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Abermal, Kapitel 25, Seite 01

flackert


Hoch ragte Schattenriss zum Himmel. Schwarzer Gipfel in Wolken sperrte Sonnenlicht. Kein Erschrecken, nachdem die Stimme unzweideutig erkannt. Einzig Lähmung und Gewissheit. Eingetreten, was seit Tagen befürchtet, verstohlen darum gebetet, es geschehe nicht. Stets gleichzeitig bewusst, letztlich führe kein Weg vorbei. - Wieder in Alpsklaverei!

Breitbeinig aufgebaut stand der Alp, ließe ihn nicht entkommen. So richtig konnte Erfried dessen Gesichtszüge im Gegenlicht nicht ausmachen. Jedoch kein Zweifel, wer herunterblickte. Erstarrt, schweigend und ausdruckslos sah er den Alp an. Welche Worte sprechen? - Guten Tag, Ingomar!? - Unpassendstes, was über seine Lippen geriete. Der Junge konnte auch nicht, hielt unwillkürlich Luft an. Schier wollte er durch Atemhindern abwenden, die Zeit fließe weiter, schriebe unausweichliche Folgen endgültig fest. Traumtanz! Gedanken rasten verrückt herum, vollführten Sprünge und wilde Sätze, verwirrten zu unlösbaren Knäueln.

"Hej, Erf, junger Freund, hat's dir die Sprache verschlagen oder was ist los?" Verwunderung in Ingomars Frage.

Innerlich empörte der Junge, weshalb sein Gegenüber frage und auch noch verwundert? - Wie kann der so fragen? Wie kann der sich wundern? Was erwartet der denn, nachdem er mich in eine Falle lockte und elend verriet?

Weiterhin brachte er kein Wort heraus, holte aber endlich neue Luft, nachdem es in der Lunge bereits brannte. Kein Zeitstillstand gelungen. Ohnehin nur hilflose Verhaltensweise mittlerweile geschwundenen Kindes, das in frühen Jahren glaubte, Atemverweigerung stoppe Fortlauf unliebsamer Ereignisse. Schon damals herb enttäuscht festgestellt, wie sehr es misslang. Erst recht, auf kindhafte Weise.

Am liebsten wollte er Ingomar anspringen, ihn schlagen, Augen ausstechen, in dessen Eier treten. Doch Erfried konnte seine Lähmung nicht abschütteln. Nun verschlug hochschießender Zorn über eigene Ohnmacht die Sprache. Erbärmlich den Kopf schütteln gelang und allen Trotz und Widerstand darin legen.

"Mensch, Erf, was ist denn mit dir los? Geht's dir nicht gut? Bist du krank?" Ingomars lastender Schattenwurf verschwand, überließ durch Blätterdach blinkenden Sonnenstahlen angestammten Platz. Der Alp saß jetzt neben dem Jungen auf der Parkbank, sah ihn forschend seitlich an. "Sag doch was, Erf!" forderte er fast herrisch. "Mit dir ist doch was nicht in Ordnung! Was ist denn los? Kann ich dir helfen?"

"Helfen?!" brach urgewaltig heraus. Ungebremst raste Wut. Erfried sprang hoch, ballte Fäuste und schrie dem Alp ins Gesicht: "Du willst mir helfen?! Wobei denn?! Willst du mich wieder dorthin schleppen, wohin du mich vorher mit deiner Heuchelei und Verlogenheit hingelockt hast?! Wieder in diese teuflische Falle, in euer verfluchtes Haus?!"

Leute auf Nachbarbänken sahen verwundert über lautstarken Ausbruch herüber, schauten aber rasch wieder weg. Was ging sie der Zank eines Halbwüchsigen mit jüngerem Mann an, wenn letzterer offenbar nicht gewalttätig?

"Na höre mal!" Ingomar saß überrascht vom Wutanfall des Jungen. "Was soll das denn heißen? Würdest du mir das bitte mal erklären?"

"Tu' doch nicht so, als wüsstest du nicht ganz genau, was da abgelaufen ist!" schrie der Junge hasserfüllt, holte aus und schlug geballter Faust zu.

Aber der Alp erfasste im Bruchteil eines Augenblicks, was folgen sollte. Blitzartig schnellte dessen Hand vor, schnappte Erfrieds Handgelenk, hielt es hart umklammert. Langsam verdrehte er dem Jungen geschickt und kraftvoll den Arm, zwang ihn gegen vergeblichen Widerstand schmerzhaft auf die Parkbank. Ohne heftige Schmerzen konnte Erfried nichts mehr rühren, hoffnungslos diesem Finsterwesen unterlegen. Auch für Ingomars gewöhnliche Menscheneigenschaften gelte es ähnlich, wenn auch kaum derart niederschmetternd.

"Wage es nicht noch einmal, mich schlagen zu wollen!" Drohende gesprochene Worte ließen keinen Zweifel an ihrer Ernsthaftigkeit. "Bei allem Verständnis und aller Freundschaft, Erfried! Solltest du das noch einmal versuchen, dann lernst du mich von einer sehr unfreundlichen Seite kennen!"

Ingomar brauchte angehende Halbwüchsige wirklich nicht fürchten, ebenso wenig gleichaltrige Gegner. Lediglich jemand wie Gerd Wesseling nähme es mit ihm hinreichend leicht auf. Vorausgesetzt: Kein Alp, sondern normaler Mensch! Kein Mensch konnte einen Alp verprügeln oder sonst wie nötigen. Der Junge gab seine Gegenwehr auf, starrte blass im Gesicht nach unten. Körperliche Gewalt half ohnehin nichts.



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Mannie Manie © 1999
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