Kring 01, 06. Kapitel, Seite 53

 

 
   
 

 


Eigentlich vollkommen ausgeschlossen. Es konnte jedoch durchaus eine vergessene alte unterirdische Eisenbahnanlage sein, der Öffentlichkeit einfach verschwiegen, weil letztlich zwecklos. Gründe dafür vermögen jetzt nicht geklärt werden. Bauruinen gab es schon im Altertum. Zu allen Zeiten. Aber die alten ausgedehnten Bunkeranlagen kannte ja auch lange niemand, bis man bei U-Bahnbauarbeiten darauf stieß. Kein Verschweigen mehr möglich.

Konnte ich sicher sein, meinen Sinnen wirklich noch trauen? Was ist, wenn ich Gaukeleien schwindenden Verstandes erliege? - Oh verdammt, mag gar nicht daran denken!

Sofort sämtliche Einwände ganz rasch beiseite. Sehr diesseitiges Bedürfnis, mal eben aufs Klo. Meine Kaffeetasse abgestellt. Zu bewusster Tür, wohinter sicher vermutete Bedürfnisanstalt. Kurz davor drehte ich mich um und fragte: "Ist es da drin auch sicher? Gibt's hier keine Geister auf dem Klo?"

M'Beeki lachte laut. "Vergewaltigen wird dich da drin bestimmt niemand."

"Jammerschade!" meinte ich launig und verschwand im hell und freundlich ausgestalteten Waschraum. Keine Spur von Pissbudenatmosphäre.

Zehn Minuten später zurück. Umsummt vom angeregten Geplauder neuer Gefährten, mit frischer Tasse Kaffee zufrieden ins Sesselpolster gelümmelt. Eine Tür schwang auf. - Ich erstarrte, mochte meinen Augen nicht trauen.

Das ist doch unmöglich! Das kann doch nicht sein! Mein Verstand verweigerte zu glauben, was oder wer eintrat: Der höfliche Herr aus dem Zugabteil vor zwanzig Jahren! Aber der müsste doch bereits reichlich alt sein oder was?

Nichtbegreifen fraß an Gedanken. Diese Person schien kaum einen Tag älter als damals. Er kam zur Sitzgruppe, sagte irgendwelche Grußworte. Nicht verstanden. Fühlte mich in Nebel, worin sogar laut gesprochene Worte verschluckt. Dann nickte er mit ausgesuchter Freundlichkeit, lächelte mich an, nahm im Sessel links neben mir Platz. Heillos verwirrt stellte ich mit zitternden Fingern die Tasse auf den Tisch. Es klapperte und klirrte geräuschvoll.

"Ich glaube, ich kann mir vorstellen, was du jetzt denkst, Träumer", sprach er einfühlsam. "Ich bin das, was du denkst, bin es doch wieder nicht. Ich weiß aber, dass du dem Wanderer begegnetest. Du trägst das Zeichen der Getroffenen, mein Freund. Bedenke, der Wanderer kommt in unendlich vielen Gestalten und Personen. Auch in deiner Person ist er vorhanden. Wer ihm schon einmal begegnete und das Mal erhielt, erkennt ihn wieder. Selbst dann, wenn er in Wirklichkeit ganz anders aussieht. Und ich bin bestimmt ein anderer als der, welcher dir vor Zeiten den Weg kreuzte. Dennoch aber dasselbe, Träumer!"

Nur noch sein Gesicht vorhanden, alles andere im unterirdischen Raum versank ins Unkenntliche. Nichts mehr da. Alles verschwunden. M'Beeki, der Überschlanke, die Frau mit den wissenden Augen, selbst Tisch und Türen. Einzig jener bekannte Unbekannte und ich saßen noch beieinander in einem Tunnel aus Unbegreifen, umfangen von Zeitgespinst, versetzt in Welt inwendig dieser Welt, außer dieser Welt, unfassbar und ohne echten Raum.

"Du bist ein Ersehener." Wieder dessen eindringliche Stimme. "Du hast die Gabe des Traumes, und wir brauchen dich deshalb bei uns. Es gibt verschiedene Gaben. Jede für sich allein scheint nicht so besonders. Aber alle zwölf vereint bilden eine unüberwindliche Macht, Träumer. Du selbst hast noch Wege zu gehen. Zwei Wege noch, vielleicht drei. Und hier ist der Ort, von wo du auf diese Wege geschickt wirst. Du wirst nicht gezwungen, denn die Wege sind deine Bestimmung, willst sie auch gehen. Und du weißt, dass sie dich ängstigen. Aber sie bringen dir auch Gewissheit und am Ende schließt der KREIS."

"Von welchen verschiedenen Gaben sprichst du, Wanderer?" Eigene Frage, Stimme wie aus weiter Ferne. Eigentlich unnütz. Was soll es helfen, wenn ich die anderen Begabungen kenne? Schier verzweifelt klammerten beide Hände den Kreisel.

Aber der Wanderer schien nicht meiner Ansicht. "Eine Gabe kennst du schon. Es ist deine, die Gabe des Traumes. Dann gibt es die Gabe des Sehens, die Gabe des Hörens, die Gabe des Fühlens, die Gabe des Findens, die Gabe des Sperrens, die Gabe des Sprechens, die Gabe des Fragens, die Gabe des Fangens, die Gabe des Bergens, die Gabe des Lösens und die Gabe des Öffnens. Alle sind gleich stark und gut, nur verschieden. Zusammengefasst, Weltmächten überlegen. Und nun, nachdem du die Gaben kennst, solltest du dich aufmachen, mein Freund. Keine Angst, wir werden uns wieder begegnen."

Er berührte mit rechtem Mittelfinger meine Stirnmitte. Strom fuhr augenblicklich herüber, ergriff jede Faser, jeden Nerv, spülte fort zu Orten, so nicht gekannt, nie gesehen. Nur noch alles erfassendes Summen des Kreisels in meinen Händen ließ spüren... Bin ich?

Wattige Weite... Wärme vom kleinen Wirbler...


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Mannie Manie © 1996-2000
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