Jeder gackerte erleichtert und schadenfroh, unterdrückte wieherndes Gelächter. Einzig der mutige Ingomar machte kein fröhliches Gesicht, tropfte unablässig. Patschnasse Kleidung klebte am sportlichen Leib. Dabei wollte er soeben lieber sterben, sein Leben für Erfried in die Waagschale werfen... Wütend schüttelte er Wasser ab. Er wünschte den unerfahrenen Jungen von Anfang an nicht dabei, widersprach besonders laut. Und nun dieser ärgerliche Reinfall!
"Bevor du dich wieder voller Todesverachtung auf einen Gartenschlauch stürzt und ihm den Brausekopf abreißt, edler Recke, solltest du bedenken, dass ich vorher bestimmt Alarm gemacht hätte", gluckste Herwig Perchten, verbiss angestrengt lautes Lachen. "Ich hab' das doch längst bemerkt. Aber ich muss zugeben, ich rechnete nicht damit, dass dieses blöde Ding plötzlich losgeht. Der Wasserhahn hat wohl eine Zeitschaltuhr."
Auch Erfried kicherte, obwohl er genau wusste, Ingomar wollte das Leben für ihn wagen. Und ohne langes Überlegen opfern! Ob Gundram es auch täte? - Bestimmt! Wäre er selbst dazu bereit gewesen? - Er zweifelte daran. Der jetzt so begossen dastehende Ingomar weckte erneut rückhaltlose Bewunderung und tiefe Zuneigung. Erfried nahm dessen nasse Hand. "Entschuldige bitte, wenn ich auch gelacht habe, Ingomar. Ich weiß aber, was du wirklich tun wolltest und danke dir. Darf ich trotzdem weiterkichern?"
"Meinetwegen", grunzte Ingomar misslaunig, gestand seine unfreiwillig erheiternde Lage ein.
"Na, da braucht's er nachher nicht mehr so ausgiebig duschen, unser junger Held", bemerkte Oskar Dimpfl und klopfte ihm überfeuchtete Schultern anerkennend.
"Sehr tröstlich", raunzte Ingomar verstimmt.
"Du weißt ja, dass so was kaum meine Wellenlänge ist, aber ich muss zugeben, du hast einen echt knalligen Arsch in der nassen Hose", gniggerte Werner Lübbers, wedelte kokett seine Kutte.
"Halt die Klappe, du Blödmann!"
"Lasst jetzt den Quatsch!" befahl Herwig Perchten.
Sie schlossen zu Gundram auf, der regungslos verharrte, unbeteiligt am mühsam unterbundenen Gelächter. Dessen Augen blickten starr ins Umfeld.
"Ist alles klar?" raunte sein Vater. Gundram nickte.
Endlich verdeckte erneute Wolkenbank den Mond. Auf Herwig Perchtens Handzeichen ging es weiter. Oskar Dimpfl als erster vorn, gefolgt von Gundram. Kurz blinkte Mondlicht durch Lücken im Wolkenstreif, verschwand glücklicherweise sofort. Aufatmend erreichten sie in weitem Bogen quadratische Platten des Aufgangswegs, knapp bei Stufen zur überdachten Terrasse. Unter dem Terrassendach lagerte tiefe Dunkelheit. Hinreichende Deckung gegen wachsame Augen menschlicher Nachbarschaft. Aber noch musste sicherer Weg dahin gefunden werden.
Oskar Dimpfl blieb stehen, linste misstrauisch zum flachen Dach. Erfried sah von Ecken, Rändern und Kanten dünne Funken in alle Richtung stieben, teilweise himmelwärts tanzen und nach einigem Zittern blinkend verlöschen. Offenbar fand Oskar gefahrlosen Zugang, lotste längsseits des Sockels, betrat kurz vor einer sperrenden Hauswand betonierten Untergrund.
Er schrak unwillkürlich zurück, als am linken Fuß bläuliche Funken sprühten und knisternde kleine Blitze über Schuh und untere Hosenbeinhälfte sprangen. Der Spuk verflog. Zugang schien offen. Allerdings flitzten bei erster Berührung jedes mal Funken und Blitze, durchzuckten jeweiligen Körper, traten winzig an Haarspitzen wieder aus, verloschen. Jeder fühlte scheußliches Kribbeln in Nervenfasern. Herzschlag und Atem beschleunigten.
Gerade rechtzeitig verschwanden Erfried und Ingomar als letzte in wartende Finsternis des Terrassendachs. Durchscheinend gewordene Wolkenbank hinderte endgültig kein Mondlicht mehr. Klarer Nachthimmel. Überall blinkten Sterne, Mond erhellte ungewohnt, bot ausgezeichneten Überblick über das kleine Parkviertel. Selbst weiter ab stehende Kirchtürme am Marktplatz erkannte man mühelos, nebst erstaunlich vielen Einzelheiten der kleinen Stadt. Mondlicht kann sehr hell sein, für gute Augen fast so geeignet wie Tageslicht.
Im Dunkel flüsterte Oskar Dimpfl: "Wir haben noch Glück gehabt, das Gemäuer ist recht neu und noch nicht zur Gänze aufgeladen. Für unkundige Leut' wär's aber schon eine rechte Todesfalle. Kein normaler Mensch käm' hier nie nicht rein, nicht einmal bis hierher. Die würden vorher umfallen und jeder tät' glauben, sie hätt' der Herzschlag weggerafft. Der Schlag schon, aber ein ganz anderer. Es lädt hauptsächlich bei Gewitter auf. Schon das nächste wird reichen und wir kämen auch kaum mehr rein." An Herwig Perchten gewandt: "Du musst mich jetzt aber führen. Ich seh' so gut wie nichts mehr."
"Alles klar, Freund", antwortete er, erkannte ohne Schwierigkeiten jede Einzelheit, tappte sicher über Betonboden und führte Oskar Dimpfl zur Haupteingangstür, gleichfalls an der Terrasse.
Nach kurzer Prüfung gab Oskar auf. "Hier geht's nicht. Wir müssen's woanders versuchen."
Langsam gingen beide finstere Glasflächen entlang. Jedes einzelne Teilstück anscheinend eine Schiebetür. Erfried erkannte schwach Oskar Dimpfls mehrfaches Kopfschütteln. Dann endlich! Bläulicher Blitz huschte, als Oskar Dimpfl dickes Glas am unsichtbaren Rand berührte. Einigermaßen angestrengt schob er das Frontteil fast lautlos über benachbartes. Gähnende Schwärze quoll.