Seite vorher
Seite weiter
Kapitel vorher
Kapitel weiter
Kapitelliste

 

Abermal, Kapitel 27, Seite 06

flackert


Mitternacht, Stunden des Wandels. Es wurde Zeit für notwendige Vorbereitung und Aufbruch. Alle sechs zogen dunkle Kleidung über. Gundram gab seinem Gefährten entsprechende Sachen. In dessen unergründlichem Schrank lagerte genügend, wenig ordentlich. Danach machten sie Eindruck von Einbrechern auf nächtlichem Raubzug. Einzig Werner Lübbers fiel aus dem Rahmen. Nachtschwarze Kutte mit weiten Ärmeln und ebensolcher Kapuze, worin er noch unheimlicher aussah, als er vielfach sowieso wirkte. Eine Sense in Händen, gliche er leibhaftigem Tod auf Suche. Zwei Autos warteten.

"Der Sensenmann fährt BMW", witzelte Ingomar, erntete Werner Lübbers vernichtenden Blick.

"Immerhin ist das wenigstens ein Auto und keine welsche Wellblechdose, wie deine alte Ente, oder so eine Volkshämorrhoidenschaukel, wie dein neuer Käfer", gab Werner Lübbers zurück.

Oskar Dimpfl grinste breit. Die BMW-Limousine gehörte ihm. Er kannte seinen Wagen und dessen Leistungskraft. Als selbstbewusster Einwohner des Freistaats fährt man eben BMW.

Gundram wollte nicht von Erfried getrennt werden, bestand unnachgiebig darauf. So rollten sie zu viert voraus. Ohne Licht und ohne Antrieb bergab. Herwig Perchten und Ingomar vorn, beide Jungen auf den Rücksitzen des dunkelfarbenen Opel Admiral. Gleicherweise folgten Werner Lübbers und Oskar Dimpfl in etwas altertümlich ausschauender, mattschwarz schwerer BMW-Limousine. Zwei winzig rote Rücklichter in der Heckscheibe des Opel Admiral wiesen Fahrweg.

Unverkennbares Knistern am Waldrand. Sie verließen den Schutzbereich der Ronnburg. Langsam rollten die Wagen weiterhin ohne Licht und Motorschub. Lautlose Totenkutschen auf gewunden abschüssiger Strecke. Gespensterumzug, Geisterstunde! - Herwig Perchten musste Eulen- oder Katzenaugen oder beides zugleich haben, staunte Erfried. Jetzt, zwischen Bäumen des kleinen Waldes und Hecken am Wegsaum, erkannte er selbst kaum noch etwas. Alles dunkel und düster. Unterschiedlich schwarze Schattierungen und hellerer Sternenhimmel bestätigten, man schwebe nicht durch lichtlose Höhlenröhren.

"Wieso fahren wir denn ohne Licht und Motor?" flüsterte Erfried, stieß Gundram an. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Glanzdieb uns nicht trotzdem bemerkt."

"Deswegen ist das auch nicht", flüsterte Gundram zurück. "Die Scheinwerfer sind am Berg wer weiß wie weit zu sehen und die Motoren mindestens bis in die Siedlung zu hören. Eine Menge Leute würden sich fragen, was da nach Mitternacht bei der Ronnburg los ist. Das muss nicht unbedingt sein."

"Mensch, klar doch!" nickte Erfried. "Daran habe ich jetzt gar nicht gedacht. Man äugt doch sowieso misstrauisch in diese Richtung."

"Eben", mischte Ingomar ins gedämpfte Gespräch. "Unruhe verbreiten, ist nicht unsere Absicht, solange keine ganz unmittelbare Gefahr besteht. Die Wächter bleiben und wirken besser im Verborgenen. Außerdem ist das, was wir vorhaben, nicht unbedingt gesetzmäßig. Wir wollen in fremde Grundstücke und Häuser rein. Wer von den Leuten hier kann denn ahnen, dass wir da nicht eindringen, um zu klauen?"

Sie verstummten. Geisterhaft rollten beide Wagen in unübersichtlichen Kleingartengürtel am Bergfuß. Jetzt erst nahmen Motoren blubbernd Dienst auf. Auch Scheinwerfer. Allerdings Standlicht. Schleichfahrt in fahles Leuchten. Gewirr schmaler Asphaltschneisen. Dunkle Hohlwege aus Bäumen, Büschen und Heckenzeilen. Nur aufmerksame Ohren hörten noch in zwanzig Metern Abstand Fahrgeräusche. Gespenstisch rollten Räder über geteerten Untergrund, angetrieben von gedämpft summenden Maschinen. Gleichermaßen vorsichtig, einige Strecken später ins kleine Parkviertel.

Zurückgenommene Straßenbeleuchtung. Lediglich jede dritte Laterne glomm kühl. Nirgendwo helles Licht hinter Fenstern. Kein Mensch unterwegs. Drei bis vier Male schimmerten vereinzelt matte Lampen durch zugezogene Gardinen, als solle schläfrig bewiesen werden, die Gegend sei bewohnt. Wohl letzte Innenlichter bürgerlicher Schlafzimmer oder in Räumen halbwüchsiger oder fast erwachsener Kinder. Sonst alles ausgestorben. Abnehmender Mond goss silbrigen Schein über Häuser, Vorgärten und Gehwege.

Vollkommen dunkel lauerte platt eckiges Schachtelhaus auf kahlem Hügel, glich im bleichen Nachtgestirn einem bösen, hinterhältig getarnten Drachen. Finster erhofft, unvorsichtige Wanderer kämen nahe, verfielen zu Fraß. Träge schoben schmale Wolkenbänke am Mond vorbei, verringerten weniges Licht. - Spukhafter Neubau! Beton, Stahl und hungrige Fensterrachen. Unwirsches Werk falscher Mauern. Krankhafte Gestalt. Selbst am Tage abscheulich genug, bewies es bei Nacht unzweideutig ätzenden Ungeist seines Ursprungs. Seelenlose Gedankenverrenkung der Bauhausschule.

Langsam rollten beide Wagen aus. Rasch erstarb gedämpftes Motorenbrummen. Gelblich glimmende Scheinwerfer verloschen. Alle stiegen leise aus, sicherten nach jeder Seite. - Nirgendwo Geräusche. Sacht knackte Metall unter Kühlerhauben. Leichter Windhauch ließ abseits Baumblätter müde rascheln, floh schier eilig an anderen Ort. Fürchtete lauer Wind, er werde in fast schwüler Sommernacht von unguten Mächten befallen? Vom Hügel her roch es streng nach feuchter Erde. Gemahnte an alte Grüfte, auf deren Grund Wasser schweren Regens gesammelt sich hartnäckig weigerte abzufließen. Fehlten nur Nebel und Käuzchenschrei mustergültig zur Geisterstunde. Aber hier gab es keinen gefiederten Kauz und Nebel krochen noch lange nicht.



Alle Rechte vorbehalten
Mannie Manie © 1999
Unentgeltliche Weitergabe erlaubt!

weiterblättern: nächste Seite