"Sei doch nicht so grantig, Ong! So habe ich das doch gar nicht gemeint. Aber sage mir bitte, konntest du herausfinden, wer ich bin?"
"Wer du bist, das kannst nur du selbst herausfinden. Aber deinen Namen habe ich erfahren. Es ist aber dein Name für diese Welt."
"Und wie lautet der?"
"Arf! Du heißt Arf hier. Das ist schön kurz, weil wir hier Kürze lieben. Man mag es bei uns allgemein, wenn Dinge auf den Punkt gebracht werden."
"Arf... Arf..." Nachdenklich ließ er den knappen Namen mehrmals über seine Zunge gleiten. Von irgendwo wollte Erinnerung aufsteigen, doch sie kam nicht zur Oberfläche. "Und weshalb bin ich hier?"
"Das kann ich dir nicht sagen. Das ist wie mit der Frage danach, wer du seist. Nur du selbst kannst die Begründung herausfinden. Auch mir bleibt solches Wissen über andere verschlossen, weil es ständig wandelt. Wer sein Ziel, sein Wollen, seinen Weg ändert, ändert damit auch das eigene wahre Wesen."
"Für einen misslaunigen Alp bist du aber sehr gescheit, mein lieber Ong."
"Ich bin nicht dein lieber Ong, du Blödmann!" schnauzte das Irrlicht. "Und jetzt mach' endlich, dass du hier verschwindest, damit ich wieder meine Ruhe habe!"
"Und wenn ich nicht gehe?"
"Treib es nicht auf die Spitze, Knilch! Ich habe nicht alle Mittel ausgeschöpft, dir ans Leder zu gehen. Ich bin voll geladen mit Blaukraft unserer Mutter, deren Macht du durch den Wald strahlen siehst. Mit dieser Blaukraft kann ich dich derzeit sicher nicht umbringen, weil irgendwas dich schützt. Aber ich kann dir gerne eine üble Lehre erteilen und tue es mit Wonne, wenn du nicht endlich abhaust. Glaub' mir, herzliebster Blankarsch, meine Belehrung tut auf andere Weise entsetzlich weh."
"Na gut, Ong. Ein bisschen tut es mir ja leid. Irgendwie hoffte ich, wir könnten uns trotzdem anfreunden."
"Ein Alp hat keine Freunde, die selbst keine Alpe sind! Wir quälen andere aus reinem Spaß, besonders gern Menschen, weil sie fabelhafte Opfer abgeben. Einfach herrlich, unschuldige Jungfrauen in den Irrsinn treiben oder Kindern Alpträume verpassen, aus denen sie dann schreiend und heulend hochschrecken. Am schönsten ist es, wenn sie ganz von selbst jahrelang in lieblich scheußlichen Krankenhäusern an Krebs dahinsiechen. Da braucht unsereins gar nichts machen und nur zusehen. Tränen sind unsere liebste Leckerei. Wundervoll! Ein zauberhafter Genuss! - Du weißt, wovon ich spreche?"
"Ich fürchte, ja! Obwohl ich nicht weiß, woher ich das jetzt kenne."
"Das brauchst du auch nicht wissen! Hauptsache, du hast ordentlich Angst!"
"Du bist ein altes Ekel, Ong! Sehen wir uns trotzdem mal wieder?"
"Hoffe es nicht! Ich warne dich!" drohte der Alp.
Mit dieser letzten Unfreundlichkeit zerstob Ong, das Irrlicht, versank als blitzender Funkenschwarm im Strauch, verstummte. Nur grummelndes Gefühl überkam, stellte klar, lästige Unterredung sei endgültig beendet, bei Strafe angedroht schmerzreicher Belehrung. Arf umrundete vorsichtig kaum noch sichtbaren Strauch, stieg auf der anderen Seite zur Wallkrone hoch.
Unerwartete Schwierigkeiten. Alles mühseliger als erhofft. Dornen, Widerhaken, trockene Äste, scharfe Splitter, Steine und schneidende Kanten verletzten ungeschützte Haut. Auch Finger und Füße litten gehörigen Teil, bluteten an vielen Stellen. Warme Blutströme verklebten. Fehlende Schmerzen und rasch heilende Wunden nutzten nichts. Hier gültiger Gewissheitssinn meldete Verletzungen mittlerweile genauso schneidend und tobend wie richtige Schmerzen.
Zeitfortschritt setzte Änderungen bisher kaum bestimmten Zustands. Arf wurde vertrauter, inniger mit dem fremden Körper. Und das brachte nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile. Bedrängend klar wandelte er schnell zum gewöhnlichen Menschen, was nichts Gutes verhieß.
Verzweiflung biss, dachte er an diese feindliche Welt oder grübelte, was für eine Welt das sei, wie sie geordnet sein mag, wessen Welt und wer noch alles darin wohnt, sein Wesen treibt. Ong schien womöglich angenehmerer Vertreter seines Schlages. Schon übel genug, ob geäußerter Freude an Krebs und Krankenhäuser aller Art, besonders bei Kindern. Und wenn er Tränen als Pralinen genoss... Was sind eigentlich Krankenhäuser, Krebs und Pralinen?
Keuchend vor Anstrengung erreichte Arf den Kamm, stand aufrecht und versuchte Überblick, so gut es im bläulichen Zwielicht ging. - Viel konnte er nicht sehen. Eigentlich herrschte tiefe Nacht. Und diese währende Nacht musste hier Dauerzustand sein. Inzwischen spürte er auch deren Kälte, bekam Gänsehaut, zitterte. Kalter Wind fegte über Wälle, säuselte und heulte gespenstisch im Wald.