Kring 01, 07. Kapitel, Seite 54

 

 
   
 

 


Ganz und gar unerklärliche Örtlichkeit. Zweifelsohne städtisch anmutender Platz, was keineswegs bedeuten musste, diese Gesamtumgebung sei tatsächlich eine solche oder gemachte Einstufung stimme. Von Häusergrößen her besehen, konnte durchaus auf großstädtische Gegebenheiten geschlossen werden. Obwohl ähnliche Baulichkeiten auch in Gemeinwesen stehen, die vernünftigerweise als verstädterte Dörfer angesehen sein müssen. Großstadtnähe ist dann allerdings unabweisbar. Letztendlich läuft alles auf dasselbe hinaus und ist nur wichtig, um den eigenen Standort festzustellen.

Danach fragte ich mich aber nicht. Mir war auch nicht klar, wie ich hier hergeraten bin. Völlig gleichgültig. Müßiger Gedankengang. Warum sollte mir daran gelegen sein, wissen wo ich bin? Ich war hier. Und das genügte.

Genügte? - Eigentlich nicht so ganz. Wer bin ich eigentlich? Wie heiße ich?

So sehr ich auch nach Antwort suchte, mir fiel nichts ein. Schließlich auf nächstliegenden Gedanken verfallen, mich selbst irgendwie in Augenschein nehmen. Aber wie und wo? Einen Spiegel gab es weit und breit keinen. An meinen Haaren auf dem Kopf nichts eindeutig erkennbar, als ich hineingriff. Halblang gehalten, würden sie durchaus von Männern und Frauen so getragen. Mein Blick wanderte Brust, Bauch und Beine abwärts... bekleidet mit beigefarbener, weiter, dünner Sommerhose, darüber hellblauer Nicki. Altmodisches Ding. Hose? - Tatsächlich!

Was bin ich eigentlich? Mann oder Frau? Mein erster Eindruck aus unerfindlichen Gründen, ich müsse Frau sein. Was sprach dafür? Nun, ich besaß unzweideutig echten Busen. Sicher keinen riesengroßen aber durchaus ansehnlichen. Bodybuilder-Brustmuskeln von Männer zeigen jedoch kaum Unterschied. Wieso und was ist das? Doch dann bestachen auch noch sonstige ausgesprochen weibliche Körperformen, das breitere Becken und offensichtlich fehlende Ausbuchtung zwischen Beinen. In dieser dünnen Hose bei einem Mann durchaus ersichtlich. Ach, wirklich?

Trotzdem. Ich könnte ja Transsexueller sein. Wie kam ich jetzt bloß auf diese Ansicht? Und woher wusste ich so etwas? Kurzen Augenblick lang überfiel gewisse Panik, die aber sofort wieder schwand. Gleichmütige Ruhe des ersten Gedankens vom Anfang meiner vorhin seltsam überraschenden Bewusstwerdung nahm Besitz. Um ganz sicher sein, wollte ich meine wirkliche Beschaffenheit gleich und sofort untersuchen.

Verstohlen schaute ich kurz herum. - Keine Menschenseele. Alles still. Nichts regte irgendwo. Nur leichter ständiger Wind wirbelte hier und da etwas Staub über den Platz. Entschlossen den Nicki ein Stück über den Bauchnabel gerollt und darunter gegriffen. Kein Büstenhalter. Ganz normale Brüste, fest und weich zugleich. Auch deren Nippel von Art und Größe, wie sie selbst bei Männern mit ausbeulenden Brustmuskeln niemals sein konnten. Darin mir vollkommen sicher. Woher meine Sicherheit? Und wie ist es bei Transsexuellen? - Schon wieder diese leidige Vermutung!

Ich ging auf Nummer Sicher, öffnete die Hose. Der Slip darunter auf jeden Fall ein Wäschestück wie es gewöhnlich nur Frauen anziehen. - Und Transvestiten und Transsexuelle natürlich! Verdammt, wieso kam dies andauernd in meinen Kopf? Mit der rechten Hand fühlte ich misstrauisch in den Slip, zog ihn am Bund vom Bauch weg und sah hinunter. Mittelbraune Behaarung kräuselte dort in flaumigem Dreieck. Nichts zurechtrasiert oder so. Mutiger geworden, fühlte und fingerte ich forschend im Schritt. Kein Zweifel, und aus tiefem inneren Gefühl heraus fest überbezeugt: Diese Musch ist echt! Ich bin ein weibliches menschliches Wesen. Was denn sonst, zum Donnerwetter?

Nachdem alles abgeklärt, kam wieder unendliche Ruhe und Gelassenheit, was nichts weiter zuließ, als hier weilen, atmen, schauen, fühlen, hören. Einfach nur da sein und keine Fragen haben oder stellen. Völlig darin abermals aufgegangen, sah ich mich jetzt ohne sonderliche Wissbegierde erneut um, wollte nichts willentlich entdecken. Was könnte man hier schon Neues finden? Es gab nichts, das meine Neugier in irgendeiner Weise herausforderte. Der Platz schien bekannt. Und doch wieder nicht. Vielleicht bin ich schon mal mit Auto oder Bus oder auf andere Weise durchgekommen? Zudem gibt es viele Umgebungen, einander ähnlich wie das berühmte Ei dem anderen. Sie hinterlassen keinerlei greifbare Erinnerungsstücke.

Erinnerung? Erinnern konnte ich mich auch an nichts und doch wieder an alles. Ich wusste und wusste doch wieder nicht. Kannte alles, war dennoch endlos befremdet. Nicht allein hier, spürte trotzdem genau brennendes Einsamsein, fühlte keine echte Beziehung oder Verbindung zum Dargebotenen. ES war eben da. Ich war da. Unhinterfragbar. Nicht bezweiflungsfähig. Ohne Vergangenheit. Zukunftslos. Nur hier und jetzt. Gelebt und ungelebt. Bewegliche Erstarrung. Erstarrte Bewegung?

Kastenförmige Gebäude begrenzten mehrgeschossig den Platz, meistenteils vier bis fünf Stockwerke hoch. - Wohnmaschinen! Abartig menschenfeindliche Scheußlichkeit der Bauhaus-Architektur. Seelenlose Abstraktionen, entwichen aus Köpfen universitärer Vermessenheit. Selbstverständliche Tatsache gewalttätig missachtet, dass Menschen nicht in akademische Vorgaben pressbar. Etliche jener Bauhauskisten besaßen nur drei oder zwei Geschosse.

Jeweils an Längsenden des etwa dreihundert mal fünfhundert Meter messenden Platzes reckten zwei größere Gebäude neun und zehn Stockwerke weit zum Himmel. Das zehngeschossige entsprang kranker Vorstellungswelt eines ,Le Corbusier' und ergänzte damit sämtlich ungesundes Stein- und Betongemengsel.


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