Nicht mal für seinen angeblichen, heiß geliebten Sohn rührte der einen Finger, ließ ihn elend verkommen. Und sind solche Schemen satanische Diener, ist das dessen Urheberschaft. Schließlich ist Satan sein gewolltes Geschöpf. Oder hat ER nicht gewusst, was er da in die Welt setzt, mit welchen Folgen? Wenn er's wusste, ist er keinen Deut besser: Vater des Bösen! Wusste er's nicht: Wenig nutzreicher Geist vom Sinai!
Beleuchtung flammte neu. Unbeirrbar jagte die Bahn vorwärts, wohl höchstens auf halber Strecke zur nächsten Haltestelle. Puls durchwummerte Ohren. Die Bestie wartete ab, saß sprungbereit auf Hinterläufen, starrte mit glitzernden Augen. Angstkrampf raubte Atem. Tief Luft holen. Erzwungener Regelatem. Vier Sekunden ein, zwei Sekunden halten, vier Sekunden aus, zwei Sekunden halten, vier Sekunden ein... Pochen im Hals wich, zugeschnürte Kehle entspannte. In Fahrtrichtung blickte ich durch den U-Bahnwagen nach Auswegen.
Bei nächster Tür stand ein Mann, Rücken zu mir, Haltestange locker gefasst, nur halb zu sehen. Unterhalb Gürtellinie von Sitzbank verdeckt. Weiter vorn saß und stand eine Gruppe Jugendlicher, bunt gemischt und guter Dinge. Offenbar ausschließlich miteinander beschäftigt, bemerkten sie mein Entsetzensdrama nicht entfernt. Wie denn? In gelb und ocker gekleidete Frau mittleren Alters saß still und allein eine Sitzreihe davor. Handtasche fest mit Händen umschlossen, schien sie gestört von den jüngeren Leuten, hegte sicherlich Befürchtungen. Einige sahen punkmäßig aus. Einer zeigte Vorlieben für Glatzenaufmachung. Solche Buntmischung aus Punks, Glatzen und 'normal' erscheinenden bergen keine echten Gefahren. Nur nervtötende Lautstärke. Ansonsten harmlos, meist sogar aufgeschlossen. Aus Erfahrung bekannt, schließlich frönte man selbst vormals Vergleichbarem oder Gleichem. Anscheinend vollkommen übliche Gesamtlage. Nichts ungewöhnlich, schon gar nichts unheimlich. Wagenbeleuchtungen gehen öfters mal aus und wieder an. Allein kein Grund für Sorgen.
Doch dieser Schemen musste hereingeschleiert sein. Ganz sicher! Schier unbemerklich wie Spinnengespinst im Wald, welches erst zu Bewusstsein gelangt, wenn man klebrig darin verfing. Gut verständlich, was in uralten Schriften und Dichtungen der Altvorderen mit ,Seidwerk' gemeint: Die gefährlichste und wirksamste Art des Zaubers! Blödsinn! Du fängst an völlig durchzudrehen! Morgen gehst du zum Arzt! Jener Mann, der Rücken zugekehrt eine Tür weiter stand, wendete langsam herum in den Mittelgang des Wagens. Hand an Haltestange belassen, blickte er unmittelbar her. - Heißer Schauer! Weniger vor Schreck oder bisheriger Furcht. Vielmehr Erstaunen. Sein Gesicht kannte ich. Dennoch stand fest, ihm niemals zuvor in irgendeiner Straße oder gar anderer Stadt begegnet zu sein. Kaum merklich nickte er in meine Richtung. Heimliches Einverständnis? Las er Fragen in meinen Augen, gab mir recht? Wie konnte er das?
"Achte auf deine Träume", mahnte die Stimme am Telefon. Nächstes Erinnerungsstück kam ins Bewusstsein: Im Traum sah ich ihn! Der Mann, der nicht sprach, auf die Waldlichtung kam, neben mir saß, dort gänzlich anders gekleidet. Der Fee mit dem langen Dolch. Jetzt trug er eng anliegend dunkle Sachen und eine Art Koppel, hüftseitig rechts etwa handgroße Gürteltasche daran befestigt oder eingearbeitet. Sein Gesicht wirkte besänftigend aber entschlussfest. Fast ungeschlechtlich, hätte es auch das Gesicht sehr herb wirkender Frau mit stoppelkurzem Haar sein können. Jedoch kein Zweifel. Gesamtkörperbau eindeutig männlich. Außer, man habe zwischen Schenkeln ausgestopft. Trotzdem diente dessen Aufzug bestimmt nicht Schaustellung männlicher Vorzüge. Dafür schienen sämtliche Kleidungsstücke wiederum zu unauffällig, eher zweckmäßig. Ähnlich, notwendig am Körper anliegender Bekleidungsweise bei Radsportlern. Bewegungsfreiheit also. Fassadenkletterer in Filmen sind vergleichbar angezogen.
Leichtfüßig kam er durch den Mittelgang näher. Sportliche Erscheinung, dachte ich leicht neidisch. Auch die gelb- und ockerfarbene Frau sah ihm anerkennend nach, umkrampfte ihre Handtasche heftiger. Im hinteren Teil des U-Bahnwagens entstand Unruhe. Aus Augenwinkeln heraus sah ich flackernde Verdunkelung näherkommen. Als ob alle Innenlichter nacheinander ausgingen. Sofort bemerkte mein unbekannter Freund es gleichfalls. Dessen Augen weiteten plötzlich.
Wie von Stahlfedern geschnellt schoss er voran, neben meinem Sitzplatz zu Boden, riss mich am Arm herunter. Ich fiel auf ihn drauf. Er wälzte sofort herum, begrub mich regelrecht. Völlig überrascht vom unerwarteten Angriff zappelte ich heftig. Erst wie ein Fisch auf dem Trockenen, dann gezielt. Linke Hand krallte seine Kehle. Rechte Hand schnellte vor. - Rasende Wut! Mit Fingern Augen ausstechen! Blenden! Augäpfel herausreißen! Erstaunlich, zu welcher Genauigkeit und Berechnung man innerhalb weniger Lidschläge fähig. Keinerlei Angst oder Bedenken hemmten. Töte ihn! schrie meine Überlebensbestie. Und ich wollte es, wie noch nie etwas anderes zuvor in meinem Leben. Planvoll, lustvoll, bewusster Absicht gnadenlos. Unsere Blicke trafen. Abgrundtiefe Befriedigung bereitete mir Todesangst in dessen Augen. Mordorgasmus, vollkommene Befreiung."Nein!" Lauter Schrei. Sein Grundton offenbarte mehr als nacktes Entsetzen, ließ zögern.