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Abermal, Kapitel 26, Seite 05

flackert


Erfried nahm Ingomar das Blatt aus der Hand, ging hinaus und legte es deutlich sichtbar auf den Küchentisch. Kurz sah er noch einmal die kleine Wohnung an, nahm endgültig Abschied von Resten verflossener Kindheit. Es gab keine Wahl mehr, wollte er seine Mutter und Reinhild nicht gefährden. - Von jetzt an musst du dich weitgehend wie ein Erwachsener verhalten! - Er ging zurück in sein Zimmer. Ingomar wartete ruhig, prall gepackte Schultasche unter dem Arm.

"Ich will mir aber noch was zu Lesen mitnehmen", erklärte Erfried und wuchtete einen Stapel heiß geliebter Sigurdschmöker auf den Tisch, holte weiteren Schwung 'Tom Prox' und 'Billy Jenkins' hervor.

"Du lieber Himmel! Was willst du denn damit?" lachte Ingomar.

"Lesen, was denn sonst?"

"So'n Zeugs hat Gundram auch. Massenhaft! Und ich habe noch eine irre Menge solcher Schmöker säuberlich geordnet bei mir herumliegen. Irgendwo in einer Schublade oder einem vergessenen Schrankfach oder in einem Karton auf dem Speicher oben."

"Du hast so was auch gelesen?"

"Na sicher doch! Tom Prox, Billy Jenkins, Pete, Der Rote Korsar, Speedys Weltraumabenteuer, Nick der Raumfahrer, Gib Acht!, Rasselbande, Das Zelt, Akim, Tibor, Tarzan, Utopia und wie sie alle hießen oder noch immer heißen. Nick der Raumfahrer war immer besonders abgedreht, weil das Raumschiff wie eine alte V2 aussah und nie aufgetankt werden musste. Dabei juckelte der Kerl dauernd durchs ganze Weltall, landete auf allen möglichen und unmöglichen Planeten und kämpfte gegen Weltraumbösewichte, was das Zeug hielt. Zu allem Überfluss war der Einstieg bei der Rakete unten, wo die Triebwerke sind. Dabei geht so was technisch gar nicht. Nicht mal einen Aufzug in die Steuerkanzel hat der da gehabt, musste immer so eine doofe Leiter raufklettern. Aber schön bunt war das Ganze, das muss ich zugeben."

"Und deine Eltern hatten damals nichts dagegen?"

"Ach was! Meine Mutter oder mein Vater meckerten nur manchmal, das sei rausgeschmissenes Taschengeld. Ich solle mir lieber dafür Eis oder Süßigkeiten kaufen, da bekäme ich zur Strafe wenigstens Bauchschmerzen oder mir würde kotzübel."

Sie lachten beide. Erfried räumte die Schmökerstapel wieder weg. "Ein paar Sachen zum Anziehen werde ich aber einpacken."

"Mach das. Aber viel brauchst du nicht mitnehmen. In Gundrams etwas ältere Sachen passt du doch bestens rein, wie ich weiß. Gundram ist innerhalb eines Dreivierteljahres ein gutes Stück gewachsen. Vorher war er gerade so groß wie du. Na ja, er ist ja auch ein bisschen älter. Womöglich wächst du nächstens auch so schnell, bist dann sogar größer als Gundram jetzt."

Erfried hielt eilig gepackten Rucksack. "Ich bin soweit, Ingomar, wir können dann losbrechen."

Türklappen verkündete Endgültiges, als sperre etwas Wege. Absichtlich blieb er einige Schritte zurück, schloss sorgfältig ab, wollte Ingomar heimliche Tränen nicht sehen lassen. Ärgerlich wischte er sie weg. - Du musst jetzt wie ein erwachsener Mann sein! - Aber er fühlte überhaupt nichts dieser Art, wollte es in Wirklichkeit nicht. Lebensabschnitt zu Ende: Die Kindheit! Unwiederbringlich vorbei!

Wehmut befiel, als er hinter dem jüngeren Mann das Haus verließ. Wortlos stiegen sie ins Auto. Ingomar sah einige Male den Jungen forschend an, sagte aber nichts. Er spürte einschneidenden Abschluss gleichfalls. Allerdings begann damit Neues. Leider wenig erfreulich. Absichtlich fuhr er anschließend ins kleine Parkviertel.

Erfried spähte aufmerksam aus Wagenfenstern, deutete nach einiger Fahrzeit zum flach verschachtelt wirrkantigen Bauwerk auf kahlem Hügel. "Dort oben ist der eckige Bungalow!"

Ingomar stoppte, schaute scharf durch Windschutzscheibenglas. Schließlich stellte er den Motor ab und stieg aus, musterte gesamtes Grundstück aufmerksam. "Ja, das ist die alte Hinrichtungsstätte. Am Brendel, heißt das hier. Scheint aber niemand Zuhause. Wirkt leer und verlassen."

Erfried kurbelte die Seitenscheibe herunter, steckte nachgerade ängstlich den Kopf knapp hinaus. Missliche Gegebenheiten vor Augen.

Düster thronte abwegig supermodernes Kistending auf Hügelhöhe. Bauliche Ausführung zeigte keine echte Klarheit, von neuzeitlichen Häusern mehr oder minder fälschlich erwartet. Eckig, verwirrend, flachdachig und irgendwie krank lagerte alles über sonst angenehm anmutender Wohngegend. Auch warmer Schein langsam zum Westrand des Himmels neigender Sonne änderte nichts. Das warf eher wildere, scharf abgegrenzte Schattenrisse gegen teils blendweiße Wände. Große Fensterfronten vervollständigten mit durchlässigen, zugleich spiegelnden Oberflächen ungutes Gemengsel. Ratenweise wirkten sie wie rechteckig gähnende Löcher in der Welt. Scharfkantige Tore ins Dunkel.



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Mannie Manie © 1999
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