letztem Eigenschwung rollte der Zug aus, blieb auf halber Höhe des Bahnsteigs stehen.

Normalerweise gehen jetzt die Türen auf. Doch nichts. Geht auch nicht ohne Strom. Mein fremder Freund und ich tappten zur nächsten Tür, zogen daran. - Wesentlich schwieriger als vermutet. Erst nach mehreren kräftigen Rucken gab sie seufzend nach. Wir traten auf den Bahnsteig, schauten nach Notmeldern. Durchdringend gewordener muffiger Geruch. Keine Notmeldesäule weit und breit.

"Das gibt's doch nicht!" empörte ich. "In jedem U-Bahnhof ist doch eine große dicke Notrufsäule mit Fernsehkamera und Überwachungsschirm. Was zum Teufel ist das hier für ein Mist?" Mein Freund sagte nichts, blickte nur aufmerksam ins düstere Rund. Unbestimmbar ungutes Gefühl beschlich: Hier stimmt ebenfalls was ganz und gar nicht! - Aber was?

Auch kein Schwanz von der Betriebsgesellschaft in Sicht. Die lassen doch sonst keine Gelegenheit aus, ihre Wichtigkeit unter Beweis zu stellen. Nicht mal Lautsprecherdurchsagen. - Totenstille! - Niemand außer uns und diese U-Bahnraupe ohne Saft und Antrieb, deren Heckteil noch tief im Tunnel stand. Zwischenzeitlich kriegten auch andere die Türen auf, betraten graubleichen Bahnsteig. Einige schimpften.

"Wir brauchen einen Arzt!" rief jemand von weiter hinten. Allgegenwärtig muffiger Geruch dämpfte alles. Niemand redete unnötig laut oder schrie gar. Beklemmung sank auf alles herunter, drückte auf steinernen Untergrund.

"Gehen wir mal zu den Treppenaufgängen", schlug mein fremder Freund vor.

Na klar! Warum nicht gleich? Die können kaum verfehlt werden, ausschließlich an bestimmten Stellen in U-Bahnhöfe hineingebaut. Entweder auf einer oder anderer Zufahrtseite oder gleich an beiden. Dass hiesiger Bahnsteig kein zweites Gleis an gegenüberliegender Seite besaß, verwunderte vorerst nicht. Gab es mehrmals in diesem Streckennetz. Allerdings, kein Haltestellenname?

Siedendheiß ging mir auf: Von dort an wo ich einstieg, sind alle U-Bahnhöfe bis zum nächsten Knotenbahnhof mit zweigleisigen Bahnsteigen versehen!

Verwirrung. - Von anderweitiger Tunnelführung hörte ich noch nie. Nächste Tunnelabzweigung käme erst eine Haltestelle vor dem Knotenbahnhof. Bis dahin müsste die Bahn mehrmals halten. Betracht bisheriger Ereignisse, wurde mir zunehmend mulmig. - Wo sind wir gelandet?


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