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Abermal, Kapitel 07, Seite 02

flackert


"Nein! Freikirchen sind schon evangelisch, gehören nur nicht zur Landeskirche."

"Ihr geht nicht in die richtige Kirche?"

"Das ist die richtige Kirche, sagen meine Eltern!"

"Eltern haben auch nicht immer recht." Erfried fragte wohlweislich nicht, wo da der Unterschied zu Sekten sei. Er wollte etwas von dem anderen Jungen, durfte ihn also nicht vor den Kopf stoßen.

"Wir können ja trotzdem mal miteinander Schmöker lesen. Ich besuche dich und bringe einfach ein paar mit. Deine Eltern brauchen das doch gar nicht zu wissen. Ich trage die Hefte auch nicht unterm Arm, wo sie jeder gleich sieht." Er zwinkerte Bernd Kaiser verschwörerisch zu.

"Reingucken möchte ich schon mal gerne, weil ich so was noch nie richtig angesehen habe."

Bernds Neugier offenbar erfolgreich geweckt, freute Erfried. "Heut Nachmittag habe ich nichts groß vor. Soll ich dich mal besuchen kommen?"

"Ja, gerne! Aber ich muss erst meine Schularbeiten machen. Das dauert bis Zwei. Und um Fünf gehen wir immer zur Bibelschule."

"Ich hab' immer mittwochs so was", schwindelte Erfried halb, weil er die Bibelstunde der Kirchenjugend schon seit einiger Zeit grundsätzlich schwänzte. Er starb dort vor Langeweile, besonders bei diesem endlosen Ringelreihbeten. Grässlich peinliche Angelegenheit.

"Bei uns ist das jeden Tag."

Du grüne Neune! dachte Erfried, verbarg aber sein Missbehagen. "Ich kann dir auch gern bei den Schularbeiten helfen", bot er großzügig an.

"Danke dir, aber das macht unser Prediger."

"Euer Pfarrer?"

"Das gibt's bei uns so nicht. Aber so was ist der schon."

Du liebe Zeit, Hausaufgaben beim Prediger! Ist ja wohl...! "Na, dann komme ich eben um zwei Uhr, abgemacht?"

"Abgemacht!"

Die Schulglocke schrillte dazwischen, verkündete aufdringlich Pausenende. Erfrieds und Bernds Klassenräume lagen in jeweils anderen Fluchten überaus weitläufigen Schulgebäudes. Sie nickten einander zu und verschwanden in verschiedenen Eingängen.

Nach Schulschluss trödelte Erfried langsam nach Hause. Endlich kam wieder mal Sonne zum Vorschein, vertrieb graue Wolken. Überall zwitscherten fröhlich Vögel, schwirrten und summten Bienen und anderes Kleingetier.

Jetzt, in angenehmer Wärme und Tageshelle, kam ihm gestern Erlebtes noch viel unwirklicher vor als am Morgen. Ob Wunsch nach Abenteuer, Abwechslung und Spannung Hauptgrund für solche Dinge? Trotzdem scheute er den kleinen Platz mit Durchgang zum unheimlichen Innenhof, machte sogar gewissen Umweg. Normalerweise führte sein Schulweg nur eine Gasse weiter vorbei. Über gedankenverlorene Trödelei wurde es fünf nach Eins, bis er endlich am Mittagstisch saß. Eilig schaufelte er Essen, achtete kaum darauf, ob es schmeckte.

Missbilligend sah seine Mutter zu. "Iss langsam, bitte! So schnell essen ist nicht gut für den Magen. Und anständig sieht es auch nicht aus."

"Ja, ist ja gut, Mama. Ich muss mich aber ein bisschen beeilen, weil ich um Zwei mit einem Freund aus der Siedlung hinten bei der Ronnburg verabredet bin. Wir wollen zusammen lesen."

"Lesen, aha! Bestimmt wieder dieses schreckliche Schundzeug, wie?"

"Nein, Mama", behauptete er. Treuherziger Augenaufschlag. "Bernd Kaiser hat so was nicht. Die Familie Kaiser ist in so einer strenggläubigen Freikirche ganz dick drin."

"Methodisten oder Adventisten?"

"Das weiß ich gar nicht genau. Das nennt sich aber dort Bethlehem-Gemeinde."

"Bethlehem-Gemeinde, soso!"

"Dann breche ich mal los, Mama. Es ist ja ein ganzes Stück weit bis da hin und mein Fahrrad ist doch kaputt."

"Dann solltest du es vielleicht mal endlich reparieren und nicht einfach herumstehen lassen."

"Das mache ich ja auch bald, Mama."

"Na, dann mache dich mal auf die Strümpfe, du Schlingel", meinte Eleonore Gundeleit launig und lächelte.

Sie wusste, Erfried würde nicht einfach plump lügen, sondern bestimmt irgendwelche seiner heiß geliebten Schundschmöker mitnehmen. Besagter Bernd Kaiser besaß solches Zeug wahrscheinlich nicht selber. Wenn diese Leute einer Freikirche angehörten, dann gingen sie vielleicht nicht einmal zu Tanzvergnügen, wenn es nicht gerade im Rahmen der Kirchengemeinde stattfand, was aber ausgesprochen fraglich. Soweit kannte sie strenggläubige Freikirchenleute.



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Mannie Manie © 1999
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