Der Träger der schwarzen Kutte legte noch Sperren in Zu- und Ausgänge der Terrasse. Dann schlichen sie hinunter, hell von Mondlicht beschienen. Gundram folgte in etlichen Schritten Abstand, musste stets am hochliegendsten Ort sein. Werner Lübbers sah jedoch ständig wachsam nach ihm, blieb zuweilen in dessen Nähe stehen, gab Acht. Man konnte ja nie wissen, was plötzlich noch auftauchen mochte. Aber es lief scheinbar alles glatt.
Erstaunlich einfacher Rückweg. Oskar Dimpfl ging mit Herwig Perchten sichernd voraus, verließ abwärts den Plattenweg nicht. Keine gefährlichen Hindernisse. Weshalb sollten hier auch Sperren eingefügt sein, wenn man normalerweise erst gar nicht raufkäme? Hinterlistiger Weise gab es einige unterschwellige Stolperschranken, von Oskar Dimpfl jedoch rasch beseitigt. Dann durchschritten sie heilfroh das Gittertor. - Endlich raus aus diesem bösartigen Bereich!
Werner Lübbers setzte am Zaungitter unten eine letzte Sperre, murmelte befriedigt: "Das wird sie alles zusammen eine Menge Kopfzerbrechen kosten. Vorerst können die hier kaum durch, müssen andere Wege suchen. Und am Siegel werden die sich die Zähne ausbeißen."
Weitgehend geräuschlos bestiegen sie ihre Autos, schalteten Standlicht ein und fuhren ohne viel Gas geben davon. Ruhiges Rollen auf leicht abschüssiger Strecke. Richtung Innenstadt säumten mächtige Alleebäume. Volles Licht und hinreichend rasche Fahrt, nach Biegung aus dem Parkviertel. Winklige Straßen und Gassen verschlangen wenig später.
Kaum beleuchtet und gespenstisch lag der Brunnenplatz, wirkte beengend. Über katzbuckliges Gassenpflaster hinweg bogen beide Wagen ein. Nur im dunkelsten Winkel schwächlicher Laternenschimmer oberhalb einer Haustür. Hinter keinem Fenstergeviert brannte Licht. Schräg einfallende Mondstrahlen. Nachtruhe in alten Fachwerkhäusern. Bestimmt keine Geräusche. Bestenfalls durchdringendes Schnarchen aus irgendeinem offenen Schlafstubenfenster. Sicher konnte es jedoch niemand sagen, weil die Reifen der schweren Limousinen wegen unebenem Pflaster angewidert rumpelten. Herwig Perchten stoppte beim Brunnen, stellte den Motor ab, blendete Scheinwerfer voll auf.
Heller Doppelkegel. Gegenüber drohte das hölzerne Tor in der Mauer samt Firmenwappen. Dunkelfarbiges Auto davor abgestellt. Ein Mercedes-Benz, voll erfasst vom Scheinwerferlicht. Es saß jemand hinter dem Steuer. Dessen Kopf fuhr herum. Knappen Atemzug lang starrte das Gesicht unter breitem Hut herüber, ruckte blitzartig weg. Im nächsten Augenblick flammten am Benz kurz die Scheinwerfer. Dann beschleunigte der Wagen atemberaubend, raste ohne Licht davon, verschwamm rasch im dunklen Umfeld.
"Was war das denn?" rief Gundram überrascht.
Bevor sie richtig begriffen, schalteten Oskar Dimpfl und Werner Lübbers schneller. Aufgrollend preschte der BMW vorbei und brauste mit quietschenden Reifen wie ein schwarzes Geschoss dem fliehenden Benz hinterher. Die Kutte schüttelte es ordentlich durch, flatterte sichtlich am offenen Fenster. Hier zeigte das altmodisch aussehende Auto, was wirklich darin steckte. Flott starker Antrieb jagte auf hohe Geschwindigkeit. Rote Rücklichter verschwanden streifig hinter Hausecken.
"Verdammt! Da war er drin!" Ingomar hieb aufs Armaturenbrett.
"Wer war da drin?" fragte Gundram.
"Der Brückendiener! Der Kerl, der die Brücke für den Lichtfraß abgibt. Verflucht, ich hab' nicht aufgepasst!" Abermals hieb er ärgerlich aufs Armaturenbrett.
"Dafür kann doch mein Auto nichts", brummte Herwig Perchten. "Außerdem hätte ich es selber sehen und merken müssen. Aber ich achtete nicht genau genug darauf, dachte erst, der sei halt von den Scheinwerfern geblendet. An mir bleibt's damit gleichermaßen hängen. Der hat sofort gemerkt, wer da kommt. Schließlich geht's ja dabei um sein Leben, wenn wir den kriegen."
"Wieso? Würdet ihr den umbringen?" wollte Erfried wissen, hellhörig über Untertöne.
"Aber sicher doch! Auf der Stelle und ohne Federlesen! Je schneller, desto besser!" bestätigte Ingomar eiskalt und nachdrücklich, sah ihn ruckartig an. Unbarmherzig blitzten Augen, brannten zugleich in regelrechtem Feuer. Harte Züge prägten bislang angenehm empfundenes Gesicht. Gnadenloser Blick! Todesdrohung!
Entsetzt fuhr Erfried zurück, fand keinen Raum zum Fliehen. Scharfer Bruch bewies andere Lage: Er saß in der Falle! Bisher geborgen und in Sicherheit geglaubt, stand jetzt gellendes Gegenteil fest. - Keine leeren Worte! Und sie galten auch ihm!
Fluchttrieb schoss hoch, klammerte, schnürte Kehle. Erstickender Autoinnenraum. Unnachgiebig setzten Polster federnde Grenzen. Nur die Wagentür... Fliegende Finger suchten Öffnungsgriff, fanden ihn erst nicht, fühlten dann gering erleichtert kühles Metall, drückten es angstgetrieben nieder. - Unnachgiebig! - Auch Ziehen oder Zerren brachte keinen Erfolg.
Raus hier! Du musst sofort hier weg! schrieen Sirenenstimmen. - Aber der Wagenschlag ging nicht auf. Fest verriegelt! Kein Entkommen! Drei glitzernde Augenpaare starrten unverwandt, kamen fortwährend näher, tanzten herum, kreisten ein, drängten ihn zwischen Rücksitz und verriegelte Autotür...