Erfried zuckte zusammen. Das eiskalte Wasser weckte einige wenige Lebensgeister. Sogar mit solchen kindischen Kleinigkeiten quälte der Alp meisterlich. Willenlos kam er dessen Aufforderung nach, putzte obendrein Zähne. Die geschlitzte Wunde am rechten Unterarm schmerzte kaum, fast halben Finger lang. Leichtes Brennen zerrte. Blutig verschorft starrte sie ihn an.
Gundram wartete derweil, überwachte unablässig. Glitzernde Augen. Nachdem Erfried erzwungenes Werk beendete, zog ihn der Alp in düsteren Flur, griff vorher abgeworfenes Oberhemd. Durch verwirrende dunkle Gänge zerrte er den Jungen.
Wie viele Türen er sah, wie viele Stockwerke, wie viele Treppen und wie viele Stufen? Erfried zählte nicht. Nur im Hinterkopf meldete Erinnerung, das Haus an der Ronnburg habe mit dem Dachgeschoss drei obere Stockwerke. Von außen besehen! Innen mochte es ganz anders sein. Zumal Behausungen von Dunkelalben sicherlich Flure, Ebenen und Zugänge in jenseitig fortgesetzte Weiten besaßen. Im Gesellschaftsraum vor Stunden erkannt.
Aber auch ohne jenseitige Teile und Zugänge musste das Haus an der Ronnburg sehr groß sein. Und sehr alt obendrein, wie er unschwer feststellte. Beim ersten Besuch sah er nicht viel vom Hausinneren. Lediglich den ungewohnt großen Flur hinter der Eingangstür, den großen Gesellschaftsraum, das Badezimmer im hinteren Flur und die Küche. Von außen vermutete man solche Innenmaße ohne geübten Blick nicht so leicht. Man richtete das Haus verlaufe ungezählter Jahrzehnte - Jahrhunderte? - offensichtlich wiederholt neu her und baute aus.
Verschieden hohe Decken, überraschende dunkle Ecken und hervortretende alte Balken bewiesen es. Auch sonst alles reichlich verwinkelt. Ein Irrgarten, worin er niemals allein zurechtfände. Bei schwächlich trüber Nachtbeleuchtung sowieso. Wohnlich gemachte alte Höhle, düster verwirrend, unübersichtlich und abweisend. Unterschlupf, verborgene Fluchtburg. Geheime Gewölbe von Dunkelalben.
Trotz unverkennbaren Alters, schien alles gut in Schuss. In Gängen lagen unterschiedlich lange, erstaunlichen Winkeln angepasste Läufer, dämpften zuverlässig Schritte. Alte und neuere Bilder an Wänden, Gemälde, zeigten im Zwielicht kaum, was tatsächlich dargestellt. Schemenhaft starrten Gesichter hart aus viereckig und manchmal rund oder oval gerahmten Wandbehängen. Freundlichkeit schien diesen Abgebildeten stets fremd. Auf Flurkommoden und kleinen Tischen entlang Wänden standen seltsamste Kunstgegenstände oder achtlos abgestellte Dinge des Alltags. Leise quietschten einige Dielen.
Läufer deckten auch Treppen. Geländer besaßen gedrechselte Knäufe und Schnitzwerk. Ächzend meldete manche Stufe steigenden Füßen ihr langes Leben, knarrte kratzend widerborstig. Einige Geländerstreben quarrten sogar zweite Stimme dazu. Zusammen ergab es garstigen Vielklang, wie von bösen gestörten Kobolden.
Wieder herrschte bekanntes Gefühl, er gehe durch unendlichen Tunnel. Örtlich bis zu Mauselochgröße verengt, an entscheidender Stelle jedoch gangbar. Wände weiteten, schlangen ankommende Nahrung tiefer. Walkende Därme. Erneuter Gedanke, Familie Perchten müsse gut betucht sein. Vielleicht nicht reich, schon gar nicht märchenhaft reich, aber über ausreichende Mittel dürften sie verfügen.
Wie konnten sie sonst dieses Haus und das riesige Grundstück unterhalten? Oder, ob sie vielleicht doch sehr reich sind und es nur nicht nach außen zeigen wollen? Denkbar schon und auch wahrscheinlich. Aber woher bezogen sie ihren Reichtum?
Er vermutete, Dunkelalben wüssten sicherlich Quellen oder nutzten solche, von denen normal Sterbliche bestenfalls träumten. Entriss nicht auch Siegfried der Nibelung einst einem Alp, Drachen und Ungeheuer den riesigen Schatz, das Nibelungengold? Drachenlager genannt, weil jenes habgierige Unwesen einfach darauf schlief und wohnte, zusammengeraffte Kleinodien, unermesslichen Reichtum geeignet bewachte.
Nach fast ausufernder Wanderung treppauf und durch ungezählte Gänge und Winkel schien angesteuertes Ziel erreicht. Langgezogene Zimmerflucht. Fades Glimmen. Nirgends leuchtete hell und freundlich eine Lampe. Nirgendwo vertraute Geräusche. Alles lag still, strahlte bedrückende Fremdheit. Todesleere herrschte und dumpfer Geruch staubigen Alters.
Die Bude müsste mal wieder gelüftet werden, dachte Erfried. Dürrer Anflug von Galgenhumor. Dann wurde er auch schon durch mächtig aussehenden Türrahmen geschoben, dessen Türblatt kurz knarrte. Dahinter brannte nicht einmal funzeliges Nachtlicht. Dunkelheit hüllte. - Gefängnis, Kerker?