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Abermal, Kapitel 07, Seite 05

flackert


Kurz nach zwei Uhr langte Erfried vor dem Reihenhaus der Kaisers unweit der Ronnburg an. Er schüttelte nagend aufgekommene Gedanken ab, schreckte geradezu heraus. Gehörige Zeit stand er völlig versunken vor der Haustür, starrte auf dunklen Klingelknopf, Hand halber Strecke dorthin verhalten.

Gut vorbereitet. Insgesamt zwölf Sigurd- und Falkhefte unter leichter Jacke im Hemd verstaut. Nur ein Buch in Händen, von dem zu hoffen, es fände hinreichende Gnade vor gestrengen Augen der Eltern Bernd Kaisers. Zum kitschigen Buchstabenmüll Johanna Spyri's mochte er nicht greifen. Welch finstere Tiefe! Wirklich viel zu doof und sicher auch unglaubhaft für richtige Jungen, zumal in seinem Alter.

Er brachte RULAMAN von David Friedrich Weinland mit. Eines der wenigen wirklich gut gemachten, tatsächlich Jungen und Kinder ansprechenden Werke lang vergangener Zeit. Nicht nur in der Schule wohlgelitten, jenes Schriftstellers Bücher. Auch seine Mutter befürwortete solche, ausnahmsweise einer Meinung über zuträglichen Lesestoff. Rulaman schien sogar älter als die abscheulich langweiligen Ergüsse der Spyri oder Peter Rosseggers, erzählte Abenteuer eines Steinzeitjungen. Wenigstens was Ordentliches und nicht so ein lächerliches Gesülze über strunzdumme fromme Bergbauerntrampel, einem sowieso piepegal!

Entschlossen drückte er endlich den Klingelknopf. Schrill schallte elektrische Schelle durchs kleine Reihenhaus. Erfried wartete leicht beklommen endlos lange Minute. - Türklappen im Hausinnern. Jemand kam zum Eingang, unkenntlich wegen krokodilnoppiger Verglasung. Wer Erwachsenes dürfte es sein. Gestaltgröße hinter narbig dickem Glas legte es nahe. Dann schwang die Tür auf.

Hellhaarig stand etwas füllige Frau vor ihm. Rote Pausbacken, braunäugig, fast gelbäugig und überaus erstaunt. Keineswegs größer als er selbst. Allerdings lag Bodenebene kleinen Flures gut fünf Zentimeter über Haustürschwelle. Schlagartig lächelte sie ihn an. "Bist du Erfried, der Schulkamerad unseres Bernd?"

"Ah... ja... dann sind sie sicher Frau Kaiser? Äh... guten Tag!" antwortete Erfried etwas verdattert.

"Ja, ich bin seine Mutter. Du scheinst ja um einiges älter als mein Bernd?" verwunderte Frau Kaiser nach eingehendem Blick. "Du bist doch gut und gern schon über vierzehn und schon ziemlich groß."

"Nein, Frau Kaiser, ich bin wirklich noch zwölf Jahre alt", betonte Erfried ganz gegen sonstige Gewohnheit, verschwieg in diesem Ausnahmefall wohlweislich, er werde bald dreizehn. Das schien derzeit tunlichst geraten.

"Donnerwetter! Wenn man dich so sieht, glaubt man bald an einen jungen Mann. Na, für den Bernd ist es sicher nicht schlecht, mit einem netten reiferen Kameraden zu verkehren, der vom erwachsen werden nicht mehr so sehr weit entfernt ist. Du bist wirklich noch zwölf?"

"Ja, Frau Kaiser! Ungelogen!"

"Na, das wollte ich dir auch nicht unterstellen, mein Junge", lächelte sie freundlich. "Bernd ist gleich mit seinen Schularbeiten fertig und Herr Tobler ist auch noch hier. Da werdet ihr noch eine nette kleine Runde haben. Aber komm doch herein!"

Herr Tobler? Das wird wahrscheinlich dieser Prediger von der Bethlehem-Gemeinde sein, fürchtete Erfried. Hoffentlich haut der bald ab! Er folgte der freundlichen Einladung und stapfte Frau Kaiser ins Wohnzimmer nach. Bernd und ein sehr hagerer, geradezu ausgemergelt wirkender Mann saßen an rundem Esstisch. Beide blickten auf, als sie hintereinander hereinkamen.

"Hier ist Besuch für dich, Bernd. Dein Schulkamerad Erfried", verkündete Frau Kaiser leutselig.

Herr Tobler zeigte gebogene Adlernase und dazu passend gnadenlosen Augenausdruck. Im Gegensatz zur allgemeinen Ansicht fand Erfried, Adler haben ausgesprochenen Mordblick. Bösen Blick voll abgründiger Gier, wie alle Greife und metzelnden Räuber.

Sofort nahm ihn der Raubvogelmann scharf in Augenschein, als wolle hungriger Geier abschätzen, wie weit Sterbevorgang nächster Mahlzeit vorangeschritten, damit er endlich frische blutige Fleischstücke aus erwähltem Opfer hacken, reißen, zerren könne. Einer Beute, deren eben erfolgter Tod noch nicht einmal absterbendes Fleisch erkalten ließ. Aber wenigstens warten Geier, bis ihr hilfloser Schmaus starb, während Adler und andere Mörder des Tierreichs lebenden Raub zerfleischen.

Herr Tobler gemahnte auffallend an jenen unheimlichen Fremden, den Räuber der Farben mit schwarzen Augäpfeln. Ein entscheidender Unterschied: Herr Tobler besaß rot geäderte Augäpfel mit wasserblau bleichen Pupillen darin! Dennoch blickte er irgendwie ähnlich in die Welt genügsamen Reihenhauswohnzimmers.



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Mannie Manie © 1999
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