"Helgachen, mir geht es gerade nicht so überwältigend. Ich hatte einen entsetzlichen Alptraum. Den muss ich mir erst mal selbst ordnen und einordnen. Du weißt ja, wie wichtig ich Träume nehme." Schlankweg geheuchelt. Besondere Bedeutungsschwangerheit maß ich Träumen nur ausnahmsweise zu. Allerdings erfüllte gehabter Traum jede Vorbedingung.
"Ach, das tut mir leid", meinte Helga. "Wenn du geblieben wärst, wäre dir das höchstwahrscheinlich erspart geblieben." Da hatte sie zweifelsohne mehr recht als mir gerade klar.
"Bestimmt, meine Liebe! Und es tut mir jetzt auch leid. Aber gestern Abend war für mich so nicht der richtige Anlass gegeben. Weiß auch nicht, warum." Nicht geheuchelt! "Wir sollten uns die nächsten Tage mal ins Benehmen setzen und ein erneutes Treffen vereinbaren", schlug ich vor und fuhr fort: "Jetzt muss ich mich noch vorbereiten für eine Sitzung am frühen Abend und habe noch einige lästige andere Sachen zu erledigen. Ich erzähle dir bei Gelegenheit, was mich gerade umtreibt. Etliches davon wird dir ziemlich unglaublich vorkommen. Aber ich versichere dir, dass ich nichts mutwillig erfunden habe."
"Oh, das hört sich ernster an", sagte sie teilnahmsvoll. "Mir scheint, du musst dich mal vorbehaltlos aussprechen. Sollten wir baldigst machen." Helga ist sicherlich eine sehr lebenslustige Frau, aber keineswegs oberflächlich und erkennt ernsthafte Zwischentöne sofort. Ihr Anerbieten meinte sie ehrlich.
"Danke Helgachen, das nehme ich gern in Anspruch. Also wir hören dann bald von einander." Damit beendeten wir unser Gespräch.
Durchdringendes Summen erfüllte meine Wohnung, erst jetzt bemerkt. Es klang eigentümlich angenehm und bekannt. Allerdings konnte ich es nicht einordnen. Wo kommt es her und was ist sein Ursprung? Therme im Badezimmer? Nein. Aus dem Sitzungszimmer? Auch nicht. Dort drin herrschte bleierne Stille. - Im Schlafzimmer!
Und richtig. Nach Eintritt klang dieses singende Tönen überdeutlich. Von draußen scholl es nicht. Auch aus der Weckeruhr nicht. Die klingt anders. Dauerton aus meiner Bettstatt. Verwundert durchsuchte ich überaus unordentliches Bettzeug und fand, in Zudecke verwickelt: Den Kreisel!
Erkenntnis- und Erinnerungsteile jagten wild umher, verdrehten in aberwitzige Aneinanderreihungen. Dumpfes Rauschen verstopfte Ohren. Mir wurde schwindlig und der Raum verformte im Blickfeld. Traum und Wirklichkeit überkreuzten. Keine verlässlichen Anhaltspunkte geboten. Fieber? Auch wurde klar, jetziger Zustand überfiel nicht zum ersten Mal.
Das war doch schon einmal gewesen! Oder sogar öfter? schwirrte angstvoll durch Gedanken. Wie spulender Film glitten Bilder am inneren Auge vorbei, ordneten allmählich, sodass vernünftiges Begreifen möglich. Alle zuvor gern verdrängten Ereignisse fanden selbstredend nie als bloßer Traum oder in Einbildung statt. Nein, jene entsetzliche U-Bahnfahrt und letztlich glückliche Begegnung mit dem 'Fee'... Harte Wirklichkeit! - Nur verloren. Oder verloren gemacht?
Obwohl, Träume sind gleichfalls Wirklichkeiten, weil sie unbestreitbar wirken, lediglich auf anderen Ebenen. Der 'Fee' führte aus todbringendem U-Bahnhof in Sicherheit einer unterirdischen Kammer, wo wir gemeinsam einschliefen. Dann folgte mein Traum vom Tod des geflohenen Sklaven in den Donausümpfen. Aufgewacht bin ich hier im eigenen Bett, in meiner Wohnung. Und ähnliches geschah schon einmal, anlässlich erster erschreckender Begegnung mit dem unerklärlichen Schemen. Dort half mir die 'Norne' aus der Klemme, jene ältere Frau im dunklen Kapuzenmantel. Seitdem tauchte in mehr oder minder schöner Beständigkeit dieser Kreisel auf.
Wieder einigermaßen gefangen, setzte ich mich aufs Bett, surrenden kleinen Kreisel in linker Hand, betrachtete ihn nachdenklich. Er schimmerte plötzlich, gab leichte Wärme ab. Blinkende Lichter umtanzten unaufgeregt seine Rundung. Sanftes Schnurren floss flimmernd über Hand und Arm letztlich in gesamten Körper herüber. - Angenehm!
Das Ding verursachte wohligen Zustand. Sonst nur gegeben, wird man von Freundin oder Freund liebevoll beruhigt. - Ist das mein neuer Freund? - Stille Frage und Hoffnung, mir werden eher menschliche Wesen beschieden sein und dies hier bleibe wunderbar nutzreiches Hilfsmittel. Jedenfalls keine Einbildung, dieses 'Dingens'.
Langsam keimte Begreifen: Ich bin in Angelegenheiten geraten, deren Zusammenhänge noch gänzlich verborgen! So einfach wird ein durchaus nüchtern erwägender Mensch wie ich nicht verrückt. Selbstredend, ich erlaube mir eine Menge Ausgefallenes, von Außenstehenden sicherlich als absonderliche Spinnerei gesehen, machte jedoch stets Halt, wenn deutlich wurde, mein Wirklichkeitssinn käme abhanden. Nicht ganz umsonst mit Magie befasst, diesen Wissensstoff erwogen, geprüft und letztlich vernünftige Schlüsse gezogen.
Magie entpuppte als nützliches Denkmuster, gründete auf Wissen um Tatsachen, Gegebenheiten und wechselwirkende Zusammenhänge. Die viel missbrauchte magische Grundanweisung "Erkenne den wahren Namen der Dinge, dann kannst du sie beherrschen!" verstehen nur Hohlköpfe im Sinne, es gehe um irgendeinen unbekannten, ulkigen bis seltsamen, ach so fremd geheimnisvollen Namen.
Gemeint ist, Sachen, Um- oder Zustände genau als das sehen, was sie tatsächlich sind oder bewirken. Hierbei nicht von Bezeichnungen, Beschreibungen und Benennungen täuschen lassen, sondern Auswirkungen und Ergebnisse bewerten und entsprechend einordnen. - Schau dir das Ergebnis an, dann weißt du was es ist!
Lästerer wohlverstandener magischer Verfahrensweisen gebärden meist nicht minder hohlköpfig als jene, welche allen Ernstes glauben, Zaubersprüche oder abwegig verwickelte Namen seien bereits Magie, könnten durch bloßes Aufsagen Änderungen bewerkstelligen. Beide Seiten sind gleich begriffsstutzig, verstanden nichts. Als 'Zauberlehrlinge' fielen sie mit Pauken und Trompeten durch. Jeder zauberisch Verständige belächelt sie nur mit kühler Verachtung. Selbstverständlich gehören Täuschung und Verschleierung zum Handwerkszeug jedes guten Magiers. - Wissen ist Macht! - Macht gibt man nicht einfach so mir nichts dir nichts preis. Niemand tut das. Ganz im Gegenteil. Ständig wird ringsum derart verfahren.
Alle Geheimhaltungen, Fachsprachen, Fachsonderzeichen und anderes Eingeweihtenwissen sind grundsätzlich magisch-zauberische Abläufe. Auch neu oder anders besetzen von Begrifflichkeitswörtern gehört dazu. Ganz besonders eben dieses. Was ist ummünzen von Müll in Altstoff oder von Lüge in 'wissentliche Unwahrheit' anderes? Wort- und Namenszauber erster Güte. Zweiter Güte sind solche Dämlichkeiten wie Jahresend-Flügelpuppen, statt Weihnachtsengel, im Herrschaftsbereich marxistischer Schrumpfköpfe. - Knalltüten!
Sachlich besehen, schien mir der Kreisel kein Zauberding. Körperströme sind erstaunlich kräftig, bringen sogar Heimrechner zum Absturz. Bei genügender Speicherfähigkeit kann damit sicher auch dieser Kreisel betrieben werden. Nur wie es genau vonstatten ging, blieb verborgen. Außerdem wies der 'Fee' ausdrücklich darauf hin, der Kreisel sei von mir noch nicht aufgeladen und könne deshalb keine volle Wirkung entfalten, nur leuchten. Und dies geschah durchaus zufriedenstellend in durchstolperter Lichtlosigkeit des Tunnels. Jetzt offenbar wesentlich stärker geladen, konnte mein 'Wirbler' Einflüsse geltend machen, wozu er in vergangener Nacht ungeeignet.
Nein, mein Verstand drehte nicht durch! Klare Schlüsse erfolgten immer noch einwandfrei. Zum Aufladen musste der kleine Rührfix bestimmt berührt werden oder doch mindestens unmittelbar bei mir sein. Aus dem Arbeitszimmer holte ich ein dunkelblau samtenes Beutelchen steckte den Summenden darein und befestigte alles an einer Gürtelschlaufe meiner Hose. Mal sehen, ob er weiterhin auflud. Falls nicht, benötigt er öftere oder anhaltende Verbindung zur Haut. - Streicheleinheiten? - Allerdings nicht klar, wie höhere Aufladung letztlich aussah oder gar Entladung.
"Na, ich lasse mich überraschen", sagte ich laut, derzeit über mich selbst erstaunt. Eben fast schreiendem Wahnsinn verfallen, durchströmte jetzt Ruhe geschundene Hirnwindungen, wohltuend wie schon lang nicht. Ob der kleine Wirbler seelische Rückkopplungen zustande bringt? - Irres Gerät!
Nun aber zur Tagesordnung. Bitter notwendig. Saumäßiger Zustand hier. Am späten Nachmittag wollte Frau Lessentin zur Sitzung erscheinen. Damen ihres gesetzteren Alters haben beängstigend scharfen Blick für geringste Liederlichkeiten im Haushalt. Auch wenn sie ihr Leben nicht als Hausfrau sondern als gestandene Berufsfachkraft verbrachten. Kurzsichtig ist sie keinesfalls, wusste ich genau.
Angriff auf herumliegenden Krempel, bewaffnet mit Staubwedel und Feuchttuch, betrüblicher Verschmutzung gnadenloser Krieg erklärt. Höllischer Staubsauger dröhnte Gehör weg. Glücklicherweise entfernte dies alte Ding zugleich entsprechend Dreck. - Trotzdem: Eine Mistarbeit ist das! - Stunden später endlich fertig, im wahrsten Sinne des Wortes. Geduscht, Essbares bereitet, in aller Ruhe verzehrt, dann in andere Kleidung gestiegen.
Frau Lessentin, wie immer Pünktlichkeit selbst, klingelte siebzehn Uhr dreißig! An meiner Wohnungstür erwartet, hereingeführt und um einige Minuten Geduld gebeten. Mit Vorbereitung von Tee und Gebäck leider in Verzug. Dies, sowie gute Schlucke Portwein, gehören zu unserem Sitzungsablauf. Sie ist ohnehin eher erfreulicher Besuch, denn bloße 'Kundin'. Unsere ersten zwei Stunden verbringen wir regelmäßig mit Tee schlürfen, Gebäck knabbern und etlichen Gläschen hoch gehaltvollem 'Port', wobei ausgiebiger Erfahrungsaustausch stattfindet. Sie hat stets etwas aus ihrem Lebens- und Tagesgeschehen zu berichten. Häufig von kleinen oder größeren Ärgernissen zahlreich alter Freundinnen und Bekannten.
Heute jedoch wichtig: Lausig Al Allerlausig, der Schnitzbucklige aus Bagdad, König der Magier und Hellseher, Herr des Weißen Zirkels!
So ungefähr selbstbenannt, bereits einige Male auf unserer Tagesordnung. In irgendeiner verpinkelten berliner Gegend betreibt er ein Zauberbüro, schreibt mit fleißiger Beständigkeit 'magische' Briefe aus London an alle möglichen und unmöglichen Leute. Darin bietet er Zauberhilfe gegen sämtliche böswilligen Mächte und Menschen, welche Empfängern seiner Anschreiben Übles wollen. - Was sonst?
Selbstredend kommt dessen übernatürliche Einsatzfreude nicht billig. Gering günstiger, seinem 'Weißen Zirkel' beigetreten. Hier sei dann, gegen albern mindere Monatsgebühr von etwa hundert Mark, Rundumschutz wider alle Anfeindungen aus Geister- und Menschenwelt geboten. Besondere Wünsche werden besonders berücksichtigt, selbstverständlich auch 'besonders' berechnet. - Kleiner Schelm!