Kring 01, 08. Kapitel, Seite 66

 

 
   
 

 


"Ja!" sagte sie einfach und fuhr fort: "Du musst hungrig sein nach der langen Wanderung. Setzen wir uns dorthin. Ich habe für dich etwas mitgebracht." Auf ersichtlich gut gefüllten Korb gewiesen, abgestellt am Hügelfuß. Und Dram spürte deutlichen Hunger. Sie saß nur kurz daneben, breitete Speisen auf ein Tuch und stand wieder auf. "Ich komme wieder, wenn du dich sattgegessen hast." Sie ließ ihn allein, verschwand hinter Hügelrundung. Schier lautlos!

Beeindruckende Frau, gewisse Ähnlichkeit mit Irmen, sinnierte Dram. Aber das mochte täuschen. Genauso gut konnte sie einer anderen ähnlich sein. Schöne Frau! In eigentümlicher Zeitlosigkeit wirkte sie unantastbar, schien ohne wirkliches Alter. Ihre Größe entsprach seiner eigenen. Als Frau ungewöhnlich hochgewachsen. Blau schimmernde Augen und sandfarbene Haare ergänzten würdige und gleichzeitig sehr weibliche Gestalt, gehüllt in langes Gewand aus eigenartigem Gewebe. Es schillerte in unterschiedlichen Licht- oder Blickwinkeln vielfarbig. Im Faltenwurf anders als im Glatten. Dennoch offenbar ungefärbter Stoff. Ihm entsprangen Farben bei Bewegung des weder weiten noch engen Kleidungsstücks. Kein Schmuck, außer schmalem Goldreif um Stirnmitte, restlich verdeckt durch lang wallendes Haar. Barfüßig, weder Schuhwerk noch Riemensohlen.

Nachdem Dram genug aß, erschien kurz danach die Geheimnisvolle erneut. Wieder lautlos. Nur singendes Rascheln des Gewandstoffes verriet Bewegung, als sie neben ihm niedersank. "Willkommen, Dram! Ich bin Unnru!"

"Du kennst meinen jetzigen Namen?"

"Ja! Ich entspreche dir und bin für dich die Antwort auf alle deine Fragen."

"Du?" entsprang ihm verblüfft, bereute aber sofort. - Wie dumm von ihm!

Losgewandert mit fast endlos vielen Fragen im Kopf, bislang keinerlei Antworten gefunden, saß er nun hier und wusste nicht recht, wie seine Fragen richtig gestellt werden sollen. Verschleiert geblieben, was dieser verwunschen wirkende Ort hier eigentlich wirklich sei. Gewohnt und doch ganz anders als sämtliche Örtlichkeiten, an denen er jemals weilte. Mählich drängte heimliches Wissen in Gedanken, all dies gehöre zweifelsohne zur gleichen Welt, in welcher er bislang völlig selbstverständlich lebte.

"Wen hast du erwartet?" fragte sie freundlich. "Maharischi Wischiwaschi, Guru Packwahn, Sai Blahblah, Lama Larifari, Häuptling Blinde Schleiche vom Stamm der Feuchtfüße, oder wie sie alle heißen oder besser geheißen werden sollten?" Kopf zurückgeworfen, lachte sie fröhlich, laut und hell.

Dram hörte von diesen östlichen und anderen 'Weisen', schenkte ihnen geringe Beachtung. Er sagte nichts, fand keine geeigneten Worte, blickte nur in unerwartet belustigte Miene.

"Sie sind allesamt selbst Verblendete. Geringwissende," fuhr Unnru fort, "geblendet von blanken Groschen, der Macht, die sie über andere üben, ihrer Selbsteingenommenheit oder allem zugleich. Diese und andere Jogibären und nichtigen Schönredner, die sich in manchen Gegenden haufenweise wichtig tun. Wahrhaft Weise würden nicht solch platte Art wählen, sondern verabscheuen. Auch Merlin würde nicht hier sein. Du bist kein Kelte. Obgleich er dir um Welten mehr entspräche als all die Vorgenannten. Das Kalaterbe in dir genügt nicht, ist zu wenig, du kannst darin nicht fühlen. Du sprichst nicht einmal eine Kalatsprache, verstehst nicht ansatzweise eine, also kannst du auch nicht in solcher Gedankenwelt umfassend denken, dich wirklich hinreichend zurechtfinden. Erlernst du eine, würdest du dennoch stets in deiner Muttersprache denken oder dein Denken von dieser unausweichlich geprägt sein. Und Merlin war ein wahrhafter Weiser und Wissender geworden. Ihm wäre klar, wenn Schlüssel und Schloss auch nur ganz gering voneinander abweichen, beide Schaden nähmen. Oder zwar ineinander passen, aber kein Auf- oder Verschließen ermöglichen. Aller Völker und Länder wahrhafte Weise wissen das. So wie Buddha erkannte: Jeder geht seinen eigenen Weg! Nicht seine und anderer Weisen Schuld ist es, dass Unverstand und Dummheit ihre klaren Worte einfach nicht zur Kenntnis nimmt. Gibt es eigentlich etwas Peinlicheres, als wahren Weisen lästig fallen? Abgründe eigener Gedankenlosigkeit pflegend, vor ihnen lächerlich erscheinen?" Wieder erscholl ihr belustigtes Lachen.

"Aber wir sind doch alle Menschen. Wir sind doch alle gleich", wandte Dram ein. Den Lehrsatz von vollständiger Gleichheit fand er in dessen bestechender Einfachheit einleuchtend.

Unnru blickte ernsthaft in seine Augen. Sanftes Lächeln echter Überlegenheit wahrhaft Wissender. "Diese Ansicht ist ehrenvoll. Und sie stimmt auch. Doch es liegt ein grundlegendes Missverständnis vor. Mit dieser Menschenfreundlichkeit ist keineswegs gemeint, alles und jeden unterschiedslos über einen Kamm zu scheren. Das würde bedeuten: Alle Menschen sind dasselbe! - Abscheulich langweilig! Versteh' mich nicht falsch. Alle Menschen sind vom selben menschlichen Wert und Recht, gleichgültig welchen Völkern und Menschenarten sie zugehören. Das ist damit gemeint. Sie sind vergleichbar. Doch völlig gleich können sie unmöglich sein. Nicht einmal für Zwillinge gilt das. Äußerlich voneinander nicht scheidbar, blickt der eine nach rechts, der andere nach hinten unten, machen sie jeweils andere Erfahrung. Und schon sind sie verschieden. Außerdem, wozu hast du Augen? Du sieht es doch, dass Menschen unterschiedlich sind. Siehst du aus wie deine Kinder? Deine Kinder wie du? Oder wie ihre Mutter? Siehst du aus wie dein Vater? Wie deine Mutter oder Geschwister? Ihr seid euch sehr ähnlich!"


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