Kring 01, 08. Kapitel, Seite 67

 

 
   
 

 


"Du hast recht, Unnru! Für die einzelnen Leute stimmt das ganz sicher. Du sprachst aber Völker und Menschenarten an. Das sind doch keine Leute, so wie wir es sind", warf Dram dazwischen.

"Selbstverständlich sind das nicht Leute wie du oder andere. Doch sie bestehen aus solchen, bilden augenfällige Einheiten. In ihnen wirken alle Eigenschaften der Einzelglieder zur Wesenheit gesammelt. Völker sind selbst lebendige Wesen und verhalten sich so, haben Selbsterhaltungstrieb, wie die Menschen aus denen sie gefügt. Wer das missachtet, in Abrede stellt oder ihnen gar bestreitet, versetzt diese Wesen in Todesangst. - Schau in die Geschichte. Da ist ersichtlich, wie sie sich voll verzweifelter Gewalt wehren. Das Ergebnis ist fürchterlich."

"Was du sagtest ist sicherlich nicht falsch", meinte Dram. "Heutzutage vermögen wir doch die ganze Menschenwelt zu bereisen. Viele leben häufig auf anderen Erdteilen, in anderen Ländern, zumindest zeitweilig. Da ist das doch nicht mehr so ausschlaggebend wie früher."

"Glaubst du, etwas das in Jahrtausenden, Jahrhunderttausenden, Jahrmillionen aus unbedingter Notwendigkeit geboren, sich um neuzeitliche Reiselust schert?" versetzte Unnru sanft, "Die Menschenfarben entsprangen nicht albernen Launen irgendwelcher Schoßhundezüchter. Sie sind Überlebensweisen! Wäre das so unwichtig, wie viele Klugredner und vermeintliche Menschenfreunde behaupten, dann gäbe es sie nicht, hätte es sie auch nie gegeben. Warum werden Hellhäutige in sonnenreichen Gegenden eher von Hautkrebs befallen als in anderen Breiten? Weshalb leiden dunkle Menschen schneller an bestimmten Krankheiten, fehlt ihnen Sonnenlicht? Wieso vertragen Ostasiaten keine Kuhmilch, entwickelten deshalb nie entsprechende Viehzucht und Milchwirtschaft?

Wie kindisch, von Menschen zu erwarten, sie sollten sich allmählich ihre Haut-, Haar- oder Augenfarbe abgewöhnen, weil sie diese angeblich nicht mehr brauchen. Einzig der Einerleiwahn ist davon gestört. Nur weil Leute dumm gewalttätig behaupteten, ihre Farbe sei die beste, lasse dich nicht von denen blenden, die sich einbilden, einfach das Gegenteil einer dummen Sicht verkünden, sei schon was Gescheites. - Mitnichten! Unfähig die goldene Mitte zu finden, unwillig sie zu suchen, sind sie von einer Ausschweifung in die andere geraten. Beides gleicher Geistlosigkeit entronnen.

Und glaube niemals denen, die behaupten, sie besäßen die einzige Wahrheit. Alles was diesen Anspruch erhebt, ist mit Sicherheit falsch! Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen, baut solche Gleichmacherei auf dem Grundsatz auf, dass es nur das ,Eine' gäbe, was ,Sie' sagen oder entsprechend ist, und alles andere ausgelöscht werden soll, darf oder letztlich wird. Das ist in Wirklichkeit verkappter, schöngeredeter und blindwütiger Hass auf Andersartiges. Wer etwas auch nur als überflüssig betrachtet, wird so oder so, durch Tat oder Unterlassung dessen Vernichtung herbeiführen.

Meine auch nicht, dir aus solchen Lehren das Beste heraussuchen zu können. Selbst das herausgelöste Beste bleibt behaftet mit dem Makel ihres Grundirrtums. Entstanden aus Falschheit, birgt dieses ,Beste' den Keim des Falschen stets in sich, befällt alles worein es sich festsetzt. Unweigerlich! Verwerfe es ganz. Es macht sich selbst wertlos, weil es unduldsam ist. Das Einzige was du nicht dulden darfst, ist die Unduldsamkeit!

Hüte dich besonders vor den Guten, die solche Lehren vertreten oder ihnen anhängen. Sie sind die schlimmsten Täuschungen denen du erliegen kannst. Verwechsle sie nicht mit ihrem Aberglauben. Es gibt sie zuhauf, denn der Mensch ist nicht grundsätzlich des anderen Feind, sondern Freund. Und das vermag auch die übelste Lehre nicht ganz unterdrücken. Glücklicherweise ist das so. - Du siehst: Es gibt Trost! - Sieh diese Guten als Kranke, befallen von Gedankenseuchen, behaftet mit Geistesgeschwüren. Helfe ihnen, soweit es dir möglich. Aber halte Abstand! Lass dich nicht in die Betten ihrer falschen Hoffnungen zerren. Es sind Fallen der Ansteckung. Du würdest versinken in weichem Irrtumslager, dein Geist im dicken Kissen ersticken. Die mollige Decke erwürgt Gedanken, ihrer Verzerrsichten Küsse und Leiber übertragen dir Seelenpest. Vertraue deinem ureigenen Selbst, deinem wirklichen Erbe. Besinne dich stets vornehmlich darauf. Du hast nichts anderes. Doch lehne nie etwas ab oder feinde an, nur weil es fremd ist. Du kannst immer davon lernen.

Sieh alles als Teil im Regenbogen. Nur in mannigfachen Farben schön. Wer würde einfarbigen oder farblosen Regenbogen lange bewundern? Auch Menschenfarben verhalten sich wie die des Regenbogens: Keine schmerzenden scharfen Grenzen untereinander! Sie verbinden, leiten zart über von einer zur anderen, zeigen sich schließlich klar und rein. Zusammengerafft ergibt es nur ödestes Weißlicht. Mitsamt dem Bogen alle Schönheit dahin! Verwechsle Einheit nicht mit Einerlei."

Gebannt verfolgte Dram ihre Rede. "Du hast von Täuschung gesprochen. Ist unter diesen Gegebenheiten nicht alles, aber auch wirklich alles, nur eine Täuschung? Ist meines und aller anderen Leben nicht eine einzige große Täuschung? Oder eine fortwährende Abfolge vieler Täuschungen? Sind wir Selbsttäuschungen? Überhaupt, Täuschung des Daseins?"

Unnru betrachtete ihn aufmerksam. "Wenn alles nur eine Täuschung ist, dann ist es auch Täuschung, zu glauben, dass alles Täuschung sei, weil es nichts gibt, woran dies gemessen werden könnte. Dazu muss es das Gegenteil von Täuschung geben: Folgerichtige Wirklichkeit! Wenn alles nur eine Täuschung ist, muss es etwas geben das

erstens: Täuschung erzeugt - Feststellung: Da ist!
Zweitens: Täuschung wahrnimmt - Feststellung: Du bist!
Drittens: Täuschung erkennt - Feststellung: Das ist!



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