Zwischen den warmen und zugleich kühlen Felsenfreunden sei er sicher, wusste Dram nun. Sie werden ihn dorthin führen wo er sein wollte, bildeten Weg und Ziel zugleich im stillständig verharrenden Land. Zügig aber ohne Hast wanderte er zum Hain, schätzungsweise zwei Meilen entfernt. Je näher, desto deutlicher dessen wahre Ausdehnung.
Fast eine Meile im Runddurchmaß, viel eher Wald, denn bloßer Hain. Ränder zum Schweigeland von wild gewachsenen kräftigen Dornenhecken geschützt. Undurchdringliche Verschlingungen verwehrten Aus- oder Eintritt. Mächtige Bäume dahinter. Lebender Wall mit Blüten, Beeren und dicken Dornen. Starkarmige Rosengewächse bildeten hohes offenes Tor. Darin mündete der Weg. Dram sah das Laub aller Hainbäume in leichter Brise schwingen. Doch davor rührte kein Lufthauch. Stillstand und Schweigen! Kein Laut drang herüber.
Durchschreiten des stacheligen Tores änderte alles. Dornheckenfilz bewuchs wuchtigen Erdwall. In dessen Durchlass ein neun große Schritte lang messender Hohlweg. Sicherlich umschloss dieser Wall den gesamten ,Hain'. Hier weste anscheinend gewohntes Leben. Unaufdringlich aber deutlich. Auch zuvor lediglich gesehene Brise umwehte jetzt fühlbar. Vogelstimmen.
Kaum andere Wegbeschaffenheit. Lediglich jene hüfthohen Randsteine ab hier in mannslangen Abständen gesetzt. Allerdings glitzerten sie und ihre Geschwister im Pflaster weiterhin freundlich vielfarbig im Schatten blättriger Baumkronen. Wenn auch verhaltener als im hellen Licht äußerer Welt. Teilweise bewachsen von Moosen und Flechten, vermischt mit Gräsern und anderen Sprossen, verziert mit Besonnenheit. - So wirkten sie jedenfalls.
Unterschiedliche Bäume zum Hainwald versammelt, verschieden in Alter und Art. Mischwald, dicht und gleichzeitig licht, durchschwirrt von Kerbgetier, durchstreift von den Völkern der Wälder am Boden und oben in luftigen Kronen. Leicht gewunden lenkte steinerne Wegreihe wohl zur verborgenen Hainmitte. Blattkronen hoch aufragender Bäume überwölbten sachtgrünen Tunnel, dessen Großzügigkeit kein Engegefühl anklingen ließ.
Beidseitig grasten entfernt einige Pferde im dichten Waldrasen. Schimmel! Sie entdeckten Dram, musterten ihn aufmerksam. Rechts her nahten zwei ohne Eile, setzen nachgerade gemessen ihre Hufe. Zwischen weiten Wegsteinlücken hindurch kam eines, ein Hengst, auf den Weg zu Dram, berührte ihn mit Nüstern, schnaubte beruhigend. Weißpferd mit roten Augen. Alle anderen schienen von gleicher Art. Der Hengst genoss Drams streichelnde Hände, stupste ihn vorsichtig und trabte zu seinen Gefährten zurück. Das andere Weißpferd, gerade erst Fohlenalter entwachsen, begleitete Dram ein Stück weit neben dem Weg. Nach vernehmlichem Wiehern stieg es vorn auf, warf übermütig herum, sprengte zurück zur kleinen Herde.
Dram folgte Windungen des Pflasterpfads. Nicht ersichtlich, was hinter nächster Biegung liegen mochte. Irgendwie erwartet und doch überraschend, nach viel längerer Dauer als gedacht, mündete steinbegleiteter Weg in reichlich über hundert Schritt durchmessende Lichtung. Erhabener Baumriese überragte deren Mitte, dessen Krone fast halbe Lichtung überdachte. Gewaltiges Wurzelwerk warf im Verlauf langer Zeiten mächtigen Hügel auf, sicherlich dreimal höher als Dram.
Wenig außerhalb des Baumkronendaches umgaben den Riesen zwölf Steinsäulen im Kreis, hoch wie jener vom Wurzelgriff gehäufte Hügel. Ihre Gestalt fast gleich in Größe und Breite, schienen sie sämtlich aus demselben rötlichen Gestein gelöst. Allerdings leicht in Formung unterschieden. Weitgehend belassen im Urzustand, ohne gehauene Ecken und Kanten, jedoch keineswegs rund. Völlig ohne künstlichen Zierrat, wirkten sie gewaltig, wundersam beeindruckend, nur durch bloßes Sein. Halblanges Gras bedeckte gesamte Lichtung. Deren Rand besetzten dieselben hüfthohen Steine rundum, welche bislang den Weg säumten. Hier stets zwei Mannslängen Abstand dazwischen. Sanften Plätscherns von dunkler Quelle gespeist, am Hügelfuß ein Teich. Gefasst von unregelmäßigen moosigen Gesteinen, entsprangen Wässer dem Wurzelberg. Steinplatten in Schrittabstand führten an Quelle, Teich und Hügel. Letzteren bewuchsen etliche dichte Gebüsche.
Voll Staunen und unbestimmbarer Ehrfurcht ging Dram bedächtig zum Wasserspender, trank klingende, murmelnde Klarheit. Erfrischt wie kaum vorher wieder aufgerichtet... Mildes Erschrecken! - Eine Frau stand neben ihm, plötzlich von irgendwoher erschienen, ohne Laut oder hörbaren Tritt. Seit vorgestrigem Morgen niemandem mehr begegnet. Und nun diese Unverhofftheit.
"Oh, es tut mir leid! Ich wollte dich nicht erschrecken. Mein Schritt klingt leicht. Manchmal wie Nebel", entschuldigte sie mit wohltuender Stimme.
"Ich bin nur ein wenig erschrocken", entgegnete Dram. "In den letzten Tagen bin ich keinem außer einer Elster begegnet."
"Ich weiß", sagte sie lächelnd. "Wer hierhin kommen will, trifft niemanden außer ihr."
"Du weißt das?" staunte Dram.