"Und was will der Räuber der Farben? Die Weltherrschaft? Das Weltall und alles beherrschen? Alles in Finsternis versinken lassen? Ich habe mal gehört, dass weise Leute schon im Altertum sagten, wer alles hat, hat nichts mehr. Wenn du sagst, das sei eine uralte Macht und nicht dumm, dann muss der doch wissen, wie wenig das nützt, weil er hinterher nichts mehr hat, wenn alles finster ist."
"Das will er so auch gar nicht. Er will Rache!"
"Rache? Ich dachte immer, nach so was giert nur ein Mensch. Und das ist doch keiner?"
"Nein, natürlich ist der kein Mensch. Er ist ein Zwischenwesen. Gestalt gewordener Zwiespalt. Der ist das, was du als Schwarzalben, als Alp bezeichnest. Er ist gewissermaßen ein Herrscher der Schwarzalben, sammelt zielstrebig sein Gefolge nach und nach."
"Kommen noch mehr von seiner Sorte herüber?"
"Das ist nicht anzunehmen. Er braucht keine anderen, will es auch nicht. Er macht Menschen teilweise zu Schwarzalben, stattet sie mit entsprechenden Fähigkeiten aus. Aber erst muss er vollständig übergetreten sein. Und dazu muss er ein Wesen dieser Welt werden, bis zu einem gewissen Maß. Dafür benötigt er ein Tor, durch das er nach Belieben ein- und ausgehen kann."
"Und ihr bewacht dieses Tor?"
"Nein. Das Tor, das wir bewachen, braucht er nicht, um herüber zu kommen. Für ihn bilden bestimmte Menschen das Tor. Helfer in dieser Welt, die seine Brücke sind. Durch das von uns bewachte Tor möchte er in andere Richtungen gehen."
"Und wenn er euch einfach beiseite räumt?"
"Diese Macht hat er nun doch nicht. Das schafft er nicht. Jedenfalls nicht, ohne genügend mächtige Helfer in dieser Weltebene oder, solange wir uns in der alten Ronnburg aufhalten. Deshalb solltest du auch zu uns kommen, weil du dort weitgehend sicher bist."
"Wo ist denn das Tor, das ihr bewacht?"
"Es ist die alte Ronnburg selbst. Das ist ein uralter Schutzort gegen angreifende Mächte aller Art. Solange wir dort Wache halten, kann sie keiner wirklich betreten. Jedenfalls nicht die Ebene, worin das Tor selbst liegt. Nur in den Wällen sein, nützt noch nichts, wenn das Tor geschlossen ist. Die Wälle sind eigentlich nur ein sichtbares Sinnbild in dieser Weltebene. Sie bilden aber auf unterschwelliger Ebene die Schutzsperren."
"Und was ist das für ein komischer runder Raum im Kellergewölbe unten. Da ist so eine unheimliche Zeichnung im Boden eingelassen. Das ist doch eine Hexenkirche!"
"Wie bist du denn DA reingeraten?" staunte Ingomar. Erfried erzählte kurz über seine abenteuerliche Flucht aus dem Perchtenhaus. "Du lieber Himmel!" lachte Ingomar. "Aber du konntest ja nicht ahnen, dass du einfach bloß zur Haustür raus brauchtest. - Tut mir leid, lieber Freund!" Er lachte erneut, schien sehr belustigt. "Das im Kellergewölbe, ist tatsächlich so etwas wie eine Kirche oder ein Andachtsraum. Wenn du Hexenkirche sagst, dann soll es sicher etwas Böses bezeichnen. Aber das ist es nicht. In einem buddhistischen Tempel käme es dir wahrscheinlich ganz ähnlich vor. Erst recht im Dustern. Buddhisten sind nun wirklich alles andere als böse Zauberer. Und die hiesige Kirche am Markt hat etwas ganz ähnliches: Eine Krypta! Zu papistischen Zeiten lungerte da drin das abgenagte Gerippe irgendeines dummen Heiligen herum. Zur Schau gestellt! Wenn das nicht grausig oder mindestens widerlich geschmacklos ist, dann weiß ich auch nicht. Bei uns wirst da unten schlimmstenfalls Knöchelchen einer altersschwach gestorbenen Maus finden. Wenn überhaupt."
"Und weshalb will der Glanzdieb Rache? Wenn er kein Mensch ist, dann steht er doch über solchen Sachen."
"Er ist auf seine besondere Weise ein Wesen, eine eigene Persönlichkeit, wie alle Elfen oder Alben oder auch Gottheiten und andere Herrschende. Und ich sagte ja, solche Wesenheiten hegen durchaus Sehnsüchte und Wünsche. Sie sind nur Wesen anderer Ebenen. Wesen und Gedankennetze des Zwiespalts. Menschen sind Wesen hiesiger Ebene, haben ihre eigenen Fähigkeiten und ihre eigene Macht, geraten in ähnlichen Zwiespalt, unterscheiden sich grundlegend nicht von diesen. Menschen sind gegenüber solchen Wesen auch nicht machtlos, lassen sich aber leichter täuschen. Und Rache will er, weil man ihm seine Diener genommen hat, ihm die Macht einschränkte."
"Wer waren denn seine Diener?"
"Früher die Inquisition hauptsächlich. Aber eben nicht nur diese allein, sondern alle herrschsüchtigen. Solche Leute, die ohne jede Rücksicht ihre Sucht verwirklichen wollen, dabei nicht einmal auf sich selbst Rücksicht nehmen."
"Hat es was mit dem Fluch des Inquisitors zu tun?"