Herwig Perchten und Oskar Dimpfl krallten Finger in schmale Fugen zwischen eisernem Türblatt und groben Mauersteinen, zogen und ruckten angestrengt. Beide keuchten zuletzt, bekamen rote Köpfe, stemmten abwechselnd ihre Füße an der Wand ab. Kratzend und quietschend gab widerspenstige Sperre endlich nach, schwang knarrend kleines Stück auf, nach abermaligem Kraftaufwand ganz. Muffiger Geruch entströmte feuchter Finsternis. Sie leuchteten hinein. - Uraltes Mauerwerk!
"Oha", murmelte Ingomar. Steil buckelte Wendeltreppe abwärts. Grobe Quader. Wie weit, konnte keiner sehen. Aber die Stufen mussten sehr tief in den alten Richthügel reichen. "Tja, da müssen wir runter."
"Sollten wir nicht Wachen aufstellen?" Erfried schaute zweifelnd. "Man könnte uns doch oben und hier den Weg abschneiden."
"Das ist nicht notwendig." Werner Lübbers schüttelte unter schwarzer Kapuze den Kopf. "Was dir wie das Dröhnen von einem riesigen Gong war, sind die von mir aufgerichteten Hindernisse. Die wird so schnell nichts und niemand aus dem Weg räumen, dran vorbei oder drüber wegkommen."
"Ach so! Ich dachte, du hast beim Aufmachen geholfen."
"Auch, aber hier musste das gleichzeitig sein", erklärte der Kuttenträger kurz.
Schier endlos wand uralte Wendeltreppe. Aber sie konnten wenigstens Lampen benutzen, mussten nicht durch Dunkelheit oder undeutliches Mondzwielicht tappen. Herwig Perchten leuchte für die anderen, benötigte selbst kein zusätzliches Licht. Höllisch gab jeder acht. Leicht rutschte man auf krummen Stufen aus. Unablässig linksgewunden in muffige Finsternis. Feuchte Tiefe. Schmieriger Film überzog enges Treppengewölbe. Kein Ende sichtbar. Erfried und Gundram in der Mitte befiel allmählich Drehwurm.
Unerwartet sperrte grobes Gestein. Beinah prallten sie dagegen. Anscheinend tiefste Sohle. Ein kleines Gewölbe. Ende des Wegs. Nirgendwo Türen oder fortführende Gänge. Alter Unrat auf ausgetreten krummen Bodenplatten. Düster wuchteten gewaltige Quader. Es stank nach Alter und Fäulnis. Abgestanden verbrauchte Luft. Kalt obendrein. Eiskalt und feucht! Atemhauch wehte. Weißliche Fetzfahnen flohen von Lippen.
Hier und da hingen rostige Eisenringe und ebensolche Ketten an Wänden. Jeweils zwischen Steinfugen seit Alters her fest eingelassen. Aus Gewölbemitte baumelte dicke, vor Jahrhunderten gefertigte Kette halb bis zum schmutzigen Untergrund. Zwar gleichfalls sehr rostig, mutete das alte Schmiedestück jedoch äußerst stark und unbeschadet an. Ratten dürfte es hier kaum geben. Wovon hätten sie leben sollen? Nichts konnte hier leben. Nirgendwo Spinnen oder anderes Krabbelzeug. Wahrscheinlich bereits vor sehr langer Zeit ausgestorben. Keine alt modrigen Spinnweben, geschweige denn neue. Lebensfeindschaft, wo immer man schaute.
Ein alter Folterkeller? - Erfried schien es zwar nicht ausgeschlossen, aber andererseits wiederum nicht sonderlich wahrscheinlich. Dies musste etwas anderes sein. Ingomar und Werner Lübbers sprachen von verborgenem Tor, welches gesperrt werden sollte. Deshalb stiegen sie halsbrecherisch bis in eklige Tiefe. Unwohl und fröstelnd rückten er und Gundram eng zusammen. Mit Schuhen befreiten die anderen derweil den Boden vom Unrat.
Ganz gelang es freilich nicht. Doch schließlich kam unter modrigem Belag eine gewaltige Steinplatte zum Vorschien. Eingemeißelte Zeichen darauf. Buchstaben, lateinische Großbuchstaben. Werner Lübbers besah alles genau, trat zurück. Herwig Perchten wurde plötzlich ganz aufgeregt, entfernte mit bloßen Fingern ekligen Moder, so gut es ging. Sichtlich verblüfft wischte er danach fahrig beide Hände ab, schaute reihum. Sein Blick blieb schließlich an Oskar Dimpfl haften. Werner Lübbers betrachtete abermals die Meißelungen auf der Steinplatte. Ruckartig stand er wieder gerade.
Herwig Perchten holte tief Luft, dann hallte dessen volle Stimme hohl und unheimlich durchs grässliche Gewölbe. "Das Grab des Inquisitors!"
Dröhnendes Schweigen folgte. Wenn Schweigen sonst nicht dröhnen konnte, hier dröhnte es. Alle verhielten Atem, hörten ihr Herz in Ohren wummern, Blut brausen.
"Was?" fragte Ingomar ungläubig. "Auch kein Zweifel?"
"Schau es dir doch an", ermunterte Herwig Perchten. "Sein Gerippe liegt darunter. Ich weiß es jetzt, wo ich auf dem Grab stehe. Und hier protzt samt Kruzifix dessen verdammter Name: Michael Balthasar Comenius!"
Erfried sagte es allerdings nicht sonderlich viel. Zuvor kannte er nicht einmal den Namen dieses Untiers auf zwei Beinen, wusste nur um dessen lange, breite und grauenvolle Blutspur und hinterlassenen Fluch. Schaudernd lasen alle nacheinander eingemeißelte Klangfolgen aus Bosheit und Niedertracht unterhalb Kruzifix. Wenn es so etwas wie vollkommen Böses je gegeben haben mag, dann erschien es in Gestalt solcher Bestien auf Erden. Das stand für Erfried und die anderen fest.
Oskar Dimpfl schüttelte den Kopf. "Da hat man Jahrhunderte durch gerätselt, wo dies Viech sich verkroch. Und da liegt der Hundskerl, der hundsgemeine!"