M'Beeki machte bedauerndes Gesicht. "Wir können dir auch nicht alles sagen. Auch wir waren einmal in deiner Lage, wenn auch jeweils die Umstände für jeden einzelnen unterschiedlich sind oder waren. Aber wir können bestimmt nachfühlen, wie wirr dir das alles vorkommt. Auch wir waren irrsinnig verwirrt. Wir können dir aber deswegen keine erschöpfende Auskunft geben, weil die Umstände für dich ganz andere sind als für uns vormals. Es sind nur Grundähnlichkeiten da."
"Lieber Freund", sprach der Überschlanke mich an. "Im Grundsatz sind wir alle hier, weil wir eine besondere Eigenschaft oder besser gesagt Gabe, Begabung haben. Diese Begabungen und Eigenschaften unterscheiden sich erst einmal sehr stark, weshalb auch die Hinleitungen zur jetzigen Gesamtlage für jeden von uns ganz andere. Nicht unbedingt so erschreckend, wie mir von dir zu Ohren kam. Obgleich ich sagen muss, wenn ich mich so zurückbesinne, dass ich mich mit Händen und Füßen gegen die unausweichliche Tatsache sträubte, kurz vor einem geistigen Totalzusammenbruch stand. Für dich sind die Dinge, um die es dabei geht, nicht so ganz fremd und vollkommen ausgeschlossen, Weissager - Träumer! Habe ich recht? Für mich war das ziemlich schlimm, Lebensansichten über Bord werfen zu müssen, mit denen mein ganzes Selbstverständnis auf dem Müll landete. Ich will damit deine eigenen Schwierigkeiten nicht kleinreden. Beileibe nicht! Denn ich kann mir gut vorstellen, mein Freund, was du hinter dich gebracht hast. Bitte begnüge dich vorerst und für die nächste Stunde damit, denn selbst wir können dir nicht alles sagen. Du wirst es aber in Kürze erfahren."
"Soviel können wir aber sagen," meinte M'Beeki. "Du warst schon seit längerer Zeit im Blickfeld und standest unter gewisser Beobachtung. Nicht unbedingt meiner oder seiner." Er wies auf den Überschlanken. "Du hast ja selbst erlebt, dass du einen gewissen Schutz benötigtest. Nicht wahr? Du bist von Wichtigkeit für gewisse Kreise."
"Ich?" platzte aus meinem Mund. "Wieso denn ich? Ich bin niemand so besonderes. Und was soll das denn heißen, gewisse Kreise?"
"Doch, mein Freund, du bist jemand besonderes!" meinte der Überschlanke bestimmend. "Es ist dir nur nie so sehr bewusst geworden, weil du in deinem Leben drinstecktest, so wie es bislang für dich war. Du bist nach deiner Ansicht niemand besonderes, weil du niemand besonderes sein wolltest. Du hast dich bestimmt immer wieder einmal gefragt, warum du nicht einfach so vor dich hinleben kannst, wie alle anderen in deiner Umgebung es ganz selbstverständlich tun. Gleichfalls immer wieder mal gefragt, warum du Dinge und Umstände nicht einfach so hinnehmen und belassen kannst, um dich darin einzubringen, darin herumschwimmen wie ein Fisch in seinem ureigenen Element, dem Wasser. Du hast immer danach gestrebt, hinter die Dinge zu schauen, sie ergründen, erkennen. Dein Leben wäre nicht so verlaufen, wie es verlaufen ist, hätte das nicht all die Jahre in dir gewühlt und Unruhe erzeugt. Du wolltest durch zur Schau getragene Untätigkeit drückende Fragen aus deiner Welt schaffen. Es ist dir nicht gelungen! Sei ehrlich zu dir selbst, mein Freund, dann ist es nicht mehr so schwierig, das unwillkommene Unbegreifliche willkommen zu heißen, es annehmen und letztlich verstehen. Du bist etwas sehr besonderes sogar, du hast eine ganz besondere Begabung: Du bist der Träumer! - Um diese Begabung geht es nämlich, und deswegen bist du auch in Lebensgefahr geraten. Wir alle sind einmal in gleiche Gefahren geraten, aus denen wir aus eigener Kraft gar nicht mehr herausgekommen wären, wenn nicht ,der Kreis' ein wachsames Auge auf uns gehabt hätte."
"Der Kreis!" Ich grinste höhnisch. "Du meine Güte, das hört sich ja irgendwie hochtrabend an. Macht ihr Witze? Ist das hier ein schlechter Film?"
"Es ist kein Witz und auch kein schlechter Film, sondern eine zutreffende Bezeichnung. Du bist dem Schemen, dem Schatten begegnet", meinte M'Beeki ernst. "Bisher hatte er dich noch nicht gefunden. Aber zwischenzeitlich ist er auf dich aufmerksam geworden, hat die Jagd nach dir aufgenommen. Nur knapp bist du ihm bereits dreimal entkommen. In allen drei Fällen wäre es nicht so verhältnismäßig glimpflich verlaufen, wenn nicht jemand aus dem KREISEL zugegen gewesen wäre und Besitzergreifen, wahrscheinlich schlimmeres, gerade noch verhindern konnte. Du wirst bei deiner ersten Begegnung ein schnarrendes Geräusch gehört haben. Der Schatten versuchte in eines unserer Tore einzudringen. Dieses Schnarren ist eine Trägerwelle, welche eine weitere Welle verbirgt, ihn abhält und letztlich vertreibt. Die Macht bestimmter Töne und Tonfolgen ist viel gewaltiger als wir uns das gerne eingestehen möchten. Ich als 'Neger' kenne die Auswirkungen aus meiner eigenen Kultur. Bei uns ist es noch nicht verpönt zu glauben, dass solches große Wirkung verbreiten kann. Durch reinen Zufall - aber was ist schon Zufall? - bist du gerade in diesem Augenblick in der Nähe gewesen und der Schemen bemerkte dich das erste Mal. Sofort versuchte dieses Ding dich auszuschalten, sollte es dich nicht unmittelbar übernehmen können. Glücklicherweise war eine unserer Freundinnen des Kreisels gerade dabei dich zu beobachten, möglicherweise unauffällig mit dir in Verbindung zu treten..."
Aha! Ich verstand. Die 'Norne' also gleichfalls keine Einbildung, vorgegaukelt vom Schock, sondern tatsächlich so etwas wie ein Schutzgeist, eine Fee.
"... um dich nach und nach auf das hinzuführen, worin du so verhältnismäßig unsanft hineingestoßen wurdest. So war das nämlich nicht gedacht, dich sofort durch eines der geheimen Tore in Sicherheit bringen zu müssen. Aber du warst verletzt und wärest auch sonst eine leichte Beute des Schemens geworden. Schließlich konntest du nicht wissen, wie du dich zu schützen hättest. Das ist ja selbst mit unserem geliebten Wirbler nicht ganz einfach, wenn auch recht sicher. Lass es aber im Augenblick erst mal gut sein, Runardt. Es ist vielleicht besser, wenn nicht alles auf einmal auf dich hereinstürzt."