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Abermal, Kapitel 13, Seite 06

flackert


Er mochte nicht daran denken. Inzwischen verließ er kleine Altstadt längst, wanderte an Häusern in Gärten vorbei. Häuser, kaum viel mehr als hundert Jahre alt, großenteils erheblich neuer.

Hier wohnten betuchtere Leute. Ärzte, Rechtsanwälte, Kaufleute und Beamte. Vornehme Ruhe ringsum, jedoch keine Stille. Ab und an wehten Gesprächs- und Musikfetzen aus Gärten. Stimmen von Bewohnern und möglicher Gäste. Hunde bellten. Zurückhaltendes Gelächter. Man trank Kaffee oder spielte Federball oder lag einfach nur in der Sonne. Kühle Getränke auf kleinen Gartentischen, Sonnenbrillen auf Nasen. Nur hin und wieder liefen andere über Gehsteige. Rasch verschwanden die wenigen Fußgänger in einem der vielen Gärten, selten noch von hinten sichtbar. Hohe Hecken verdeckten meist jede Sicht, entzogen sie dem Blick zwischen gutbürgerlichen Häusern, Bäumen, Sträuchern und Beeten. Ruhige Zeit frühen Nachmittags im kleinen Parkviertel.

Am Ende der Gartenstraße ließ unlängst wer ein Haus hinbauen. Ein Architekt? Aus Science-Fiction-Film hierher entführt, eckte es auf Anhöhe inmitten hochnotpeinlich gepflegtem Rasen. Letzterer eher künstlicher grüner Grasteppich über gesamten Hügel. Neu angepflanzte Heckengrenze noch sehr niedrig und nackt beschnitten. Freier Blick über das Grundstück. Kümmerlich wirkten wenige jung eingesetzte Bäumchen, als frören sie, trotz des warmen Sommertages, seit sie die Baumschule verließen und vor Betongusswänden Stellung bezogen.

Eigentlich ausgesprochen hässliches Haus. Ganz aus Beton, stellenweise grell und pastell bemalt. Seltsam verschachtelt in verschiedenen eckigen Kisten gestaltet. Unpassend große Fensterflächen zerbrachen das Gesamtbild noch mehr, ließen sicherlich viel Licht in Innenräume, muteten aber auf ihre mordsmäßige Art eher wie Kaufhausschaufenster an oder Treibhausverglasung. Wer mag hinter Schaufenstern leben? Wer im Gewächshaus?

Alles an diesem Haus wirkte trotz bemühter Vielgestaltigkeit seelenlos, übertrieben modernistisch. Eben, wie aus einem Science-Fiction-Film abgeguckt. Bunt, kalt und abweisend, machte es nicht den Eindruck, Menschen könnten darin auf Dauer heimisch werden. Ein Bungalow auf teilweise kahlliegendem Kellersockel mit Flachdach. Insgesamt wie kranker Zahn, dem am Gaumenrand zuviel Zahnfleisch abhanden und deshalb bald ausfallen musste. Zischend versprühte ein Rasensprenger blinkende Nässe auf kurzgequält mager stehende Grashalme. Von aufsteigender Feuchtigkeit strömte Geruch frisch gefallenen Regens. Ansonsten unwirkliche Stille.

Fast schon an futuristisch feindlicher Kulisse vorbei, bemerkte er Bewegung auf der Terrasse. Eine Frau stand aus einem Liegestuhl hinter Kübeln mit baumartigen Pflanzen auf. Zuvor saß sie im Schatten überkragenden Daches. Nicht eindeutig, ob sie zu ihm herüber sah oder anderswo Blick ruhen ließ. Etwa zwanzig bis dreißig Meter Abstand. Außerdem trug sie dunkle Gläser vor den Augen. Spiegelnd gehemmte Sicht. Sie nahm die Sonnenbrille ab. Erfried blieb unwillkürlich stehen.

Die Frau von gestern, vor dem Feinkostgeschäft neben der Buchhandlung Zeisig! Sie ist es! Sie, die einfach in Gruppe junger Leute verschwand, als sei sie nie da gewesen. Abermals gierten vollständig schwarze Augäpfel. - Wollte sie ihn auf die Stelle bannen und dann ganz langsam aufnehmen, aufsaugen, verdauen, verschlingen, auflösen in Schwärze?

Täuschung? Aus dunkelndem Dachüberhang trat sie nicht heraus. Lagen deren Augen lediglich im Schatten geschwungener Brauen? Vertrug sie vielleicht nur kein Licht? Oder vertrugen alle von Finsterung befallenen sowieso kein echtes Licht, weshalb alles immer trüber, farbloser, grauer und undeutlicher werden musste? Übernahmen diese Lichtscheuen nach und nach die Herrschaft über hiesige Kleinstadtwelt, brachten das sämtlich her, verursachten es gezielt? Außerirdische? - Grau gegossene Betonsäule mit schwarzen, leeren Augenhöhlen, mit Armen und Beinen und Händen, Sonnenbrille in linker Hand. Erfried starrte die Frauengestalt aufsteigend entsetzt an.

Plötzlicher Schleier. In weitem Netz warf der Rasensprenger feuchte Vorhänge dazwischen, verklärte Umrisse, machte sie unscharf, ließ die weibliche Gestalt im Dachschatten verschwinden. Brütender Bann gelöst. Breiter Wasserfächer neigte zur anderen Seite. Im Sonnenlicht glitzerte kurz Ansatz eines Regenbogens, verlöschte rasch. - Niemand mehr unter dem Terrassendach. Weggezaubert! Genauso schnell, wie gestern auf dem Gehsteig großer Ladenstraße.

Genarrt von Licht und Rasensprenger? - Eine Terrassentür musste es sicherlich geben. Darin kann sie abgetaucht sein. Nur weil er selbst keine sah, bedeutete das nicht, es sei keine vorhanden. Dort musste sogar eine sein. Gewöhnlich haben Terrassen stets unmittelbaren Zugang. Wäre ja Schwachsinn sonst.



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Mannie Manie © 1999
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