Kring 01, 08. Kapitel, Seite 61

 

 
   
 

 


Die immens belebte Einkaufsstraße quillt förmlich über von Menschen. Empfindsamere Gemüter laufen hier schneller Gefahr, in Platzangst verfallen, als anderswo und zu anderen Zeiten. Gedrängel, wo man auch hinkommt oder hinsieht. Raumraubende Straßenhändler zwischendrin, nebst unvermeidlichen tonerzeugenden Geräuschdarbietern, welche mehr oder minder gekonnt unterschiedlichem Klangzeug oder sich selbst Laute entlocken. Nicht unberechtigter Hoffnung, ausreichend Dumme finden, die für zusätzliche Aufstockung ohnehin hochlodernden Lärms Silbergeld wegwerfen. Rücksichtslos alles durchpflügt von rücksicht-losen Radlern und Rollern, die sich selbst schrecklich umweltschonend wähnen. Wahrscheinlicher gar, keine bessere Verwendung ihrer meistenteils sinnlos teuren Gerätschaften wissen. Irgendwem müssen zwei bis mehrtausend Mark ja vorgeführt sein.

Von Seiten einer italienischen Eisdiele dringt vollstimmig Umtreiben von Gästen und Bediensteten. Bei derzeit regenlosem Wetter spielt der Hauptbetrieb im Bereich vielzahliger Stühle und Tische, vor weiträumigem Eingang aufstellt. Eitlen Wünschen nach sehen und gesehen werden Rechnung getragen. Faulige Dünste streichen dorther, verursacht vom ,Kapuzenkaffe'. Stets neu erstaunlich, wie es gelingt, selbst frischem Schwarzgebräu Geschmack stundenlanger Abgestandenheit auf Heizplatten zu verleihen, mit heißer Milch in graue Farbe erledigt.

"Zwei Kaputtschinos bitte!" erschallt aus verstandesdumpfer Quelle. Näselnd angeberisch, in umgekrempelter Stumpfheit: "Due Cappuccini prego!" Zumindest schwafliger Schickeria schadlos entronnen. Geschwätzige Eisdielengesellschaft.

An solchen Untönigkeiten vorbei führt quirliger Weg ins flache Einfachkaufhaus gegenüber. Es lockt mit billigen Auslagen an teure Obst- und Gemüsestände. Dabei sind letztere Angebote nicht mal sonderlich umwerfend. Umsicht ist hier besser als Nachsehen haben. Trotzdem wird Schlendern zwischen Plunder, Kitsch und Krempel zuweilen von Schnäppchen gekrönt. Durchaus fröhliches Erlebnis der absonderlichen Art. So man es liebt. Und warum auch nicht?

Angesagt gerade: Falsche Pendeluhren! Aufgemacht wie jene aus Urgroßmutters Zeiten, welche unablässig tickend und tackend die peinliche Stille verlorener Gesprächsfäden maßen. Mindestens alle volle Stunde erscholl daraus Herzanfälle verursachendes Getöse. Schier nicht enden wollend an vorgerückten Tageszeiten. Gipfel ausgesuchter Scheußlichkeit: Die Dinger mit Westminstergong!

Dennoch irgendwie grausam gemütlich. Selbst im Schrecken fallengelassene Sammeltassen und -teller gehörten dazu, wie der Aufziehschlüssel am Boden glasdurchbrochenen Holzgehäuses. Nicht vergessen, der berüchtigte Röhrende Hirsch, allenthalben Wohnstubenwände verschandelnd. Ludwig-Ganghofer-Bücher drohten aus Regalen, Kindern unverdiente Qualen von Johanna-Spyri-Bänden zugedacht. Beider Geschreibe reine Verbriefung grauenvollster Langeweile. Kein Karl May nirgendwo. Geschweige denn, Jules Verne. - Franzosenkram, das! - Alles untermalt vom schaurigen Geklimper eines Klavierkonzertes, welches aus Stoffbespannung dunkel gelackter Holzkisten entstaubte. Und draußen regnete es in Strömen!

Ehre dem Schrott in hohen Regalen
die Hölle auf Erden
tratschigen Tanten ein Wohlgefallen

Vorteile bieten die falschen Pendeluhren in Möglichkeit, das Läutwerk ab- oder auf unterschiedliche Klangfolgen umstellen. Sogar River-Kwai-Marsch und Heidschibumbeidschi. Das und ähnlicher Quark kann man schlicht und ergreifend mit einfachem Knopfdruck am Uhrwerk selbst auswählen. Selbstverständlich sind es keine Uhren mit Gewichten oder Triebfeder, sondern ganggenaue Zeitmesser mit Quarzwerk. Somit recht billige Massenware aus ostasiatischen Breiten. Wenn auch wesentlich zuverlässiger in Zeitanzeige, als Urgroßmutters Ungetüm. Pendel und damit erzeugter Tick-Tack-Klang können ohne Beeinträchtigung eigentlichen Nutzens außer Betrieb gesetzt sein. Reinen Vortäuschungszwecken dient deren Holzgehäuse. Nicht einmal aus Eiche oder Mahagoni gefertigt, sondern entsprechend eingefärbte Art Pressplatte mit Holzbeimengung und verlogener Maserung. Nur Glasscheiben in Tür und Seitflächen scheinen tatsächlich echte. Auch das Pendel! Aus versiegeltem Messing gefertigt, muss es wertvollstes Teil des leimend verleimten Plunders sein.

Von insgesamt erstaunlich schön unverschnörkelter Gestaltung, zieht letztlich jene goldblanke Pendelscheibe Blicke des Betrachtenden in unwiderstehlichen Bann. Handtellergroß spiegeln in leichter Wölbung Gesichter, Raum und Umgebung. Vorbeigehende huschen darüber, werden größer und wieder kleiner. Alles getaucht in verklärendem Goldton. Öffnen verglaster Rahmentür verstärkt diesen Eindruck, weil das Glas keine störende Spiegelung mehr wirft. Scheibenmitte blinkt im Leuchtstoffröhrenlicht. - Und das Pendel beginnt von selbst sein Wiegen. Zeitland schwingt im Hintergrund auf...

Eigenartige Eindrücke rückten Dram entgegen, nachdem er die pfadenge Schlucht des Gebirgspasses durchquerte. Keine Sonne erreichte den Grund des schachtartigen Einschnittes. Noch eben im Zwielicht Schritte gesetzt, gebar erreichtes Ende überraschende Helligkeit, wie erstarktes Morgenlicht. Klar und untrüglich; gleichviel nach verflogenen Frühnebeln.


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