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Abermal, Kapitel 26, Seite 08

flackert


Erfried löste sich aus Erstarrung, nickte fast unmerklich. Zum ersten Mal seit bald unvorstellbar langer Zeit fühlte er Sicherheit. Für Perchtens nicht irgendwer, sondern jemand, den sie brauchten und wünschten. Er besaß eine Fähigkeit, über welche sie bei all ihrer heimlichen Macht und ihrem verdeckten Einfluss nicht verfügten, nicht kaufen konnten oder sonst wie dienstbar machen. Und gemeinsamer tödlicher Feind schmiedete zusammen: Der Dieb des Glanzes, der Räuber der Farben!

"Komm mit ins große Wohnzimmer, da können wir uns hinsetzen." Scheu zupfte Gundram ihn am Hemdärmel. Halb gesenkte Augen wagten keinen vollen Blick. Er schien wirklich sehr zerknirscht, wirkte schon nachgerade jämmerlich und erbarmungswürdig. Erfried machte ersten Schritt zur halboffenen Tür des großen Gesellschaftsraums.

"Soll ich mitkommen?" erbot Ingomar einfühlend.

"Nicht nötig, Ingomar", wehrte Erfried ab. "Vielen Dank! Ist wirklich nett von dir, mir beistehen wollen. Aber das ist jetzt wohl nur noch eine Sache unter uns Jungs."

Ingomar lachte leise. "So langsam ändert es sich aber. Also beruft euch nicht mehr so nachdrücklich auf euer jugendliches Alter, ihr beiden. Ich werde mal schauen, wo meine Eltern sind. Alles klar?"

"Alles klar, Ingomar", nickte Erfried, folgte davongeschlichenem Jungalp.

"Mama und Papa sind mit anderen im Küchengarten", murmelte Gundram kurz aus dem Türrahmen. Dann verschwand er eilig dahinter.

Niemand sonst im Raum. Stillstehende Luft roch entfernt nach Zigarettenrauch. Draußen in der Eingangshalle hörte Erfried Ingomars Schritte. Irgendwo klappte eine Tür. Wahrscheinlich zum hinteren Gang, welcher am Badezimmer vorbei zur Rückseite führte. Wieder stiegen Erinnerungen hoch. Und so lachhaft es auch klingen mochte, musste er eingestehen, dieses Badezimmer gewann für ihn schicksalhafte Bedeutung, samt Gang und Hintertür.

Das schicksalhafte Badezimmer! Was es doch für schwachsinnige Zusammenhänge geben kann? Klang fast wie misslungener Titel langatmigen Liebesschmökers. Letztere Druckwerke langweilten ihn sowieso stets endlos, konnte nie verstehen, weshalb man wegen solch albernen Angelegenheiten dermaßenen Aufstand machte. Einfach doof!

Ungewohnt schummrig im weitläufigen Wohnzimmer. Vor hohen Fenstern stehende Bäume nahmen bereits viel Licht. Nur nach aufmerksamer Betrachtung könnten Unkundige alle Einrichtungsgegenstände richtig erkennen. Lediglich das Klavier ließ deutliche Umrisse sehen, glänzte schwarz in späten Tag. Schweigend standen Erfried und Gundram einander gegenüber. Fliegen surrten durch offene Fensterflügel herein, tanzten um kronleuchterartige Lampe an der Decke, flitzten in irrwitzigen Schleifen überall hin. Fern klang von Kirchtürmen der kleinen Stadt Abendläuten. Verstummte, verwehte irgendwo.

"Wollen wir uns aufs Sofa setzen?" Gundram sprach leise, deutete zum gewaltigen Möbel.

Erfried nickte, nahm Platz, erwartete, dass Gundram begann, sah keine Verpflichtung für erste Worte. Was sollte er ihm sagen? Schließlich zwang und gängelte er Gundram nicht gegen dessen Willen zu etwas, das dieser so nicht wollte. Auch nachfolgende wilde Spiele schafften da keinen Unterschied. Lustvoll hin oder her, fühlte er dabei nichts als irre Angst. Unter anderen Umständen allerdings...

Gundram saß etwas abseits, starrte Löcher in dunkelnde Innenluft, spielte nervös mit einem abgestellten und vergessenen Trinkglas auf dem Sofatisch. Er druckste herum, stellte schließlich das Verlegenheitsspielzeug vernehmlich hin, füllte hörbar die Lunge. "Ich weiß gar nicht so recht, wie ich es sagen soll. Ich kann nur sagen, dass es mir sehr leid tut, wenn ich dir was angetan habe, das dir Angst machte oder Schmerzen. Inzwischen kann ich mir vorstellen, wie dir dabei zumute gewesen sein muss. Meine Schwester ist zwar eine Furie, aber sie hat mir überdeutlich klargemacht, was jemand empfindet, wenn er oder sie in eine solche Lage gerät und sie nicht erklären kann. Was soll ich noch anderes sagen, als dass ich es nur gemacht habe, weil ich dich vom ersten Augenblick an gleich gern hatte, nichts versäumen wollte und keine Zeit verlieren. Und genau das war eigentlich falsch. Mensch Erfried, ich habe dich so sehr als Freund gewünscht, wie du's dir vielleicht gar nicht vorstellen kannst. Und jetzt schon erst recht nicht mehr, weil du fürchtest, ich könnte es wieder so machen."

Erfried sagte immer noch nichts, betrachte ihn schweigend seitlich. Allerdings erkannte er die Ernsthaftigkeit der Worte. Er besaß gutes Gespür für schlechtes Gewissen oder Unaufrichtigkeit bei Gleichaltrigen, merkte meistens, eigentlich fast immer, wenn diese ihm etwas vormachen wollten oder hinters Licht führen. Hier spürte er nichts davon. Allmählich kam sogar leises Mitleid auf. - Gundram ist nicht der übel finstere Alp, für den ich ihn hielt und mich fast zu Tode fürchtete!



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