"Soll ich mal nach Gundram sehen und ihn bewegen, aus den Federn nach hier zu kommen?" erbot Erfried, wollte ohnehin lieber jemand ungefähr gleichaltrigen als Gesprächspartner.
"Mach das, Erf! Ich glaube, es ist besser, wenn er nicht allein im Haus ist." Werner Lübbers nahm Frau Neldas Warnungen anscheinend überaus ernst.
"Und trödelt nicht herum, bitte", bat Frau Nelda. "Für eure Freundschaftsdinge habt ihr später noch ausreichend andere Gelegenheit." Sie klang echt besorgt.
"Ich werde es ihm unmissverständlich klar machen, Frau Perchten", versprach Erfried, stand auf und spazierte los.
Weitläufig dehnte der Garten. Sonnig friedlich stand das große Haus, teilweise von Baumkronen beschattet. Vögel sangen in ungezählten Zweigen. Am anderen Ende flatterte Spatzenschar. Sie flogen unter ihrem kennzeichnenden Schimpfgezwitscher über Hecken hinweg, beschrieben unordentlichen Bogen und verschwanden in Weiten von Wiesen und wenigen Äcker ringsum. Dort anscheinend erfolgreichere Futtersuche erhofft. Erfried vermied den Weg wegen kleinkörnigem Kies darauf. Solche winzigen Steinstückchen gerieten leicht zwischen Sandalenriemen und unter den Fuß, drückten unangenehm und mussten entfernt werden. Lästig.
Was soll hier schon groß geschehen? überlegte Erfried, lief neben dem Weg durch höheres Gras. Andererseits besaßen die Wächter, besaß Frau Nelda sicherlich genügend Erfahrung. Sie konnte also bestens abschätzen, wie gut der Schutzbereich tatsächlich schirmte, solange er noch nicht wesentlich ausgeweitet und verstärkt. Das sollte ja kommendes Wochenende erst geschehen.
Siedend heiß fiel ihm seine Mutter ein. - Ständig beim Brückendiener! Dauernd in dessen Nähe! Ob sie in Gefahr ist, mitsamt Reinhild?
Ach nein! Wenig wahrscheinlich. Ingomar stellte deutlich klar, hauptsächlich Erfried selber schwebe wegen seiner Begabung in Gefahr und die anderen nur, wenn er in der Bachgasse bliebe. Den Glanzdieb kümmerten Nebenerscheinungen offenbar nicht. Und Doktor Wappler als Brückendiener ist vorerst sowieso nicht da, tunlichst verborgen samt verheimlichter Ehefrau.
Er muss um sein Leben fürchten. Magdalena Wappler nicht minder. Die Wächter nähmen ganz sicher keinerlei Rücksichten auf das Geschlecht. Feinde mussten umgehend unschädlich gemacht werden. Hier zählte nur Schnelligkeit, Ergebnis. - Eigentlich ganz vernünftig! bestätigte er nüchtern.
Friedlicher warmer Sommertag. Noch halber Weg zum Haus. Kein Grund für übermäßige Eile. Ingomar trat aus offenem Hauseingang, schlenderte gedankenversunken seitlich durch Gras zu besonders filziger Schwarzdornhecke. Sie und anderes Gebüsch bildeten richtiges großes Zimmer im Garten. Fast waagrechte Baumäste breiteten eine Art Dach darüber. Fehlte nur passende Tür. Rücken zum Weg blieb Ingomar abseits darin stehen, besah verschlungene Gewächse. Bewundernd sah Erfried hinüber, spürte abermals heiße Flamme. Ingomar bemerkte ihn nicht. Aber vielleicht wünschte er auch nur mal einige Minuten allein.
Echt verwunschener Garten, betrachtete man ihn ganz in Ruhe. Jetzt müssen hier nur noch Feen tanzen, dann ist das Märchen vollendet, dachte Erfried gerade belustigt, als er linkerhand zwischen anderen Gesträuchen Bewegung glaubte. Er sah hin.
Tatsächlich! Weiter ab schwankte ein Busch. - Frecke der Bernhardiner zwängte durch Zweige. Erfried blieb erwartungsvoll stehen. Aber Frecke schien anderweitig beschäftigt. Kein Wunder. Ihm folgte sogleich anderer Hund aus dem Gebüsch. Erfried lächelte. Frecke brachte seine Freundin mit, wollte sie in die 'Bande' der Wächter einführen. Auffallend großes Tier. Dogge, soweit Erfried beurteilen konnte. Beide Hunde schlichen über kleine Freifläche näher zum Weg. Irgendetwas wirkte abweichend.
Trotz geliebter Doggenfreundin, müsste Frecke auch auf andere 'Bandenmitglieder' ansprechen, sie begrüßen wollen? Der Bernhardiner zeigte doch einige Male, welche Freude es ihm bereitete, an jemandem hochspringen, flatschend durchs Gesicht lecken und zumindest einmal zufrieden Wuffen.
Wahrscheinlich erspähte Erfried beide Tiere zwar, aber sie ihn nicht. Hunde können nicht so gut sehen wie Menschen. Außerdem stand er noch halb hinter einer zum Weg ragenden Hecke. Dann sah er es: Augen des Farbenräubers! Doppelt! - Plötzlich stürmten die Hunde voran, wollten dorthin, wo Ingomar abgewandt stand.
Der Glanzdieb! Todesgefahr! Ich darf es nicht zulassen, muss Ingomar helfen! Ihm darf nichts geschehen! Der wollte am Richthügel ohne Bedenken sein Leben einsetzen. Ich muss es auch für ihn tun! - Aus dem Stand rannte Erfried los. "Ingomar!"
Im Augenwinkel sah er Ingomar langsam herumwenden. Ahnungslos! Gleich erreichten beide Hunde den Weg. Nur wenige gewaltige Sätze genügten dann. Hier griffen nicht bloß zwei riesige Hunde an, sondern Schwarzwesen mit anderen, zusätzlichen Waffen. Tödlich für überrumpelten Freund. Wild entschlossen hechte der Junge vor Hundeläufe. Heftiger Schlag traf seine Rippen, raubte Atem. Das Doggenwesen stolperte über Erfrieds Beine, überkugelte einmal, rappelte zähnefletschend sofort hoch. Der einst sanfte, liebevoll grobe Frecke rammte voll in den Jungen, schleuderte ihn wie eine leichte Stoffpuppe wütend beiseite, stürzte darüber, griff sofort an.