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Abermal, Kapitel 14, Seite 10

flackert


Erfried schlängelte zwischen den vielen Leuten aus dem Raum, durch offene Wohnzimmertür in großen Hausflur. Einige Gäste hegten anscheinend gleichfalls Gedanken an baldigen Aufbruch. Fünf Leute standen in leisem Gespräch vor der Garderobe. Sie schauten auf, lächelten. Kurz verstummte deren Unterhaltung, danach gedämpft, fast flüsternd fortgesetzt. Er steuerte zur hinteren Flurtür, öffnete, meinte zweifelsfrei, es folgen fünf harte Augenpaare, weshalb er die Tür sorgfältig schloss, bohrenden Blicken entkam.

Im schwach beleuchteten Flur herrschte erstaunliche Stille. Alles Stimmengewirr blieb außen vor, ausgesperrt vom dicken Türholz. Nur das eine oder andere Lachen scholl schwach herein, erstarb in Ganglänge. Von matter Deckenlampe leidlich erhellt warteten beiderseits Türen, als wollten sie Einkehrende einladen und gleichzeitig aussperren. Zwei von insgesamt fünf Türen besaßen im oberen Teil verglaste Durchbrüche. Eine bildete das Gangende, Halbschatten dahinter. Die zweite führte ins Badezimmer. Lampenlicht warf verschwommenes Rechteck an gegenüberliegende Wand.

Erfried griff nach der Klinke und erschrak leicht. Leise knarrend schwang das Türblatt nach innen. Jemand stand gebeugt über den Hocker mit seinen verschmutzten Sachen. - Gundram! Sofort bohrte dessen Blick in Erfrieds Augen. Er lächelte merkwürdig.

"Hallo! Ich habe gerade nach deinen Sachen geschaut. Du liest Sigurd und Falk und auch Tom Prox, wie ich sehe." Gundram schwenkte ein Hefte herum.

"Ja, warum denn nicht? Tust du das nicht?" Erfried ärgerte Gundrams Ton.

"Doch, habe ich auch eine ganze Zeit lang gemacht! Aber jetzt nicht mehr viel. Nur noch ab und zu mal."

"Willst du die lesen? Ich hatte sie für einen Schulfreund mitgenommen, kenne sie schon." Erfried zog das Hemd aus.

"Nicht unbedingt. Ich kenne die glaube ich auch schon. Warum ziehst du das Hemd aus?"

"Ich muss langsam nach Hause. Es ist schon spät geworden. Ich sagte meiner Mutter, ich käme gegen neun Uhr wieder."

"Dafür musst du doch das Hemd nicht ausziehen." Gundram legte das Heft auf dem Hocker ab und grinste Erfried dabei an.

"Ich will meine Sachen wieder anziehen."

"So'n Quatsch! Willst du etwa die verdreckten Klamotten wieder anziehen? Die Bluejeans kannst du sowieso behalten. Die passen mir doch gar nicht mehr. Und Hemden habe ich genug andere. Da fehlt mir eins nicht."

"Ich wollte nicht einfach mit anderer Leute Sachen abhauen." Unsicher hielt er das Hemd in der Hand.

"Wozu sollst du denn überhaupt abhauen? Bleib' doch einfach über Nacht hier. Wir rufen bei euch Zuhause an und die Sache ist erledigt." Gundram stand nach wenigen Schritten vor Erfried, starrte ihm ins Gesicht.

"Wir haben kein Telefon", wagte Erfried zaghaften Einwand, konnte nicht erklären, weshalb er plötzlich verunsichert und unentschieden. - Er wollte nach Hause, unbedingt!

Gundram wandte keinen Blick von Erfried, griff kraftvoll dessen rechten Arm, drehte die Innenseite nach oben. Fest umklammert! Er nahm ihm das Hemd aus Hand, ließ es achtlos zu Boden fallen. Unwohl berührt sah Erfried hin. Was wollte der andere da entdecken?

Plötzlich tauchte Gundrams linker kleiner Finger ausgestreckt ins Blickfeld, übrige Hand zur Faust geschlossen. Krallig stach langer Fingernagel vor. Messerscharf gefeilt! In flinkem Schnitt furchte Gundram Haut am eigenen rechten Innenarm. Blut trat nur weniges sofort aus. Ehe Erfried richtig begriff, schlitzte geschärfter Fingernagel seinen Innenarm. Eisern festgehalten!

Tiefer Schnitt klaffte über drei Zentimeter. Hellrotes Blut quoll breit aus beiden Wunden, rann herunter, tropfte zu Boden. Brennender Schmerz. Aufschreien wollte er, treten, brachte keinen Ton, keine Regung zustande. Schlagartig stockte Luft, lähmte hart.

Unversehens in zäh klebrigem Alptraum ertrunken, sah er machtlos, wie Gundram ihre blutenden Arme genau mit den Wunden zusammenpresste. Kochend heißer Strom riss in funkenden Strudel greller Blitze und bunter Schlieren. Danach verschwand alles. Rauschen und Brausen, gefolgt von dickem Nebel. Schließlich fühlte er nichts mehr.

Verzehrendes Brennen. Eigener Schrei aus weit aufgerissenem Mund. Nur im Kopf... langgezogener Schrei... verwehte... fremd...



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Mannie Manie © 1999
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