Kring 01, 06. Kapitel, Seite 49

 

 
   
 

 


Dumpf jammerte ein Elektromotor, heulte letztlich, steigerte in pochendes Grollen. Zittern lief durch alle Teile. Der Wagen kam eisern rumpelnd in Bewegung und fuhr geradewegs ins dunkel liegende gähnende Loch des Fahrtunnels. Wenige matte Glühbirnen erhellten leidlich das Wageninnere. Sparsame Frontlampe leuchtete blass in Fahrtrichtung. Tief gebückt kam der schwarze Freund wieder zu mir, saß lächelnd gegenüber, nickte beruhigend.

"Ist das eine Art automatischer Fahrteinstellung, die du da eben gemacht hast?" fragte ich neugierig, wollte endlich unser langes Schweigen durchstoßen, jetzt ohnehin vom polterigen Fahrgeräusch des altertümlichen kleinen U-Bahnwagens vernichtet.

M'Beeki nickte. "Das ganze Ding funktioniert in etwa wie das altmodische Lochstreifensystem. Genauer gesagt, wurden schon die Spieluhren vor über zweihundert Jahren nach dieser Methode gesteuert. Auch heute noch baut man diese alte aber sehr wirkungsvolle Technik in teure oder billige Nachahmungen dieser Antiquitäten ein."

"Und wo wird das abgelesen oder übertragen?" Erstaunte Nachfrage meinerseits.

"Links an den Tunnelwänden befinden sich vor Weichen oder Haltestellen in sich bewegliche Rasterkämme aus Eisen. In diese greifen entsprechende Kämme am Wagen ein und stellen damit die voreingestellte Zahlenfolge in die gut geölte Mechanik. Dadurch werden Weichen und somit Zielrichtung, sowie die Haltestellen angesteuert, eingestellt und betätigt. Allein durch den Schwung des vorbeifahrenden Wagens. Das ist ganz einfach und dabei hochgenial, wie alle einfachen Lösungen. Man braucht keine anfällige Elektronik, nur ab und zu etwas Schmieröl. Rosten tut das Metall dabei kaum. Es ist ja stets gut gefettet." M'Beeki grinste wieder sein unnachahmliches Schwarzafrikanerginsen.

"Irre!" brachte ich nur heraus.

Wirklich beeindruckend, mit welch anspruchslosen Mitteln ein ganzes Bahnstreckennetz selbsttätig gesteuert sein konnte. Na ja, Leute in früheren Zeiten sind ja auch nicht gerade blöd gewesen, schließlich gründet neuzeitliche Technik auf deren Vorgaben. Grundlagen moderner Computer erarbeitete schließlich schon Leibniz hinlänglich, entwarf und verwirklichte ausgezeichnete mechanische Rechenmaschinen, deren Musterbeispiele bis heute gelten.

"Und woher bezieht der Triebwagen seinen Strom?" forschte ich weiter.

"Vom U-Bahnnetz wird es in eine freiliegende Leitung eingespeist. An der Tunnelwand auf Seiten der Schaltkämme führt sie entlang. Kleine Schleifräder übertragen den Strom zum Motor."

"Fällt das denn keinem auf, dass Kraftstrom abgezogen wird?"

"Unwahrscheinlich! Der Stromverbrauch ist ziemlich gering. Und da ständig U-Bahnen anfahren und anhalten, fällt geringfügiger Mehrverbrauch nicht auf. Nicht mal bei regem Verkehr auf diesem kleinen Schienennetz hier. Für den Notfall gibt es auch noch eine eigene kleine Stromversorgung. Diese Kisten fahren sogar mit normalem Haushaltsstrom aus der Steckdose. Allerdings schleichen sie dann ziemlich", setzte er mit belustigtem Gesichtsausdruck hinzu.

"Besteht denn nicht die Gefahr eines Zusammenstoßes, wenn niemand auf die Strecke achtet?"

"Nein, es gibt Abstandssperren. Auf den Fahrstrecken selbst sind in regelmäßigen Abständen Kammschaltungen. Wird die übernächste Schaltung nicht vom Wagenkamm getätigt, bleibt es zwei Schalter vorher gesperrt. Das greift in den Steuerkamm des nachfolgenden Wagens, schaltet einfach dessen Motor ab. Geschieht gleichfalls mechanisch über nicht rostende starke Zugdrähte, deren etwaige Beanspruchung weit unter ihren normalen Belastungsmöglichkeiten liegt. Dann allerdings muss man den dicken dunkelroten Knopf erneut drücken um den Motor wieder zu starten", er wies mit dem Daumen zum rückwärtigen Schaltpult. "Sonst kann man hier drin versauern. Man ist dann aber gewarnt, dass irgendwas nicht stimmt, achtet tunlichst in Fahrtrichtung. Ein erneutes Reindrücken des roten Starterknopfes schaltet den Motor wieder aus und bremst das Fahrzeug gleichzeitig. Das gesamte System ist ansonsten praktisch selbststeuernd, benötigt nur hin und wieder Überprüfung und Wartung. Die entscheidenden Teile sind aus Edelstahl, rosten ohnehin so gut wie nicht und sind ziemlich verschleißfest weil recht dick, was selbst Brüche durch Materialermüdung fast völlig ausschließt. Auch in hundert oder mehr Jahren würde das ganze noch problemlos laufen, narrensicher und ohne großartige Wartungseingriffe."

Donnerwetter! wollte ich gerade beeindruckt sagen, kam aber nicht dazu. Lautstark polterten wir im selben Augenblick über eine Weiche, wurden reichlich durchgerüttelt. Linkskurve. Obwohl unser Gefährt bestimmt keine fünfundzwanzig Stundenkilometer schnell, zerrten dennoch deutlich Fliehkräfte.

Mich beeindruckte ausgetüftelte Durchdachtheit dieser Gesamtanlage ungemein. In großen entscheidenden Angelegenheiten frönte man in den Dreißigerjahren und während des grässlichen Krieges ausgeprägter Idiotie, und in anderen Dingen brachte man geradezu geniale Lösungen zustande. Peenemünder Raketentechnik bestätigte dies. Schließlich wurde 'V2' die klassische Rakete schlechthin, und 'V1' begründete heutige Marschflugkörpertechnik. DER klassische Marschflugkörper! - Aber was nützt alle Findigkeit schlauer und kluger Köpfe, wenn an Schaltstellen Hirnlose walten?


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