Kring 01, 07. Kapitel, Seite 55

 

 
   
 

 


Lediglich das neun Stockwerk hohe versöhnte gering, ob unfreiwilliger Lächerlichkeit. Äußerlich gekleidet in ,Art Deco', mutete es wie ein steinernes Riesenradio aus den Dreißigerjahren an. Notdürftig milderten wenige kümmerliche Bäume Gedanken erschlagendes Gesamtbild. Wobei dahingestellt bleibt, welcher vergewaltigenden Gesinnungsfarbe mörderisches Unwesen ausgebreitet. Letztlich sind sie unterschiedslos, ihre Auswirkungen stets gleich. Zwischen den Bäumen standen vom Regen vergraute Sitzbänke, menschliche Anwandlungen vorlügend. Der Platz selbst mit einer Art Kopfsteinpflaster belegt, größtenteils überdeckt vom herangewehten gelblichbraunen Sand. Zähstachlige Pflanzen zwängten da und dort zwischen Ritzen und Rissen empor.

Stille herrschte. Keine Vögel zwitscherten. Wo hätten sie hier auch nisten können? Außer krabbelnden Spinnen und Fliegen, irrten weitab und schattenhaft nur einige Menschen durch bleierne Gegend. Unfroh herrschte Frieden lähmend und lastend, geprägt von quälender Belanglosigkeit, bar jeder Freude. Vergleichlich dem Frieden von Kriegsgrabstätten abgekämpfter Schlachtfelder jüngster Vergangenheit. - Tötende Langeweile! Langweiliger Tod?

Ein altes Mütterchen schleppte sich schlechten Fußes herbei. - Mitleiderregend! Erschöpft sank sie auf eine der grauen Bänke nieder, getrieben in bleicher Hoffnung, hier frische Kräfte sammeln. Verständnis heischend lächelte sie, Ahnung des Unausweichlichen in wissenden Augen, dennoch drückendes Alter genießend.

Plötzlich wankte die Bank bedrohlich, verbogen Planken, trotz leichter Last. Sitz und Lehne verformten zäh, wo sie die uralte Frau berührten. Blick erschrockener Angst stieß herüber. Was geschah, verstand ich nicht. Harte Lehne senkte zum Sitz. Riesig hungriges Maul aus Bohlen klemmte mageren Leib, quetschte zusammen. Kein Schrei, kein einziger Laut entrann Lungen, außer dem Hauch entpresster Luft. Knackend zerbrachen spröde Knochen. Klage in brechenden Augen, blieb ihr Blick auf mich gebannt.

Festgewachsen stand ich. Füße gehorchten nicht. Unfähig. Jahrmilliarden sprangen heran, versanken im Wirbel von Kommen und Gehen innerhalb dieses Augenblicks. - Vorbei! - Verwaiste Bank. Hinterhältige Menschenfalle. Wieder zur Bewegung fähig, ging ich hin, wollte nach Spuren sehen. - Nichts!

Nur eine kleine metallene Tafel mit eingegrabenen Buchstaben:

Zum Bleiben gewidmet Ruhelosen!
Großzügig gespendet von:
Ilse Koch & Hilde Benjamin

Bank als gierige Falle!

Stille, wie vor, herrschte ringsum. Wieder bestand nur Hier und Jetzt. Ohne Vergangenheit, wie gehabt. Vom zehnstockigen Haus näherte ein junges Elternpaar mit Kinderwagen. Kleine Tochter vom stolzen Vater an der Hand geführt. Glücklich lachend spielte die Mutter mit dem Allerkleinsten. Aufgestelltes Verdeck des Kinderwagens verbarg jedoch. Auch sie allesamt nur im Jetzt verhaftet. Mit Liebe schaute das Paar sich selbstversunken an. Töchterchen trug niedliches hellblaues Kleidchen, mit roten und gelben Tupfen geziert. Kindliches Blondhaar, zusammengehalten von zwei samtblauen Schleifen, flatterte im Wind fröhlichen Treibens. Sie kamen näher, bemerkten mich nicht. - Makellose Werbung für Deutschlandwürstchen. Vor der Bankfalle, wohinter ich wartete, gleichauf gekommen, verhielten sie, wandten fehlerlose Gesichter zu mir.

"Stehen sie nicht so alleine da!" flötete schöne Mutter, Zähne wie Perlen im Mund.

"Haben sie auch Kinder?" fragte der stolze Familienvater lächelnd.

"Das wär' schön!" krähte die Kleine fröhlich dazwischen. "Dann könnt ich mit denen Fangen spielen. Mein Brüderchen ist dazu noch zu klein", ergänzte sie aufgeweckt und plauderte weiter: "Püppchen habe ich auch. Und Kleider dazu. Man kann sie immerzu anders anziehen. Und ein Puppenhaus ist auch für sie da. Da wohnen die nämlich drin. Wie Vati und Mutti und ich und jetzt mein Brüderchen. Da drüben!" sagte sie hell, wies mit kleinem Händchen auf ein Haus. Nicht feststellbar, welches genau.

Ihre Glücksart für selbstverständlich setzend, erwarteten sie keine sonderliche Antwort. Strahlend vor Stolz erklärte er: "Unser Töchterchen ist jetzt drei und der Kleine gerade zwei Wochen alt. Ist Ihr Ehegatte nicht hier?"

Hatte ich so was? War ich verheiratet? - Keine Ahnung! Seine Frage konnte ich nicht beantworten und schwieg lieber. Sie schienen das als Abweisung aufzufassen, setzten ihren Weg fort, schenkten mir keine weitere Beachtung. Zurückgesunken ins pure Sein. Etwa hundert Schritte entfernt vor ihnen, trat aus dem Sichtschatten eines Baumes bunte Gestalt: Bibo aus der Sesamstraße!

...wieso, weshalb, warum? Wer viel fragt ist dumm!

Doch nicht ganz. Durchaus Bibo, aber verändert. Warum auch nicht? Endlich hat man ihm neues Äußeres verpasst. Nunmehr versehen mit riesengroßem Tukanschnabel und entsprechend bemessenen Adlerfüßen, wippte er mit seinen albernen Flügeln, hopste auf der Stelle, beäugte die glückliche Familie.

"Guck mal Mami, Bibo ist da drüben!" rief die Kleine ganz aufgeregt, "Vati! Vati! Bibo besucht uns!" krähte sie weiter, zerrte aufgeregt an der Hand ihres vorbildlichen Vaters.


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