Eher scheint mein jetziger Besuch im unergründlichen Bedürfnis entstanden, das einen irgendwann notwendig Rückschau halten lässt. Längst über alles hinaus, fragte man, wie es eigentlich dazu kam, wie es kam, wollte herausfinden, was einst trieb, seine Wege auf genau diese Weise gehen und nicht anders? Und das erfährt man nur beim eingehenden Betrachten eigener Wurzeln und Vergangenheit. Wenigstens einmal. Orte oder Menschen, welche dabei gewisse Rolle spielten, helfen der Erkenntnis auf die Sprünge, sind bestens geeignet. Mussten keine großen Rollen gewesen sein. Selbst winzige und früher völlig unbeachtete Kleinigkeiten wecken genaue Erinnerungen, längst verschüttet irgendwo im Unterbewusstsein. Und so geschehen.
Leicht zaghaft suchten Füße ihren Pfad durch schrecklich bekannte Gebäudeflucht, hallten trocken und merkwürdig kurz an langen Wänden wider. Treppen steigen, in Gedanken versunken. Tag um Tag, Woche um Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr gleicher Weg ins Klassenzimmer. Wenig willig bis zum Schluss. - Welcher Stock? Richtige Seite, derselbe Gang? Ich sah mich um. Müsste stimmen!
Nicht sonderlich anheimelnder sah der Flur aus und erstaunlich unverändert. Lediglich die Wände erhielten leicht freundlicheren Anstrich. Nichts großartig anders. Immer noch dieselben alten Türen zu den Klassenräumen, bestenfalls irgendwann neu lackiert. Vielleicht ging im Verlaufe der Zeit die eine oder andere Fensterscheibe zu Bruch. Die Fenster selbst wechselte man nicht aus. Ihr dicker Kunststoff schien wirklich unverwüstlich. Damals neu eingesetzt, entsann ich schwach. Vor Jahrzehnten fast ungeheuerlich, Fensterrahmen aus Kunststoff. Allenfalls ließ man eloxiertes Aluminium zu. Aber Plastik?
Ganz am Ende des Ganges hing seitlich noch immer wohlbekannt schauriges Bildwerk. Sogenannte Kollage. Gemeinschaftlich mit anderen Klassen zur Verschönerung kargen Flurs vor über dreißig Jahren im Kunstunterricht verbrochen. Sie verschönerte allerdings nicht viel. Kindischer Schandfleck an Hässlichkeit. Aber unser damaliger Lehrer für Kunst fand es ganz abgefahren. Überschwenglich bis zum Gehtnichtmehr. Wer wollte als Kunstbanause gelten? Niemand vom übrigen Lehrkörper wagte Einwände gegen beklagenswerten Missbrauch kahler Gangwand als Galerie übergeschnappter Fratzen.
Immerhin was Buntes auf amtlichem Einheitsgrau. Schöner nicht, wenn ich ehrlich bin. Zwar legte ich selbst dabei Hand an, klebte manchen aus Zeitungsbildern geschnippelten Papierfetzen auf, doch richtig damit übereinstimmen? Nein, mir gefiel das einfach nicht! Wirr unaufgeräumtes Augenleiden, wie gewollt und nicht gekonnt, brachte mich nicht geringster Weise zum Träumen. Später sah ich ähnliches Zeug von hochgelobten 'Künschdlern' aus den Zwanzigerjahren. Gleichermaßen missfällig. Es wirkte einfach krank. - Bitte keinesfalls als Zustimmung zum greulichen Kram der NS-Zeit oder des ebenso abscheulichen 'Sozialistischen Realismus' missverstehen! Gott bewahre!
Meine Vorliebe galt seinerzeit phantastischen psychedelischen Bildern, bereits seit Anfang der Sechziger in Umlauf gekommen. Wenigstens aber etwas mit Raketen und Raumfahrt, wie auf billigen Utopia-Schmökern vorn abgebildet. In jenen Jahren besonders angesagt. Wenig später führte es dazu, dass zwei klobige Amis auf dem Mond rumhopsten und blöd gestreifte Flagge hinterließen. Von Milliarden Erdwuseln in der Glotze bestaunt.
Manchmal frage ich, ob die da wirklich waren? Womöglich wurden wir allesamt eingeseift und alles spielte in irgendeinem Hollywoodstudio unter Wasser? - Ausgeschlossen?
Heutzutage darf bekannt langnasiger Budenzauberer David Zockerfeld uns ungestraft mit billigen Fernsehtricks zum besten halten. Anschließend tut der dann großartig so, als sei es sämtlich seinem angeblich großartigen Können entsprungen. Bei bloßer Regie, vielleicht, wenn auch wenig überschäumend. Jeder leidliche Kameramann mit hinreichender Ausrüstung bringt derlei zustande. Schon seitdem es Kameras gibt. Aber zumindest besser, als falsche Fledermäuse an Drähten, welche bedauernswert müde durch Draculafilme flappten. Jedes mal eher mitleiderregend, denn irgendwie gruselig.
Vorbei an offenstehenden Klassenzimmertüren, Richtung gemeinschaftlichen Machwerks. Neugierige Blicke in Türrahmen. - Die Klassenräume unterschied nicht sehr viel von unserer Zeit. Lediglich andere Sitzordnung. Nicht mehr alles in Reih und Glied. Tische und Stühle zeigten gering andere Art. Seltsam empfunden: Das einfallende Licht! Nachmittagslicht! Erinnerte keineswegs angenehm an meine Schuljahre. Nachmittags fand nur ein bis zweimal die Woche Unterricht statt, von allen herzlich gehasst. Mussten wir nachsitzen, gelangten wir zusätzlich in zweifelhaften Genuss betrüblicher Tagesstunden. Und heutzutage grellen Rufe nach Ganztagsschulen unverfroren durchs Land. Abscheuliche Vorstellung, den ganzen Tag dermaßen gequält und belästigt werden. Nur Seelenkrüppel haben dabei Wohlgefühle, gesunde Leute sicher keine.