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Abermal, Kapitel 21, Seite 06

flackert


Zum zäh weichen Pfad geriet Asphalt unter Sohlen. Klebrig, trotz fehlender Hitze. Autos zischten vorbei. Verkleinerten rückwärtig in graue, übelriechend knurrende Spielzeuge. An Straßenrändern abgestellte Motorwagen änderten ihre gewaltsame Gestalt, hoben als dunkel verbeulte Luftfahrzeuge vom Boden ab. Sie zogen Fäden, wirbelten herzlos und sprangen aus dem Sichtfeld. Unverstanden schnellten Stimmfetzen heran, blieben gleißend kurz stehen, flutschten fort. Grellbunte Gummibänder. Flimmernde Lautfolgen verstummten dünn, machten anderen Platz. Augenpaare brannten nieder, stellten wortlos Fragen nach Sinn und Zweck. Welche Antwort? Kopfschütteln folgte. Wasserpfützen spritzten kalte Flüssigkeit nach allen Seiten, sogen seine Füße immer wieder genau in die Mitte. Fangende Löcher aus hellerem Blinken schmutzigen Inhalts.

Beständig sah er am Ende des windenden Schlauchs Licht, verfolgte unbeirrt sein Ziel. Was sollte er sonst tun? Alles flog vorüber, bekannt, vertraut, dennoch fremd und feindlich. Dunkelheit drängte in die kleine Stadt. Wieder schwand ein Stück Glanz, Farbe und Klarheit, gefressen vom Dieb. Erfried blieb stets auf der Hut, wollte keinem Alben in offene Arme laufen. Allerdings könnten auch andere verfolgen, überwachen.

Ist das diese Schwarzaugenfrau aus dem lächerlich utopischen Bungalow, dessen krank schachtelige Gestaltung böse Ecken in Gegenden grub? - Nein, doch nicht!

Erstaunlich viele Leute beäugten ihn unterwegs abschätzig. Missbilligung! Seiner ansichtig, fragten sie einander verstandesfrei, wieso dieser unmögliche Junge am Sonntag dermaßen heruntergekommen herumlief? Was rennt der wie ein Wilder durch Straßen und Gassen? Ging dieser heranwachsende Lümmel nicht in die Kirche?

Dauerlauf über gesamte Strecke. Triebmäßig hetzte Erfried Füße voreinander, unterbrach nur wenige Male schwer atmend, schöpfte versteckt hinter Baumstämmen und Mauerecken oder in Hauseingängen neue Kraft. Irgendwie die Bachgasse erreicht, stand er endlich vor der Haustür, fühlte trügerische Sicherheit, griff in seine Hosentasche...

Meine Schlüssel! Schlüsselbund im Haus an der Ronnburg vergessen! Hoffentlich ist Mama schon von ihrer sonntäglichen Kirchrunde zurück und nicht mit Reinhild bei Bekannten oder nach dem Mittagessen spazieren!

Er drückte den Klingelknopf. Vom Turm der klotzigen Kirche am Marktplatz schallte dritte Nachmittagsstunde. Regenschwere Wolken bedeckten bleiernen Himmel. Nach kurzem Zuwarten summte der Türöffner. Neuer Luxus, erst vor einigen Monaten in das alte Gassenhaus eingebaut. Erleichtert drückte Erfried gegen die Haustür, schob sie sorgfältig wieder in Verriegelung, eilte Treppen hoch. Atemlos vor geschlossener Wohnung. Hart klopfte er gegen Holz und lauschte ins Stille. Schließlich näherten drinnen Schritte. Wohnungstür schwang zurück. Grau im Gesicht sah ihn seine Mutter an.

Eleonore Gundeleit standen Schrecken gestrigen Abends deutlich ins Gesicht geschrieben. Deutlich kerbte Erinnerung eiskalt steigender Schatten des dunklen Fremden, welche trafen, hoch krochen, lähmend saugten. Zwanghaft dachte sie wiederholt an Augenblicke, in denen untrüglich feststand, es gebe Dinge und Wirkungen, wovon sie noch niemals hörte. Dagegen half kein Gebet und keine Kirche. Und ihr Gott ließ sie hohnlachend hoffnungslos im Stich, verkam zum greinenden Gespenst.

Gerade noch schaffte sie es späten Abend zuvor, schloss die Haustür auf, während schmerzende Kälte erst Füße, dann Unterschenkel erreichte. Nachdem auch Knie erfasst, knickte sie halb ein, wollte um Hilfe schreien, bekam aber keinen Laut heraus. Gestockter Atem. Lungenflügel abgeklemmt, Stimmbänder gefroren. Ohnmächtig und angstvoll sah sie den Schattenriss aus Straßenbeleuchtung höher steigen, spürte ES saugen, aufsaugen.

Fortgerissen, eingesogen in ungekannte Dunkelheit. Kalter Tod! Ist der Tod nur kalt und sonst nichts? An ein Höllenwesen glaubte sie verlaufe grausamer Augenblicke nicht. Die Hölle soll doch heiß sein? Aber hier fraß schneidende Kälte, wollte alles greifen, erstarren lassen. Und dabei kein Frost! Letzter verbliebener Kraft stürzte sie durch spaltschmal geöffnete Tür vorwärts, robbte in lichtlosen Hauseingang, entkam fremdem Willen knapp.

Wille? Nicht eher Gegenteil: Nichtwille? Umfassendes Nichtwollen, genau deshalb voll entfaltet?

Nichts und niemand wollte da, wünschte oder zwang irgendwie. Es floss einfach überall hin, zerfetzte Gedanken, verschluckte die Zeit. - Keine Macht und kein Wille! - Es wollte nichts, brauchte nichts, fragte nichts. Ohne Ziel und ohne Absicht fraß es jede Macht, überwand jedes getürmte Hindernis. Dagegen gab es keine Schranken. Nicht gestern, nicht heute oder morgen. Niemals!

Wer will Grenzenloses hindern? - Oder trat es nur offen zutage, schon immer gleicherweise vorhanden? Lediglich unbemerkt, weil man nicht glaubte oder glauben wollte, es könne so sein? Ist dies das einzig wirkliche und wahre: Willen- und Wunschlosigkeit?

Von keinem Willen angreifbar, brauchte es keinen Willen brechen oder überwinden. Selber kein Ziel! Ohne Namen und Wunsch verharrte es einfach untätig. Wildeste Gegenwehr unterlaufen.



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Mannie Manie © 1999
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