Kring 01, 08. Kapitel, Seite 68

 

 
   
 

 


Im allerweitesten Sinne nicht wahrnehmbare Täuschung hat dieselbe Auswirkung wie nicht gegebene: Keine! Blende dich nicht mit bloßen Wortbegriffen. Wenn alles Täuschung ist, dann gibt es nichts was keine Täuschung wäre. Täuschung ist dann nicht feststellbar. Über das ,was' ist kann man sich täuschen, aber nicht darüber, dass ,etwas' ist. Das ist die Aufgabe, der Zweck und Sinn des Menschenlebens, herausfinden ,was' ist. Und das ist erfüllbar."

Dieser Beweisführung konnte Dram nichts entgegensetzen. Trotzdem unzufrieden. "Was ist die Wirklichkeit? Wie erkenne ich sie, trenne sie von Vernebelung?"

Unnru lächelte verstehend. "Schau dir das Ergebnis an, dann weißt du was es ist! - Dieses als Faustregel. - Wirklichkeit ist all das, worüber sich nichts und niemand hinwegsetzen kann. Alles was solche Auswirkung hat, ist somit notwendig Wirklichkeit. Das trifft auch auf reine Gedankengebäude, Wünsche oder Sehnsüchte zu. Sie sind wirksam, also Wirklichkeit. Solange nicht umgesetzt, sind sie allerdings lediglich Vorstellung, Darstellung von Tatsachen, haben so nur diese Wirklichkeit. Wie auch Landkarten bloße Darstellung jeweiliger Landschaften. Keiner verfiele auf den Gedanken, Landschaften den Landkarten anpassen zu wollen. Die Karte kann falsch sein, die Landschaft nie! Um die Wirklichkeit zu erkennen, brauchst du ein Maß. Und dieses Maß musst du selber herausfinden, es dir erfinden. Das ist die Aufgabe die das Sein allen und allem stellt!"

"Und wie gelange ich zu diesem Maß?" forschte Dram.

"Es ist kein allgemein abgesprochenes Maß, wie Elle, Meile, Scheffel, Pfund und dergleichen", entgegnete Unnru. "Solche Maße haben nur Sinn und Gültigkeit in Verbindung mit dadurch Messbarem. Für sich selbst bestehen sie nicht. Es gibt kein Pfund an sich, sondern immer nur ein Pfund Äpfel beispielsweise. Auch eine bestimmte Zahl schlechthin gibt es nicht. Eins, Zwei oder Drei sind nichtige leere Begriffe, wenn sie nicht mit eindeutig Zählbarem verbunden. Selbst die verwickeltst hergeleitete Zahl ist ein Windei, stünde sie ohne klaren Bezug auf Nenn- oder Brauchbares. - Nutzloser fauler Zauber! Echtes Maß mag abgestuft, entsprechend Erfahrungsfähigkeit sein, doch es ist zweifelsfrei wahrzunehmen."

Ohne Höhe keine Tiefe
Ohne Rings keine Mitte
Ohne Oben kein Unten
Ohne Licht keinen Schatten
Ohne Außen kein Innen
Ohne Hitze nichts Kaltes
Ohne Hartes nichts Weiches
Ohne Scharfes nichts Stumpfes
Ohne Großes nichts Kleines
Ohne Nässe kein Trocken
Ohne Schwarzes nichts Weißes
Ohne Echtes nichts Falsches
Ohne Freuden kein Leiden
Ohne Schlechtes nichts Gutes
Ohne Lautes kein Schweigen
Ohne Auge kein Blick.
Ohne Dunkel gibt's kein Hell
Ohne Tod gibt's kein Leben
Kein Vergessen ohne Wissen
Keine Wahrheit ohne Lüge
Ohne Liebe nicht Hass.

"Dies ließe sich schier endlos fortsetzen. In dieser Weise musst du beständig abwägen. Nur im scheinbaren Gegensatz kannst du wahrnehmen. Maß ergibt sich aus Unterschied. Und auch das Ganze ist nichts ohne Einzelnes. Wäre alles ein Einerlei, bestünde nur graue Unkenntlichkeit." Unnru verhielt, setzte dann hinzu: "Du selbst musst das Maß sein, es werden!"

In nachfolgender Stille glaubte Dram, er gehe darin unter; verloren im Unverstand. Unnru bemerkte seinen Zustand. "Ich habe dich mit Tiefernst überschüttet. Sieh das Gesagte nicht verbissen. Das Sein ist ein Spiel! - Was ist der Gegensatz eines Topfes?"

"Sein Fassungsvermögen? Ich weiß es jetzt nicht", antwortete Dram überaus verwirrt.

"Der passende Deckel! Was denn sonst?" Beide prusteten lautes Gelächter in längst hereingebrochene Nacht.

Kühler geworden zwischenzeitlich. Dram fröstelte leicht. Er rollte seine Decke auseinander, bot Unnru gemeinsamen Platz darin an. Für zwei allerdings nur unvollkommener Schutz.

"Danke, Dram! Ich scheue mich nicht, zu dir zu schlüpfen, aber meine Kleidung genügt völlig. Auch wenn sie dünn scheint. Nimm deine Decke ruhig ganz für dich." Sie saß daneben und raunte geheimnisvoll lächelnd: "Ich bin doch sowieso schon längst immer bei dir gewesen."


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