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Abermal, Kapitel 04, Seite 04

flackert


"Was hast du denn hier gemacht?" Sofortige Nachhake, gefolgt vom rollenden Donner nach grellem Blitz.

"Ich bin ein bisschen herumgestrolcht. Einfach so."

"Herumgestrolcht...!" Ingomar dehnte das Wort bis es nachgerade unanständig klang. "Irgendwo habe ich dein Gesicht schon mal gesehen...", sagte er dann nachdenklich leiser.

"Ich weiß nicht. Vielleicht auf der Straße oder so?" suchte Erfried abzulenken.

"Nein, nein. Auf der Straße war das nicht. Da bin ich mir sicher. Ich kann mich immer gut an Gesichter erinnern, auch wenn ich jemanden nur kurz sah. Wenn sich die Augen jemals voll trafen, dann bleibt das bei mir meistens gut im Gedächtnis drin. Auch das Licht rundherum. Und da war kein Licht, wie es gewöhnlich auf der Straße herrscht. Es muss irgendwo drinnen gewesen sein... hm..."

"Vielleicht in der Schule?"

Ingomar lachte wieder sein spöttisches Lachen. "Sehe ich so aus, als ginge ich noch zur Schule?"

"Vielleicht warst du da mal wegen irgendwas und ich lief da gerade herum."

"Kaum. Mein jüngerer Bruder geht nicht hier zur Schule. Du gehst doch hier in die Schule, oder?" Erfried nickte nur, unangenehm berührt von bohrenden Nachfragen.

"Na, ist ja auch nicht so wichtig. Du brauchst dich hier übrigens nicht davor fürchten, dass der Blitz ins Haus selbst einschlägt. Wir haben auf dem Dach einen hochreichenden dicken Blitzableiter. Das ist schon wegen der Bäume, damit die bei Gewitter nicht getroffen werden. Die sind ziemlich alt und auch sehr hoch allesamt. So was muss man schützen. Außerdem liegen wir hier auf einer Anhöhe, wo Blitze von sich aus schon mal liebend gerne einschlagen. Es war daher sehr gut, dass du ins Haus geflüchtet bist. Man kann ja nie wissen, welche Bahn sich starke und nahe Blitze dann doch suchen. Wenn die sehr nah aus den Gewitterwolken kommen, dann haben die eine dermaßene Gewalt, welche auch einen verlockenden Blitzableiter aus Metall verschmäht und ins allernächst stehende reinknallt."

"Ja, ich weiß das aus dem Unterricht. Darum bin ich nach dem ersten gewaltigen Blitz und Donnerschlag auch gleich losgerannt. Es muss ganz in der Nähe eingeschlagen haben, so schnell wie der Knall hinterherkam. Das war praktisch gleichzeitig." Endlich nahm ihr Gespräch andere Richtung. Erleichtert lehnte er ins Polster zurück, entspannte verkrampfte Muskeln.

Ingomar sah zu den Fenstern, wovor polterndes Unwetter unverminderter Wucht auf seinem Höhepunkt herumtobte. "Vorerst kannst du da sowieso nicht raus. Nicht mal einen Hund würde man jetzt rausschicken. Warte das Gewitter auf jeden Fall hier im Haus ab, bis es wirklich ganz vorbei ist. Vergiss nicht, wir sind auf einer Anhöhe. Ich will jedenfalls nicht, dass dich der Blitz trifft. Wär' schade um einen so aufgeweckten Burschen. Wie alt bist du denn eigentlich? Vierzehn?"

Erfried reckte stolz und erfreut seinen Kopf höher, ob günstiger Beurteilung wesentlich älteren Widerparts. Für vierzehn gehalten werden, bei noch nicht einmal vollen dreizehn Jahren, ist in solchem Alter ausgesprochen freundliche Schmeichelei. "Nein, noch nicht", räumt er ein.

"Also, dreizehn oder was?"

"Ich werde in drei Monaten dreizehn", meinte der Junge leise, als wolle er verhindern, es dränge deutlich durch.

"Aha, dann bist du also zwölf Jahre alt."

Erfried nickte nur etwas bedrückt, statt einer Antwort, unangenehm beim wahren Alter ertappt.

Ingomar bemerkte mit seinem durchdringenden Blick das Missbehagen des Jungen und lachte leise. "Na, das ist doch nicht schlimm, noch keine dreizehn zu sein. Viel schlimmer ist, wenn man schon achtzehn ist und doof. Oder wenn Leute sogar viel älter sind und man an ihrem Geschwätz merkt, dass sie nichts dazugelernt haben. In deinem Alter wollte ich natürlich auch immer älter sein. Wer wollte oder wer will denn das nicht? Die meisten Erwachsenen haben das nur mit voller Absicht vergessen und tun so, als seien sie niemals wirklich Kinder, Heranwachsende oder Jugendliche gewesen. Aber es ist auch gar nicht so einfach, wenn man als Junge in den Stimmbruch gekommen ist, plötzlich Veränderungen vorgehen, die man nicht recht erklären kann, weil es einem keiner sagt. Und danach ist es auch noch nicht besser. Man ist eigentlich kein Kind mehr aber auch noch längst nicht erwachsen. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, was das für ein komisches Alter war. Man hing irgendwie für die Jahre bis sechzehn dazwischen. Wenn du erst einmal fünfundzwanzig oder dreißig bist, dann willst du schon wieder als jünger angesehen werden. Besonders Frauen haben diesen Tick. Sag' einer Frau, die du auf dreißig schätzt, das niemals. Am besten ist, wenn du bei Frauen immer fünf bis zehn Jahre abziehst."

"Aber das ist dann doch gelogen", wagte Erfried leise empörten Einwand.

"Stimmt! Aber es gibt Lügen, die keinem wehtun und das Leben leichter machen. Ich will ja auch nicht sagen, du sollst bei wirklich entscheidenden Sachen lügen. Du wirst mit den Jahren wissen, was wichtig ist und was nicht."

"Ich dachte immer, Eltern oder Lehrer sagen einem das."

Belustigt lachte Ingomar, klang dabei wie ein frecher aber wissender Junge. "So was kann man nur selber erfahren. Niemand kann einem das verlässlich sagen. Lass' dir da auch von Erwachsenen nichts vormachen. Die tun oft so, als wüssten und könnten sie alles."

"Und das stimmt nicht?"

"Nicht so oft, wie es nötig wäre."

"Aber es gibt doch solche, oder?"

"Na klar, Erfried! Nur leider sind die viel zu selten. Glaub' mir das! Mittlerweile bin ich nun wirklich alt genug, um wenigstens das zu wissen."

"Wie alt bist du denn?"

Ingomar lächelte. Hell schimmerte seine Zahnreihe in Gesichtsschatten. "Dazu muss ich dich fragen, welches Alter du meinst. Meinst du mein Alter nach Geburtstagen oder das Alter meiner selbst?"



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Mannie Manie © 1999
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