Früher Vormittag. Helle Sonne erreichte den Höhleneingang. Die Elster schien längst verschwunden. Er breitete all seine Sachen in wärmende Sonnenstrahlen, verbliebene Klammheit vertreiben, genoss unbekleidet wohltuenden Einfluss des Tagesgestirns. Dram brach nach kurzem Frühstück auf.
Derart gewunden wie am Anfang führte der Pass nicht mehr durchs Gebirge. Im Durchschnitt anscheinend breiter geworden. Jedenfalls rückten dessen Steilwände nicht mehr so oft und so nah aneinander. Vormals öfters Eindruck geboten, Felsen suchen beieinander Schutz oder wollen Wanderern schmalen Weg verlegen. Wie die Schlucht weitete, so verkürzte alles unerklärlich. Nicht, dass Dinge kleiner würden. Auch Entfernungen nicht geringer. Ebenso wenig verliefen Bewegungen langsamer. - Nein, dieses unmessbare ,Verkürzen' entsprang dem Gefühl. Dram kannte das Gefühl. - Und doch wieder nicht. Kein Bestimmen möglich, kein Festhalten oder Benennen. Noch weniger konnte er sagen: Das ist Es!
Am späteren Nachmittag gelangte er ans Passende, schaute auswärts in lichtes Land. Im ersten Eindruck jenem Land aus dem er kam zum Verwechseln ähnlich, wenn auch ohne ersichtliche Spuren von Landwirtschaft. Auch keine Häuser in Weite verteilt. Hügelige grüne Landschaft. Aus erreichter hoher Warte übersehbar bis an fernliegende Berge, welche verwunschen in dunstiger Luft verschwammen. Schweigendes Land. Nirgendwo Regung. Kein Lufthauch berührte. Kein Laut drang heran. Dennoch musste Leben sein. Nur viel gemacher als gewohnt. Trotz Sonnenschein und fehlendem Wind, nicht heiß. Angenehme Luft, leicht zu atmen, ohne bemerkbaren Eigengeruch.
Von Drams Standort führte einladend breiter Sandweg abwärts in Hügel. Letztere wallten tiefer gelegen gut halbe Meile vom Schluchtausgang. Bis zum Abenddämmern sicher noch drei Stunden Zeit. Dram wollte kommende Nacht unten verbringen, im Schutz einer der vielen Baumkronen, und frisches Wasser sollte dann auch in Reichweite sein. Er ging in sanft gewiesenen Abstieg des Weges. Leicht gewundene Richtung. Hier und da stachen Grasbüschel aus dem Sandpfad. Sehr überraschend, wie unglaublich zäh und widerstandsfähig diese Halme wuchsen, Schritt und Gewicht kaum nachgaben, nur wenig und unwillig neigten. Dram umging sie lieber, bevor er unerwartet stolperte. Nach wohl zwei Meilen Weg ragten unweit alte Bäume, breiteten flatternden Schatten, den er für kurze Rast nutzen mochte.
Vom Pfadsand abgewichen, führte jeder Schritt ins Harte und Unbewegliche. Je ferner vom Weg, desto unnachgiebigere Gräser. Auch alle anderen Pflanzen verhärteten bis zur Weise von Fels oder Glas. Entsprechender Untergrund. Selbst kleinste Erdkrumen, Sandkörner und Steinchen ließen sich nicht fortstoßen oder niedertreten. Sie blieben, unverrückbar. Kein Grashalm zerbrach oder knickte. Alles verharrte in unüberwindlicher Starre. - Steiniges Leben. Lebendes Gestein.
Dram verzichtete auf seine Rast, kehrte zum Weg zurück, wollte weiterziehen. Hier war der Sand zwar fest, aber er gab weich federnd nach. Allerdings wirbelte er nicht auf. Auch Staub haftete nicht ans Schuhwerk. Jetzt erst bemerkt, dass keine Fußspuren hinterblieben. Links und rechts vom Weg befindliche Gebüsche wiesen sanftere Beschaffenheit auf als befürchtet. Jedenfalls schnitten oder stachen sie nicht. Doch blieb klar, wie undurchdringlich sie standen. Kein einziges Blatt und schon gar kein Zweiglein bräche, ließen Durchgang schaffen. Jede Mühe aussichtslos. Dram versuchte es gar nicht erst.
Wuchsen sie wirklich oder warteten sie dort seit längst unvorstellbarer Zeit? - Zeit? Tatsächlich Zeit? - Aber was sonst?
Niedere Felsengruppe geriet ins Blickfeld, umstanden und bewachsen von Bäumen und Büschen, worauf der zwei Mannslängen breite Sandpfad zuhielt. Dram erhoffte geeigneten Rastplatz. Begangene Strecke führte in deren Mitte. Zwischen den Felsen eine Art Tor. Baumkronen überwölbten. Fortan verlief der Weg groß gepflastert und sandbeweht, gefriedet von hüfthohen, flach geglätteten Findlingen, beständig talwärts zu einem Hain. In klarer Luft stiller Umgebung deutlich sichtbar. Kurze Rast später durchschritt Dram das blätterbeschattete Felsentor.
Er konnte nicht sagen, worin die Veränderung bestand. Doch zweifelsohne Veränderung! Steine des Pflasters und der Wegeinfriedung glitzerten körnig vielfarben. Nicht schillernd oder gar bunt. Es waren und blieben ,gewöhnliche' Felsenstücke. Gestaltet und zugleich belassen in ihrer Eigenart, bildeten sie kunstvoll ungekünstelt wirkendes Spalier. Jeder anders, und trotzdem alle gleich. Jeder einzelne schimmerte unterschiedlich. Doch schimmerten alle. Verschieden in Größe, Art und Gestalt, blieben sie des ungeachtet Gesteine. Keine sogenannten Edelsteine, auch nie je gewesen, wirkten sie über alle Maßen edel.
Durchbrochenes Schweigen. - Lautlos! - Offenbarten in Reihe gelegte und gesetzte Steine ihr Wesen, erfreut über Drams Ankunft? Begrüßten sie ihn lang geträumt und erwartet in ihrer Mitte, wollten ans Ziel leiten? - Augenscheinlich!
Ohne Rede gesprochen
Ohne Sprache geredet
Ohne Laut gerufen
Stumme Worte erzählen
Flüsternde Grenzen gleiten
Schnurstracks in Zeitmitte
Ziel und Gedanke
Suchender Schau
Fragen begrüßen
Freiflächen warten
Gesicherter Wanderweg
Antwort glitzernder Funken