Fahndungsplakate und Warnhinweise, statt anderem Wandschmuck. Hässlich strahlten Leuchtstoffröhren nackt von der Decke, badeten Nüchternheit in scharfem Licht, zeichneten strenge Umrisse an abgegriffenen Aktenordnern, schief in alten Holzregalen. Leise aber durchdringend dröhnten die stets etwas flimmernden Leuchtröhren. Sonst eigentümliche Stille. Hellhaariger Polizist saß abgewandt an einem von insgesamt drei abgenutzten Schreibtischen, las anscheinend in Akten. Jedenfalls tat er so oder machte aus Gewohnheit solchen Eindruck. Genauso gut mochte er dösen. Sie sah nur dessen Rücken und Hinterkopf. Er bemerkte ihr Kommen nicht.
"Guten Abend!" grüßte sie nachdrücklich.
Der grün uniformierte Mann schrak hoch, als habe ihn etwas gestochen. Offenbar doch gedöst, aufrecht sitzend halb eingeschlafen. Jetzt fuhr er herum, schaute aus dicken Augen zum Tresen der Wache, voll gehabter Trägheit. Schnell fand er in betrüblichen Abend zurück. "Oh, guten Abend, gute Frau! Was möchten sie denn, wo brennt's denn?"
Sie erklärte dem erstaunlich jungen Beamten ihr Anliegen, dachte wachsender Sorge an den toten Jungen von Anfang April. Wenn ihrem Erfried nun gleiches widerfuhr? – Alles, bloß das nicht! Entsetzlich!
"Da machen sie sich mal erst keine so großen Sorgen, Frau Gundeleit", beruhigte der Diensthabende. "Mit dreizehn Jahren..."
"Er ist noch nicht ganz dreizehn, mein Herr", belehrte sie.
"Na schön, aber doch fast dreizehn. Also, da muss keinesfalls gleich was Dramatisches passiert sein. Noteinlieferungen ins Krankenhaus hatten wir bis jetzt keine. Und einen Unfall gab es nur mit Blechschaden, und das ist schon vor zwei Stunden gewesen. Es ist heute erstaunlich ruhig für einen Samstagabend. Erst später wird es vielleicht noch die eine oder andere Wirtshausrauferei geben, wenn alle schon ordentlich was gebechert haben. Aber sonst... bis jetzt...", er blätterte in Papieren, offenbar Berichte für Vorgesetzte. "Nein, Frau Gundeleit, bis jetzt wurde ganz sicher kein Jugendlicher ins Krankenhaus eingeliefert oder irgendwie aufgegriffen. Ich kann aber mal im Krankenhaus anrufen."
"Das wäre gut, lieber Herr", versicherte sie eilig.
Außer einer privaten Gebärklinik, gab es ohnehin nur das städtische Krankenhaus. Keine übermäßig große Einrichtung. Der junge Polizist lächelte jetzt sogar, nahm den Hörer ab und wählte. - Nach langem Zuwarten ging am anderen Ende jemand ans Gerät. Er fragte, ob man dort vielleicht einen zwölf, knapp dreizehn Jahre alten Jungen aufgenommen habe, oder einen, der nach dreizehn bis fünfzehn Jahren aussah. Offenbar nicht, wie seine Miene zeigte.
Er legte auf und lächelte die besorgte Mutter an. "Also, im Krankenhaus ist er bestimmt nicht. Nur jemand mit einem leichten Herzanfall wurde vorhin eingeliefert, und vor zwei Stunden verarzteten sie eine Frau, die gestürzt war und das Bein anknackste. Sonst nichts, außer alltägliche Routine mit anderen Patienten. Vielleicht sollten sie einfach mal bei den... wie heißen diese Leute? Perchten? ...anrufen. Die müssten doch wissen, wo ihr Junge abgeblieben ist. Wenn er dort war, natürlich nur. Wenn nicht..." Er ließ seinen Satz unvollendet.
"Wären sie vielleicht so freundlich, junger Mann, bei diesen Herrschaften anzurufen? Ich kenne die nämlich überhaupt nicht. Da ist es womöglich etwas unpassend, wenn eine fremde Person um so eine Stunde anläutet. Sie, als Beamter, als Polizeibeamter hingegen..."
"Aber sicher, gute Frau! Das mache ich mal eben gleich." Er suchte im schmalen Telefonbuch nach der Nummer und wählte. Überraschend schnell nahm jemand den Anruf entgegen. Knackend flüsternde Stimme. Der junge Polizist bat wegen später Störung um Entschuldigung und stellte kurze und knappe Fragen. Erfreut lächelte er zu Eleonore Gundeleit, verabschiedete seinen Gesprächspartner und legte schwungvoll den Hörer auf die Gabel.
"Alles in bester Ordnung, liebe Frau", verkündete er strahlend. "Ihr verlorener Sohn ist bei den Perchtens zu Gast, bleibt über Nacht. Die Dame am anderen Ende sagte, bei ihnen in der Bachgasse muss jemand im Auto vorbeigekommen sein, um Bescheid zu geben. Herrschaften, die bei Perchtens von auswärts zu Besuch waren und vor einer knappen Stunde aufbrachen. Vielleicht mussten die länger suchen, weil sie nicht von hier sind und die Bachgasse nicht genau kennen."
"Ach, da fällt mir aber ein gewaltiger Stein vom Herzen. Vielen Dank, junger Mann! Bitte entschuldigen sie, dass ich sie so belästigte. Aber ich habe mir doch solche Gedanken gemacht."
"Ich bitte sie, Frau Gundeleit. Das kann ich sehr gut verstehen. Aber es ist ganz klar kein Grund zu irgendwelchen Sorgen vorhanden. Wahrscheinlich schläft ihr Junge mittlerweile längst selig."
"Wer schläft selig?" fragte tiefe Stimme dazwischen. Offensichtlich altgedienter Polizist trat aus Seitentür in den Wachraum. Scheinbar Vorgesetzter hier.
Kurz schilderte der jüngere Beamte den Vorfall. Währenddessen geriet Eleonore Gundeleit das Auto am Gassenende in Erinnerung. Jene auswärtigen Leute, welche Bescheid sagen wollten und erst um diese späte Zeit das richtige Haus fanden? - Der Zettel! - Unentwegt von einer Hand zur anderen getauscht, völlig vergessen in ihrer Sorge. Schnell entfaltete sie raschelndes Papier. Handgeschriebene Zeilen - an sie gerichtet! Die Nachricht bestätigte den jungen Polizisten.