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Abermal, Kapitel 09, Seite 02

flackert


"Entschuldigen sie, wenn ich gestört habe. Das sollte keine Absicht sein, verehrte Frau."

"Das ist schon in Ordnung, junger Mann. Wobei darf ich denn helfen?"

"Als vor Tagen dieses scheußlich starke Gewitter lostobte, flüchtete ich hierher und lernte einen Ingomar Perchten kennen. Der lud mich ein, wiederzukommen und auch seinen jüngeren Bruder kennen lernen. Und da ich gerade drüben in der Siedlung war, dachte ich..."

"Ach, davon hat Ingomar erzählt. Er war ganz angetan von seinem überraschenden jungen Freund. Ingomar ist mein Sohn."

"Dann sind sie Frau Perchten, die Frau des Hauses. Guten Tag, gnädige Frau! Mein Name ist Erfried Gundeleit."

"Oha, der junge Mann hat fabelhafte Manieren", lachte Frau Perchten. "Ich werde mir aber erlauben 'du' zu sagen und solche Förmlichkeiten wie 'gnädige Frau' tun nicht unbedingt Not. Aber komm doch bitte hinter dem Gebüsch herum, damit wir uns richtig gegenüberstehen können." Einladend winkte sie.

Erfried verließ endlich den Ort vormaligen Erschreckens, umrundete von Sonnenlicht überflutete Büsche und stand einfach aber sehr geschmackvoll gekleideter Frau gegenüber. Etwa im Alter seiner Mutter. Einzelne vom Leben gezogene Linien ihres Gesichts unterstrichen reife Anmut. Durch erfreuliche Ausstrahlung und offenes Wesen wirkte sie wesentlich jünger als sie an Jahren sein dürfte. Keineswegs jugendlich getrimmt oder stark geschminkt, was manche Frauen taten, schritten sie über dreißig hinaus. Wandelnder Beweis, wie überflüssig solches ist, blieb man innerlich aufgeschlossen. Ihr dunkles Haar trug sie zu dickem Knoten geschlungen. Normalerweise wirken Frauen dadurch oft älter. Sie nicht! Sie wirkte ausnehmend elegant und lebensbejahend. Ein bisschen streng nur. Aber diese wenige Strenge machten wache, leicht grünliche Augen und bezauberndes Lächeln um Längen wett.

"Für Ingomars Mutter sehen sie aber sehr jung aus, Frau Perchten", versprühte Erfried seinen Charme.

"Du bist schon ein richtiger Kavalier. Aber bitte kein Süßholzraspeln. Allerdings hört wohl jede Frau auf dieser Welt gern Komplimente. Darum, Dankeschön!" Sie reichte ihm ihre gepflegte Hand. "Ich trinke gerade meinen Tee. Möchtest du auch eine Tasse und ein Stück Kuchen dazu?"

"Nur, wenn es keine Umstände macht, Frau Perchten."

"Wäre es mir zu umständlich, böte ich es nicht an. Außerdem bist du ja so etwas wie ein geladener Gast. Setze dich schon mal hin. Ich muss nur eine Teetasse holen. Ich sagte ja schon, ich erwartete gerade keinen Besuch." Sie lächelte, nickte knapp und ging zum Haus hinüber. Erfried sah ihr nach und in die Runde.

An hiesiger Seite langgezogen sichtdeckender Gebüschreihe stand eine Gartenmöbelgruppe. Drei etwas altmodisch verschnörkelte Gartenstühle nebst passendem Tisch. Altes, dunkel gestrichenes Schmiedeeisen musste viele Jahrzehnte auf dem Buckel haben, schien jedoch sehr robust. Es hielt wahrscheinlich noch hundert Jahre länger, zerfraß kein Rost. Teekanne, Stövchen und ein Servierteller voller verschiedener Kuchenstücke und Gebäck, sowie Zuckerdose und Milchkännchen standen auf dreibeinig rundem Tisch. Gedeck für eine Person. Man trank also Tee ostfriesisch oder englisch.

Aus dem Augenwinkel sah er Frau Perchten die Haustür öffnen. Riesiger Hund erschien sofort im Türrahmen und bellte einmal laut. Beunruhigt blickte er hinüber. Hunde konnten gegenüber Fremden gefährlich werden. Und diesem Tier galt er sicherlich als Fremder.

"Still, Frecke! Gut Freund!" Scharfer Befehl der Frau.

Schon auf Sprung, verharrte mächtiger Bernhardiner im selben Augenblick, gab keinen weiteren Laut. Frau Perchten zupfte ihm einmal kurz im Genick, dann verstand er wohl endgültig, blieb gut dressiert vor den Stufen hocken und schaute ihr hinterher. Sie verschwand im Dunkel des Hausflures. Aufmerksam äugte der gewaltige Bernhardiner zu Erfried. Nach kurzer Zeit erschien Frau Perchten mit kleinem Tablett, ließ die Haustür weit offen. Hinter ihr trottete der Hund. Erfried stand höflich auf.

"Vor Frecke brauchst du dich nicht zu fürchten", erklärte sie lächelnd am Tisch angekommen. "Gefährlich wäre der nur, wenn mir jemand etwas antäte oder einen Angriffsbefehl bekäme. Sonst ist der riesige Kerl eine gutmütige Seele, wie eigentlich alle Bernhardinerhunde. Aufpassen musst du nur, weil der gerne zur Begrüßung anspringt. Frecke ist alles andere als ein Leichtgewicht, da plumpst man schon mal auf seine vier Buchstaben. Dann wird man von dem Guten kreuz und quer übers Gesicht geleckt und angewufft. Das findet er dann ganz großartig. Unsereins verständlicherweise weniger."



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Mannie Manie © 1999
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