Er ähnelte Entspannungsräumen, wie es sie in einigen bestens ausgestatteten Bürogebäuden vergleichbar gibt. Sechs Ruheliegen, nebst angefügten Ablageflächen und drei Sessel mit jeweils kleinem Tisch daneben, füllten dies Gelass unvollständig. Offensichtlich gemeinsames Wegziel vorerst erreicht. Sie schaute mich an.
"Ziehen sie schon mal diese nasse Jacke aus. Das ist doch bestimmt schrecklich unangenehm für sie." Half mir sofort tatkräftig aus durchweichtem Überzeug. Dann brachte sie mich zu einer der Liegen. "Legen sie sich vorsichtshalber hier hin. Wir wollen doch nicht, dass sie womöglich umkippen!"
Ich streckte mich aus, abermals verwundert über ihre unvermuteten Kräfte, denn sie half mir sanft und doch nachdrücklich auf die Liegefläche. Zum ersten Mal konnte ich ihr Gesicht richtig sehen. - Helles Gesicht, zeitlos, nicht auffallend schön aber äußerst angenehm. Und es strahlte leicht. Doch das konnte auch an gehabter Anstrengung liegen. Dennoch, alles erschien reichlich unwirklich. - Tatsächlich kein Traum?
Sie strich mit Fingern ihrer rechten Hand über meine Augen, damit ich diese schlösse. Und nun erklang wieder jenes liedhaft singende Brummen, wie von Brummkreiseln. Aus halb geschlossenen Lidern sah ich, es stammte tatsächlich von einem Kreisel. Kaum viel mehr als golfballgroß, wirbelte das seltsame Ding auf ihrem Handteller und erzeugte blinkende Lichter. Sein Ton schwankte erst etliche Male, schwoll danach nur noch an, füllte gesamten Raum. Dabei allerdings nicht wesentlich lauter, sondern nur eindringlicher. Und sehr beruhigend! Anschwellen des Brummkreiseltones minderte zugleich Schmerzen.
Erschöpft! Völlig durch den Wind! - Lang ausgestreckt überließ ich mich dankbar ihrem weiblich-mütterlichen Schutz, offenbar auch so gewollt von ihr. Schön, sehr schön, wie ein Kind fühlen, sorgenlos allen Dingen überlassen.
Sie war gewiss nicht wie meine Mutter, auch keine alte Frau, sondern etwas ganz anderes. Was, konnte ich nicht ahnen. Keinesfalls durchschnittlich. Ich glitt jedenfalls in wohligen Ruhezustand, dämmerte in erlösenden Schlaf, worin sämtliche Schmerzen vorerst endgültig gelöscht. - Gut so...
Fünfhundert Meter ragte der Berg ungefähr hoch. Laubwald überzog sämtliche Hänge und Höhen. In sonnendurchfluteter, von dichten Hecken umgrenzter Lichtung saß ich etwas oberhalb des Bergfußes. Nur ein einziger Durchlass sichtbar. Merkwürdiger Eindruck leicht verwilderten Gartens, dennoch öfters liebevoll gepflegt. Blühende Blumen überwiegend blauer Färbung. Keine Zuchtblumen. Vergissmeinnicht?
Vom Bergwald schwang Gesang weiblicher Stimme. Angenehm, elfenhaft, feenhaft, mit Ästen und Blättern unzähliger Bäume verwoben. Sachtes Rascheln im Unterholz. - Tiere? Völker des Bergwaldes? Irgendwas oder irgendwer umkreiste die Lichtung, ging stetig drum herum, drum herum. Wache? Bedrohung? Bedrohung fühlte ich nicht. Was war es dann?
Mit diesen Gedanken und Fragen saß ich inmitten der Lichtung, hielt mit geschlossenen Augen mein Gesicht in die Sonne und wärmte mich. Friedliche Stimmung.
Plötzlich erschien im einzigen Zugang zur Lichtung eine menschliche Gestalt, sah aus wie meine Mutter. - Und tatsächlich, obwohl schon längst verstorben. Große Waschschüssel in beiden Händen kam sie näher. Vorwurfsvoller Blick. "Hast du dir schon die Haare gewaschen?"
Ob dieser Frage reichlich entgeistert. "Nein Mama! Außerdem ist mir das im Augenblick ziemlich egal. Und zudem, ist das doch nun nach so langer Zeit meine Sache. Sehe ich denn schmutzig aus?"
"Nein, aber man wird doch mal fragen dürfen, oder?"
" Neeiieen!" brandete meine unwirsche Antwort, was ungemein traf, weshalb sie sattsam bekanntes Tränendrüsendrama abspulte. Schon als Kind von Herzen gehasst, weil man sich dann so schuldig fühlte und gar nicht war, ekelhaft schlechtes Gewissen bekam. Jedenfalls fing sie auch hier an, heulte und schluchzte. Wie das nervte! "Mensch Mama, wenn dir jetzt nix besseres einfällt, dann solltest du erst mal wieder zurückgehen und wiederkommen, nachdem du dich beruhigt hast. Bitte! Ich hab' keine Lust, jetzt so was über mich ergehen zu lassen!"
So überraschend wie sie auftauchte, verschwand sie dann auch. Bin wohl in einem Wunschwald angekommen, wo bloßer Wille genügte, damit etwas wieder verschwand. - Ob dadurch auch das was auf mich zukam beeinflussbar?
Nun, ich stellte mir vor, jener lieblich weibliche Gesang, jetzt wieder im Ohr, käme näher. Ich wünschte, es sei eine Frau mit der anbandeln lohne. Solches erschien äußerst wünschenswert. Eine erfreuliche Erscheinung, schlank und wohlgebaut, mit entsprechend weiblichen Formungen, wie ansehnlichem Busen und gerundeten Hüften. Erster nicht zu groß, letztere nicht zu ausladend. Aber so sehr ich es auch vorstellte und wünschte: Es geschah gar nichts!
Weil Grundstimmung auf friedliches hier sein gerichtet, bekümmerte es glücklicherweise nicht großartig. Feenhafter Gesang erscholl nach wie vor aus dem Bergwald. Und offenbar bereits recht nah. Es wehte auch 'Etwas'. Aber was? - Gestützt auf beide Ellbogen, Baumrauschen, Blätterwispern und fächelndem Wind hingegeben. Wohlige Ruhe wollte genossen sein. Schwerwiegende Sünde, derlei einfach vertun.