Kring 01, 01. Kapitel, Seite 05

 

 
   
 

 


Leise Schritte von hinten. Nicht überraschend empfunden, eher selbstverständlich in dieser Umgebung und an vernommenen Geräuschen gemessen. So etwas wie eine Fee oder ähnliches musste einfach sein. Allerdings gab es keinen Durchlass in der Hecke hinter mir. Aber es könnte ja wunderbarer Weise einer aufgegangen oder unsichtbar vorhanden sein, wie oft bei Türen und Toren, Ein- oder Zugängen in Aberwelten.

Neugierig Kopf ganz nach hinten geneigt. Tatsächlich eine Frau! Aufgrund eigener Gesamtkörperstellung freilich verkehrt herum. Sie schien ungefähr zwischen fünfundzwanzig und dreißig Jahren, geschätzt auf ersten Blick. Keine falsch vermeintliche Schönheit, als glattes Glanzbild aus Zeitungen bekannt. Aber sie strahlte, besaß das Gewisse, was unverzüglich in Bann zieht, verzaubert. Sie lächelte, für mich natürlich umgekehrt, hielt einen Korb in linker Hand, worin im Wald gesammelte Dinge abgelagert sein mussten. Fraglos Tatsache, ohne Hineinsehen.

Sie kam näher, verschenkte freundlichen Blick, sank dicht nebenan ins Gras, reichte wortlos den Korb herüber, deutete hinein. - Voller Waldbeeren! Aber auch etliche andere Beeren und kleine Früchte, Mengen fleißigen Bückens und Pflückens darin. Und für mich, alles? - Offensichtlich, ja! Ihr Blick bedeutete, davon nehmen und essen, wie mir gefiele.

Stark und würzig schmeckten die Beeren, wie eben nur Waldbeeren schmecken. Und weil hungrig, aß ich alles weg. Mit silbernem Lachen nahm sie den Korb wieder zurück. Also nichts falsch gemacht. Ob das Flechtbehältnis auf geheimnisvolle Weise selbst wieder voll wird? Die Frage kam, während ihre brünetten schulterlangen Haare im Sonnenlicht glitzerten. Mit Kuppe rechten Mittelfingers strich sie mir über die Wange, fasste ihren Korb, stand behend auf und ging wieder zurück in selbe Richtung, woher sie überraschend auftauchte. Mein Blick folgte.

Ihre Bewegung, ihr Schritt, ihre unaufdringliche Kleidung, wovon dennoch nichts überdeckt, ihre gesamte Art zeigte nichts geziertes oder gekünsteltes, aber einzigartige Anmut. Leicht zitterte Luft, danach konnte ich sie nicht mehr sehen. Es gab hier also doch einen Durchgang zur Aberwelt! Sie verschwand durch undurchdringlich wirkende, dicht verfilzte Dornenhecken. Mählich entfernender Gesang schallte noch herüber. Jetzt erst fiel auf, wir sprachen kein einziges Wort miteinander. Doch, wozu auch? Wir verstanden wortlos. Ihr schönes sandfarbenes Kleid nahm beim Übertritt sicherlich keinen Schaden, so hoffte ich.

Satt im Gras ausgestreckt, saphirblauer Himmel oben. Mich beschlich allerdings untrügliches Gefühl, noch jemand müsse hier sein. - Richtig! Rechterhand saß urplötzlich ein Mann. Unmittelbar neben mir. Ebenfalls sandfarbene Kleidung. Allerdings stachen Farben bei ihm sacht aber sichtlich ins Grünliche, gemahnten an Robin Hood. Auch stak in dessen Gürtel ein nicht gerade kleiner Dolch. Er betrachtete mich aus sehr dunkelblauen Augen, ließ gleichfalls keine Silbe verlauten. Wie die Fee. - Ebenfalls ein Fee?

Während ich ihn aufmerksam musterte, stand längst fest, er könne keine Bedrohung sein, trotz langem Dolch. Letzterer schien eher eine Art Standeszeichen, obwohl keinen Augenblick bezweifelt, er habe auch schon unerfreulicheren Zwecken gedient. Keineswegs bloß eindrucksvolles Zierrat. Und ein Fee, weiß man schließlich, ist im Falle eines Falles überragend gewandter Kämpfer. Jedenfalls sehr geübt.

Beendigung meiner Einschätzung: "Bist du ein Fee?"

Er lächelte nur, antwortete nicht, überließ es meiner Vorstellungsgabe, blickte zur blauen Himmelskuppel. Dann sah er mich einige lange Augenblicke an, streckte seine rechte Hand aus, berührte mit der Spitze des Mittelfingers meine Stirn. Milder Hauch, trotzdem deutlich, zart aber elektrisierend. - Zauber!

Furchtlos versunken, vollständig aufgelöst...

Aus wohliger Dunkelheit allmählich zur Oberfläche. - Erwacht aus dunkelsanfter Ruhe, traute ich meinen Augen nicht. Was mein Blickfeld anbot, stürzte in größte Verwirrung: Zu Hause in meiner Etagenwohnung, im Bett!

Träume ich immer noch? sprang durchs Gehirn. Bin ich verrückt geworden, kann Wirklichkeit nicht mehr von Wahnvorstellung unterscheiden? Befällt Irrsinn? Schmuggelte mir vielleicht jemand was in den Tee? In den Kaffee? Aufs Brötchen? Radioaktivität aus der Wasserleitung? Krankmachende Strahlung vom Fernseher? Verblödung durchs Kabelnetz oder von Heizungsrohren hinterm Bett? Hirnaustrocknung durch Computervampirismus? - Alles möglich!

"Was ist eigentlich los?" Laute Frage. Jetzt redete ich schon mit mir selbst. Du grüne Neune! Aber ich konnte mir doch nicht alles nur eingebildet haben, dazu drängten sämtliche Erinnerungen zu genau, viel zu wirklich, viel zu echt!

Traum? - Ja, gut! Das war ein Traum, wenn auch ungewöhnlich beeindruckend. Und was davor abspielte? - Nein! Ausgeschlossen! Sorgsam angelegter Verband am Ellbogen des rechten Armes. Leichter Schmerz darunter. Wenngleich nicht sonderlich bemerkenswert, stellte ich eigenartig befriedigt fest. So freut einen sogar derartige Lästigkeit. Trotzdem noch immer nicht beruhigt, denn nun drängten weitere unangenehme Fragen, verlangten Antwort.


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