Bleischwere Stille zwängte nebst plötzlicher Dunkelheit. Buchstäblich vom Donner gerührt wagte niemand Bewegung. Riesig und alt stülpte dicker Sack über alles, raffte in hart kratzende Hülle, worunter es unerträglich stank. Und so unerträglich, wie sicher geglaubter Gestank, lastete auch damit verbundenes Gewicht. Auf sämtliche Fläche drückte es, nagelte jedes Stäubchen gnadenlos fest, wollte nie wieder loslassen. Kein rasselnd fallendes Fanggitter konnte besser seinem Zweck dienen.
Erfried stockte augenblicklich der Atem. Auch sein Herz verhielt, angehalten vom niedergebrechenden Schlag. Er spürte Lähmung ringsum, hörte keinen Atemzug. Allein in stockdunkler Weite ohne Grenzen. - Ja, grenzenlos! Wenden wohin man wollte, ohne Hindernis gehen, in jede beliebige Höhe und Richtung.
Doch was nützt unendliche Ausdehnung, wenn es darin nichts gibt, außer Stille, Schweigen, Lichtferne und Finsternis? Bewusste Gefangenschaft im Nichtsein, rachsüchtig vom Lichtfraß allem zugedacht, ihnen als erste zu schmecken gegeben? Wahre Folter, wie sie schlimmer nicht sein konnte. Irgendwann befiel Wahnsinn ratlos suchenden Geist. Fraglich, ob der Dieb des Glanzes den Ausweg zuließe, in geistige Umnachtung entkommen.
Wo sind Gundram und die anderen? - Erfried lauschte. - Rauschendes Nichttönen!
Besaß er noch Ohren, Gehörgänge dahinter, Nervenbahnen, welche Schallreize zum Gehirn schickten, als solche entschlüsselt und aufgenommen? Wo blieb sein Atem? Erstickte er jetzt? Oder klemmte dieses Erstickungsfühlen, diese Atemangst für alle Zeit, quälte und bohrte, nagte und würgte, klammerte eisern? Grausame Freude des Würgers? Alles vorbei, kaum richtig begonnen?
Wo seid ihr alle?! Gundram, wo bist du?! Ingomar, kannst du nicht helfen?!
Niedergeschlagen erkannte er seinen Verlust: Erst kürzlich gewonnene Freunde wieder verloren! Nie wieder erlebten sie zusammen den Zauber des Sonnenuntergangs, wanderten auf Gedankenwegen hinaus in abendliches Wunschland voller Abenteuer und Geheimnis. Es schmerzte und fraß. Sämtlich in schwarzem Kerker gefangen? - Mit Sicherheit! Getrennt und hoffnungslos vereinzelt, eingemauert...
Licht flammte plötzlich, durchschnitt schmal die bangen Fragen, warf harten Strahl ins Dunkel. - Licht? Wirklich echtes Licht? Erfried mochte seiner Wahrnehmung nicht trauen, glaubte an abgefeimte Folter des Räubers der Farben, hämische Freude des Brückendieners. Hoffnung vorgespiegelt, hernach wieder zunichte. Gelungene Quälerei. Bevor er weitere Gedanken fasste, hörte er eine Stimme.
"Was steht ihr denn alle da wie Ölgötzen? Da draußen sind bloß die verdammten dreckigen Kisten herunter gekracht und wie Bomben auf den Boden geknallt." Herwig Perchten lachte verhalten. "Ich gebe ja zu, ich bin selbst auch mächtig zusammengefahren. Aber einer von uns hätte bestimmt vorher gemerkt, wenn irgendwas anschleicht. So ist es ja nun doch nicht, dass uns der Lichtfraß oder der Brückendiener dermaßen überrumpeln können. Nicht, solange wir wenigstens zu sechst und so nah zusammen sind. Wir hätten die verdammten Kisten eben ein bisschen sorgfältiger wieder stapeln sollen."
"Sakradi!" kam als einzige atemlose Antwort von Oskar Dimpfl.
Alle anderen schnappten noch nach Luft, keuchten teilweise im aufgewirbelten ekligen Staub des Dachstuhls. Auch der Träger der schwarzen Kutte machte beim gemeinsamen Schreck keine Ausnahme, stand wie versteinert halb aufgerichtet. In lautem Hustenanfall streckte er zu voller Höhe. Tiefer unten wallte Staub offenbar um einiges dicker und widerlicher.
"Ich hab' mir vor Schreck fast in die Hosen gepisst", bekannte Gundram unverblümt, hob rasch seine heruntergefallene Taschenlampe vom Boden auf, knipste am Schalter hin und her. Kaputt! "Mist! Meine Lampe ist hin!"
"Solang es nur das ist! Ich dachte schon, jetzt ist alles aus und ich würde nicht einmal noch ein Sterbenswort von irgendwem hören." Erfried nahm erleichtert den schlaksig aufgeschossenen Freund in die Arme.
Gundram umschlang ihn sofort mit eigenen langen Ausläufern. "Ich hatte eine Scheißangst und dachte auch, du seist weg, mitsamt allen anderen. Keinen klaren Gedanken konnte ich fassen, nicht mal in der Lage, sofort nach dir... Wie gelähmt! Gut, dass es bloß die blöden Kisten waren!"
Gegenseitig hörten sie mählich ruhigeren Puls, spürten wärmende Ausstrahlung des anderen. Vier Augenpaare betrachteten anrührendes Bild. Es weckte Erinnerungen an selbst erlebte Augenblicke, nur zu gern angehalten, festgehalten. Auf keinen Fall verlieren...
"Sehr seelenvoll! Dazu habt ihr beiden aber noch den ganzen Rest dieser Nacht Zeit", hustete Ingomar weniger gerührt dazwischen. "Wir sollten hier lieber abhauen. Man erstickt ja fast in diesen Staubwolken aus altem Dreck. Da kann man ja übelste Lungenkrankheiten kriegen."