Jedenfalls lag er reglos. Von der Kutte kräuselte hier und da etwas Rauch. Angesengt roch es zwischen Todesgestank hiesiger Tiefe. Immer noch eiskalt. Erfried fror. Werner Lübbers hob zur Erleichterung aller langsam und mühevoll den Kopf. Glanzlose Augen. Schwaches Glosen, statt vorher herrschendem Feuer.
"Geht es wieder, mein Freund?" Herwig Perchten schien recht besorgt.
Werner Lübbers nickte matt, sagte nichts. Kraftlos und ausgepumpt blieb er auf der Grabplatte sitzen. Deutlich abgezeichnet im Unrat des Bodens: Das Siegel! Tief in Stein eingegraben, leuchtete es allerdings nicht mehr. Lediglich sehr feines Glimmern erinnerte entfernt an nachleuchtende Aufmalungen auf Uhrzifferblättern.
Verwirrt sah Erfried die Perchtenbrüder an. "Was war denn passiert? Ich hab' nur diesen irrsinnigen Ausbruch mitbekommen, dann hab' ich, glaub' ich, noch was von Gundram mitgekriegt und dann war ich weg. Bin ich nicht umgefallen?"
"Nein, es ist offenbar alles in Ordnung mit dir", beruhigte Ingomar, ließ Erfrieds Arm los, trat zu den um Werner Lübbers bemühten Gefährten. Gemeinsam halfen sie dem entkräfteten hoch. Fürsorglich umringt stand er etwas wacklig, schwer auf drei Männer gestützt.
"Was war denn nun genau?" wollte Erfried von Gundram wissen.
"Soweit ich weiß, war so ein Ausbruch zu erwarten, weshalb der Werner auch die Kutte trägt. Das ist ein besonderes Kleidungsstück zum Schutz bei so was und nicht einfach eine schwarze Kutte. Aber so heftig hat er das wohl auch nicht erwartet. Es hat ihn ziemlich umgehauen und uns alle auch. Ich konnte gerade noch das tun, was dir am Sonnabend soviel Angst machte: Dich übernehmen und steuern! Dann hatte ich mit mir selbst genug zu tun, nachdem ich das gerade noch hinkriegte. Wäre Ingomar nicht auch noch dabei gewesen, dann hätt's unter Umständen zappenduster ausgesehen. Wir konnten den Kreis geschlossen halten. Wäre der gesprengt worden... Dann gute Nacht! Aber ich kann mich auch kaum noch an Einzelheiten erinnern. Es ging ja alles dermaßen schnell. Im nächsten Augenblick standen wir allesamt in diesem giftigen Licht, sahen gar nichts mehr. Verschwommen kriegte ich mit, wie die Grabplatte eine Weile in der Luft schwebte und dann mit einem irren Rumms wieder runterkrachte. Ich hab' nur ganz fest deine Hand gehalten, damit der Kreis bloß nicht aufgerissen wird. Und Ingomar tat dasselbe. Wir sahen alle nur noch Sterne und Funken tanzen. Dann versuchten wir dich anzusprechen, nachdem alles ruhig wurde. Aber du hast nicht geantwortet. Mann, hab' ich deinetwegen eine Angst ausgestanden! Den Rest weißt du. Hab' ich dir wieder mit meiner Mache Angst eingejagt?"
"Ach wo! Danke für deine Hilfe, Gundram! Wenn du mir am Sonnabend das alles richtig verklickert hättest, dann hätte ich ja auch keinen Bammel gehabt deswegen. Wär' in der Nacht zum Sonntag eine ziemlich tolle Sache gewesen, wenn..."
"Na, sagtest du nicht, dass du's trotzdem ganz gut fandst?"
"Idiot! Was glaubst du, wie es dann gewesen wäre, du Holzklotz?"
"Wär' ich aus Holz, dann hättest du ziemliche Schrammen und Splitter abgekriegt", grinste Gundram frech und wedelte mit seiner Taschenlampe, zeichnete flitzende Muster auf hässliche Gewölbesteine.
"Wir sollten jetzt wieder aufbrechen", meldete Herwig Perchten. "Unser Freund Werner scheint wieder einigermaßen erholt."
"Die Kutte qualmt noch ein bissel", griente Oskar Dimpfl und klopfte dem etwas unglücklich dreinschauenden Träger der schwarzen Kutte das Kleidungsstück ab.
Nacheinander verließen sie ungastliche Gruft. Ingomar und Herwig Perchten voraus, Gundram und Erfried folgten, danach der Kuttenträger. Oskar Dimpfl als Nachhut. Niemand schaute zurück. Das Siegel schien gelungen. Zumindest hier.
Abermals erforderten glitschige Stufen alle Aufmerksamkeit, gefährlich für unbedachte Füße. Nur Herwig Perchten stieg ohne sonderliche Schwierigkeiten schlafwandlerisch aufwärts. Erfried bekam mählich schwere Beine, fühlte wieder gefürchteten Drehwurm aufkommen. Ermüdende Wenderichtung rechts herum. Einmal rutschte er ab. Werner Lübbers fing ihn ungeahnter Kraft, offenbar wieder ausreichend gesammelt. Musste er auch, schließlich sollte er wenigstens noch einmal tätig werden, was ähnliche Folgen haben konnte wie zuvor.
Erleichtert gelangten sie in den Heizungskeller, schlossen die alte eiserne Tür in der Wand und wuchteten das Metallregal wieder an angestammten Platz. Werner Lübbers setzte zuvor Sperren. Nichts hielt bisher auf oder verstellte Wege. Ihre Lampen mussten sie vor Verlassen des Kellerraums allerdings löschen. Nachtblindes Tappen. Herwig Perchten führte dank Eulenblick aus dem Lichtlosen heraus. Allesamt folgten im Gänsemarsch, jeder eine Hand an der Hüfte des Vordermanns. Sorgfältig doppelt gesperrt hinterlassene Stahltür.
Aufatmen im erstaunlich großen Flur oben. Leidlich hell, obwohl weitergewanderter Mond sein Licht dem Gang entzog. Kein Strahl fiel durch gläserne Front am Gangende. Trotzdem unübersehbar, riesige Vasen voll ausladendem Gestrüpp. Augen bestens an Dunkel gewöhnt. Die Tür zum Kellerniedergang wurde gleichfalls in vorherigen Riegelstand versetzt, zusätzlich anderweitig gesichert. Insgesamt drei Sperren hinderten Abgang in trostlose Gruft.
"Heizen wird man an kalten Tagen wohl nicht mehr können", meinte Erfried halblaut.
"Seit wann muss in der Hölle Feuer gemacht werden?" witzelte Ingomar.
Der Träger der schwarzen Kutte lachte leise. "Die Sperren und Hürden oder das Siegel wirken nicht so. Man kann da schon noch durch. Es kommt aber darauf an, weshalb man durch will. Will jemand nur die Heizung anwerfen oder sonst was harmlos tun, dann hindert das nicht. Er oder sie werden nur eine Art Stromschlag spüren, der sie aber nicht umbringt. Normale Menschen werden's recht unheimlich finden. Aber hier ist nicht anzunehmen, dass in diesem greulichen Gemäuer sich wer normal menschliches aufhält oder jemals aufhalten will."