Tiefst befriedigend zog innerer Reichsparteitag kribbelnd in jeden Winkel meiner Glieder und wieder zurück. Ahhh! Tat das gut! - Aus schönstem Schlummer gerissen, den Penner!
"Odde! Guten Morgen Herr Dreizehnzwanzigdreiundsechzig! Ich wurde gebeten diesen Anschluss zurückzurufen", fuhr ich ihn barsch an, änderte dann meinen Tonfall süßlich, erkundigte mich scheinheilig mitleidvoll: "Achherrje! Habe ich sie geweckt? Das tut mir ja sooo leid! Aber die aufgesprochene Nachricht klang recht dringlich. Wobei darf ich ihnen denn helfen? Welche Sorgen sollen aus der Welt geschaffen werden? Ich stehe ihnen gerne zur Verfügung. Wir können für heute sofort einen Termin vereinbaren. Wie wäre es mit vierzehn Uhr? Käme das ihren Wünschen entgegen? Andere Zeiten sind ebenfalls möglich. Nur Vormittage sind für Sitzungen leider, leider vollkommen ungeeignet. Da muss ich sehr um Verständnis bitten", quasselte ich ihn voll. Absichtlich und wohl bewusst des Umstandes, dass nichts so sehr nervt und verwirrt wie geschäftiger Redefluss, nachdem man unbarmherzig geweckt.
"Was? Ööh... ja... ähm..." erreichte murmelnd wenig Geistreiches mein Ohr. Völlig geplättet! stellte ich hoch erfreut fest.
"Soll ich später noch mal anrufen? Ich habe den unwiderstehlichen Eindruck, dass sie noch nicht so richtig aufnahmebereit sind. Verstehe ich voll und ganz!" säuselte ich ihm Unverschämtheit lüstern ins Hemd. "In einer halben Stunde? Wären sie dann so weit wach?" Unverfrorene Frage. Auch gnadenfreie Hoffnung, ihn dann vielleicht nass aus der Dusche scheuchen, beim Trockenreiben stören oder beim Anziehen; kaum in Unterwäsche, mit gerade erst einem angezogenen Socken und den anderen noch in der Hand. - Hähä! - Es sei denn, das ist genauso ein bequemelnder Fatzke wie ich und bleibt einfach faul liegen. - Ärgerliche Erscheinung, der!
"Oh, nein, nein! Das ist nicht notwendig. Ich hab' nur ein bisschen gebraucht, um richtig da zu sein", kam schon wesentlich munterer Antwort. - Schade! "Wir können vierzehn Uhr festhalten. Die Adresse habe ich mir schon aufgeschrieben. Die war ja auf ihrer Bandansage deutlich zu verstehen", beschied er meinen Rachehoffnungen Absage. - Dieser Unmensch!
"Wen darf ich denn erwarten? Würden sie mir bitte ihren werten Namen nennen?" fragte ich gefasst.
"-beki", klang herüber. Offensichtlich nicht richtig verstanden.
"Wie schreibt sich das, bitte?"
"Großes Emm, Semikolon, großes Beh, klein Eh doppelt, klein Kah, klein Iih. - M'Beeki!" buchstabierte er.
"M'Beeki! Ein wirklich seltener Name."
"Ich bin aus ex Deutsch Südwest, Namibia!" - Auch das noch!
"Aber sie sind sicher kein Deutschstämmiger?" Neugierige Frage.
"Nein, ich bin Herero, aber in Windhuk aufgewachsen. Da habe ich auch fast perfekt Deutsch gelernt." - Ach, was der Mann nicht alles sagt? So, so!
"Das ist ja nicht unbedingt unerfreulich", heuchelte ich. "Ja, Herr M'Beeki, dann sehen wir uns um vierzehn Uhr. Ich freue mich auf ihren Besuch! Auf Wiedersehen!"
"Auf Wiedersehen, Herr Odde", scholl es zurück.
Was der sich alles merkte und aufschrieb. Mit einem Anruf gestern. - Erstaunlich! Bis vierzehn Uhr musste ich noch Einkaufen gehen und meine schon wieder verrümpelte Wohnung aufräumen. Aber es blieb ja noch wirklich gut Zeit bis dahin.
Schlag zwei Uhr bimmelte meine Türklingel. Das musste dieser M'Beeki sein. Grauenhaft, diese deutsche Pünktlichkeit. Wieso ist das immer das erste, was sich die Leute an Deutschem angewöhnen? - Aber ich sollte nicht ungerecht sein, bestimmt wollte Herr M'Beeki lediglich höflich erscheinen, schließlich ließ ich ihm grässliche Kostprobe deutscher Gründlichkeit in aller Frühe zukommen. - Wenn der ahnte... Was dann treppauf stieg, ließ innerlich etwas erschrecken: Ein ziemlich muskulöser Mensch und bestimmt gut zwei Meter groß!
Dann überkam es mich kalt: Den habe ich schon gesehen! In diesem verdammten Fieberalptraum gestern. Der 'Neger', der am Schaufenster rumlümmelte und dann urplötzlich verschwand.
Schon wieder so was. Langsam drehte ich wohl durch, bekam zugleich Angst. - Was ist bloß los in letzten Tagen? Derart häufig hatte ich noch nie im Leben Wahrträume von Menschen, die mir dann tatsächlich über den Weg laufen, hier über die Treppe.
Mühsam beherrscht bat ich Herrn M'Beeki herein und bot ihm Kaffee, Tee und Gebäck an, wie jedem Besuch. Er entpuppte als umgänglicher und gebildeter Zeitgenosse mit besten Umgangsformen. Ich bedauerte, ihm heute Morgen so übel mitgespielt zu haben, mochte natürlich nichts eingestehen, suchte aber gerechten Ausgleich durch ausdrückliche Höflichkeit meiner Zuwendung. Knabbernd und schlürfend saßen wir uns im Sitzungsraum gegenüber.
"Wir hatten ja noch nie das persönliche Vergnügen miteinander", begann Herr M'Beeki, nach ausgiebigem Austausch vieler Höflichkeitsworte. Vergnügen bestimmt nicht, dachte ich, vielleicht könnt's ja eins werden, glaub' ich aber im Augenblick nicht. Weise lächelndes Schweigen. Abwarten, worauf er hinauswollte. "Aber DAS werden sie sicher kennen!" Aus seiner Jackentasche holte er verdeckt von seiner großen Hand etwas heraus. Mir zugestreckt, öffnete er sie langsam.