Niemand mehr zu sehen. Die Kinder, lang noch im Vorschulalter, scheinen wie vergessen von ihren Müttern, Vätern oder anderen. Nur mit sich selbst beschäftigt im gemeinsamen Spiel, bemerken sie Veränderung ringsum nicht. Ersterben verdunkelnd ins Licht geschoben. - Sonnenfinsternis?
Nahes Hochhaus verdeckt die Richtung, wo vermutlich das Tagesgestirn. Von daher kann nichts ausgemacht werden. Die Stimmung selbst ist dunkel geworden. Sie greift und frisst unaufhaltsam in alle Ecken und Winkel, erfasst nach und nach freie Flächen, drängt in Fenster, Häuser, Türen - und wieder heraus, befällt weiteres Stück ungetrübter Umgebung. Stickigkeit breitet lähmend in Atemluft. Gewitter?
Nein! - Keine türmenden Wolken überdecken den Himmel der Häuser. Auch kein grollendes Ankündigen irgendwoher. Drohend ist etwas gekommen. - Wovor flüchteten eilige Leute? Sahen sie mehr als sonst möglich? Ohne Zweifel geflohen. Aber warum? Und weshalb? Noch vor wenigen Minuten führten sie anderes im Schilde als Flucht.
"Eeene Meene Muh...!" schallt aus Richtung weiterhin spielender Kinder. Unruhevoll führen plötzlich zu laute eigene Schritte an ihnen vorbei. Je weiter von diesen entfernt, verschluckt heraufgezogene 'Dickheit' zunehmend deren Stimmen. Kein derart großer Abstand liegt zwischen ihnen und hier, der solches Schwächen rechtfertigt. Verwunderter Blick nach hinten zeigt erschreckende Gründe.
Fett grauschwarz durchschimmerndes Gewolke wabert zwischen Häuserzeilen, füllt gesamtes Mauerfeld, verstellt rußig den klaren Blick zur rückwärtigen Richtung, quallt wie riesenhafte Auspuffwolke träge heran. Gebäudeeinzelheiten verschwinden. Vom Pflaster bis weit über Dächer liegt sie schmutzig lauernd in gebauter Schlucht. Kurzes Dröhnen übertönt alles was bislang noch hörbar.
Ohne Vorwarnung entschnellt ein mehrere Meter langer Hals, riesiger schuppenbedeckter Echsenkopf der Stickwolke. Aus aufgerissenem Rachen zuckt blassrote Zunge meterweit vor. Gefangen in wabernde Grauschwärze entkommt kein Kind. Die Wolke verschluckt Angstschreie, hindert. Undurchdringliche Randbereiche. Nicht sichtbare Außenhaut muss entstanden sein, nachdem feiner Schmutzdunst ausgespähte Opfer schleichend umfloss.
Nur heillose Flucht in noch freie Richtung bleibt!
Vom kreischenden Schrecken beflügelt, trommeln flüchtende Füße aufs Pflaster. Atem hechelt, getrieben von Angst. Tierhafter Überlebensdrang treibt Leistung der Leibeskräfte in ungeahntes Maß, bis an unüberschreitbare Grenze. Fast schon erreicht das Wummen des Herzens überschlagende Höhe, gescheucht durch freigerissenen unbändigen Lebenstriebwillen. Jeder Gedanke sucht in eigenen Bruchteilen Auswege. Augenschärfe bündelt nach sicheren Unterschlüpfen.
Wo ist eine Tür? Wo ist ein Tor, das zugeschmettert wenigstens kurz Mörder aufhält?
Nirgendwo Fluchtorte. Sämtliche Häuserzugänge fest verriegelt und verstellt. Nicht eine einzige helfende Hand winkt in mögliche Sicherheit. Keiner will fraßgierigen Augen auffallen. Alle ducken ihr kostbares Leben hinter verrammelte Fenster. Schon trampelt das riesige züngelnde Biest aus der Dunsthülle, stampft rascher, verfolgt flinke Fluchtbewegung. Dahinter verbleibt schwarzgraue Wolke, tiefschmutziges Todesei.
Schneller, auf langen Säulenbeinen, trägt massiger bunter Schuppenkörper versessenes Hungermaul stetig näher zur Beute. Schnalzend durchschneidet glitschige Langzunge stickige Luft. Glücklicherweise hemmen etliche Bäume immer wilderen Lauf, Leibeswucht. Auch abgestellte Autos und Bänke des Straßencafés sind unerwartetes Hindernis für stampfende Übermaße.
Viel zu kurz! Zerknickt und zerschmettert bleiben Bänke und Autos zurück. Bäume geben schließlich bezwungen ungeheuren Kräften nach. Lediglich ein Fernsprecherhäuschen bringt das Riesenbiest etwas ins Straucheln. - Zerborsten beiseite geschleudert.
Dem Himmel sei Dank! Nur noch wenige Meter trennen vom Treppenniedergang in unterirdischen Fortsatz der Fußgängerstraße. Schier ohne Ende dehnt knapper Rettungsweg. Doch dann überstolpern schleudernde Sohlen Stufen zur Einkaufstiefe.
Fast gestürzt Grund erreicht. Wütender Rachen rast nach. Meterlang schnellende Zunge schlägt blindwütig den Rücken, schleudert entkommenen Fraß ungebremst in Tunnelwege. Lang hingeschlagen! Zu schmaler und zu festgefügter Zugang hindert oben. Das riesenhafte Untier findet keinen Raum, kann nicht durchzwängen. Gerettet!
Nach wild vergeblichem Umsichschnappen, verschwindet dessen langhalsiger Echsenkopf langsam und drohend ins Oberirdische. Vielzahlige Menschen drängen, rechtzeitig hierher geflüchtet, verfolgen mit entsetzten Blicken das Geschehen, erstarrt in eisiger Angst.
Klamme Wartezeit später erschallt aus verborgenen Lautsprechern anschwellender Dauerton, gefolgt von beruhigend klingender weiblicher Stimme: "Verehrte Anwesende! Die Gefahr ist vorüber! Wir bitten, die allgemeine Unpässlichkeit zu entschuldigen! Sie können wieder unbesorgt ihren Einkaufsbummel fortsetzen und die U-Bahn benutzen. Dürfen wir sie auf ein ganz besonders günstiges Angebot an Krokodilledertaschen im Dummi-Kaufhaus aufmerksam machen? - Soeben neu hereingekommen! Oder probieren Sie doch mal die Spezialität des Dr.-Bumm-Restaurants: Reptilsteak! - Denn bloß Qualität ist noch lang kein Rezept. Danke für ihre Aufmerksamkeit und ihr Verständnis! Einen angenehmen Tag wünscht ihnen: Ihr Abgrund-Einkaufsteam!"