Dennoch wurde unablässig vom Tod geredet. Besonders von der Kirche oder ähnlichen Anstalten, Sekten und noch viel fremderen Religionen, befremdlichen Heiligen. Und sie reichten unwahrscheinlichste Geschichten herum, denen er längst nicht mehr glaubte. So konnte es gar nicht sein. Aller Augenschein und alle Vernunft sprach dagegen. Das mochte nur unbesehen glauben, wer niemals Fragen stellt. Und Fragen stellen, echte Fragen nach dem Sinn des Gelehrten, gehöre in diesen Zusammenhang auch nicht, wie man ihm schon vielmals versteckt oder offen nahe legte. Alle diese studierten oder bestens belesenen Leute besaßen keine echten Antworten, redeten wortreich und mit fremden Ausdrücken drum herum, behaupteten schlankweg, es könne nur so und nicht anders gesagt werden.
Wie? Sie konnten nicht? - Was nützte ihnen dann ihre Gelehrtheit, oder anderen, oder überhaupt? Oder musste es richtiger 'Geleertheit' heißen? Sind Lehrer in Wirklichkeit Leerer? Lehren sie oder leeren sie? Sind sie leer oder machen sie leer? Zufall, dass Lehre und Leere gesprochen keinen Unterschied hören ließen? - Zufall? - Was ist Zufall? Warum fällt einem etwas zu? Warum fällt überhaupt etwas zu? Weil Eignung für das Fallen, für Zufallen besteht?
Dann ist es aber kein Zufall im landläufigen Verständnis von sinnlosem Belieben, sondern bedarf bestimmten und gänzlich geeigneten Voraussetzungen. Nur dann fällt es zu. Wasser fließt keinen Berghang hinunter, wenn gar kein Berghang da ist. Würfel fallen nicht 'zufällig' so, wie sie fallen. Sie fallen so, weil eine bestimmte Person mit bestimmten Fähigkeiten in bestimmter Weise sie auf eine bestimmte Oberfläche mit bestimmten Eigenschaften wirft. Ob diese Person genau weiß, was sie tut oder darüber nachdachte, ist gleichgültig. - Würfel fallen, wie sie geworfen werden! Niemals anders!
Noch gut erinnerte Erfried des Pastors Hilflosigkeit, dem er genau diese Fragen ganz ähnlich stellte. Der studierte Herr flüchtete in bequem nichtssagende Ausrede, Gottes Ratschlüsse seien eben unerforschlich. Übliches Gerede unwissender oder ahnungsloser Leute.
Wovon redete er, wenn er Gott sagte? Von gedanklicher Beliebigkeit? Wer ist dieser Gott, bitte?
Weiter wusste der Pastor nicht, verwies bedrängt darauf, solche Fragen seien philosophische Probleme. Philosophie habe aber nichts mit Glauben oder Religion zu tun.
Warum denn nicht? Warum haben Fragen nach dem Wesen der Dinge nichts mit Religion gemein? Weil sie nicht ins vorurteilende Glaubensbild passten? Weil die Antworten nicht genehm ausfielen?
Unlängst stellte er werbenden Zeugen Jehovas genau dieselben Fragen, wie dem Pastor.
Offenbar wesentlich schlichter gestrickt als der Pfarrer, verstiegen diese biblischen Märchenonkel und -tanten zur albernen Aussage, darüber stünde nichts in der Bibel und Weisheit der Welt solle man nicht beachten, sie sei wertlos. 'Jehova Gotz' Weisheit läge über allem, habe der Apostel 'Soundso' geschrieben.
Aha! Wenn dieses Buch - Gottes Wort - keine ausreichende Antwort auf bohrende Fragen bietet, wozu ist es dann nütze?
Obendrein stellten befragte Zeugen die trostlose Zukunft in Aussicht, nach dem jüngsten Tag, Harmagedon nannten sie das, mit ihnen und ihrem Glauben in einer neuen Welt ewig zu leben. - Lieber nicht! Sie unterschied nichts von diesem grässlichen Bruder Tobler aus der Bethlehem-Gemeinde. Selbst die Hölle wäre erträglicher!
Ist 'Jehovagott' nicht weise genug und weiß, es kann solche oder ähnlich gelagerte Fragen geben? Was weiß jener angeblich allwissende?
Zuwenig! befand Erfried kurzerhand und strich auch diese Möglichkeit schweren Herzens, ahnte schmerzlich, es erginge ihm bei jüdischen Rabbinern oder mohammedanischen Geistlichen nicht besser. Wie er aus dem Unterricht wusste, gründeten deren Lehren gleichfalls weitgehend auf Überlieferungen des alten Testaments. Allesamt denselben Gott vor Augen. Gleiche Fehlanzeige. Da schienen ihm der olle Pfarrer und Martin Luther weitaus angenehmer. Immerhin wies die kirchliche Seite seine Fragen nicht schlankweg ab, sondern erklärte einfach ihre Unzuständigkeit.
Aber wo in diesem verdammten Kaff könnte man einen Philosophen auftreiben? - Obendrein unsicher, ob echter Philosoph und kein verquaster Quatschkopf. Nur Hochschulabschluss in Philosophie bot keine ausreichende Gewähr. Das stand für Erfried längst klar. Ihre Lehrer für Kunst und Musik studierten schließlich vormals Kunst oder am Konservatorium. Nicht die Bohne Künstler, beherrschten sie künstlerische Techniken und Kunstgeschichte, unterrichteten dieses.
Einzig ein Maler stellte in hierorts Künstleranspruch, sicherlich gleichfalls Studierter. Aber dieser unsägliche Mensch brachte ausschließlich blöde Blumenaquarelle am Fließband zuwege, welche er gut verkaufte. So gesehen, sind Goldschmiede sehr viel mehr Künstler. Jedenfalls sehen deren Schmuckstücke meist angenehmer aus, nicht so elend geschmacklos, wie dessen potthässliche Blumenaquarelle. - Röhrende Hirsche für Blumenfreunde! Todlangweilig!