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Abermal, Kapitel 12, Seite 05

flackert


"Setz' dich am besten gleich hier hin und schau dir alles in Ruhe durch. Ich werde vorsichtshalber noch meine Frau Großmutter fragen, ob sie vielleicht weiß, wo etwas über die Ronnburg für dich zu finden wäre." Jetzt grinste er richtig freundlich, klopfte Erfried sogar anerkennend auf die Schulter.

"Mensch, das tut mir wirklich leid, dass ich dir einen dermaßenen Umstand zumute", bat Erfried um Nachsicht.

"Ach, das ist nicht wirklich schlimm. Es kommt nicht alle Tage jemand mit so ausgefallenen Wünschen. Sowieso niemand in deinem Alter, junger Freund. Da ist das eher eine Abwechslung." Er lachte leise und wirkte jetzt gar nicht mehr so gelangweilt und auch weniger hochnäsig adlig.

"Bist du eigentlich der künftige Graf hier?" Erfried konnte die Frage nicht unterlassen.

"Ich? Nein! Das wird irgendwann mein älterer Bruder. Wenn ich der Graf werden wollte, dann müsste ich den vorher ganz, ganz unauffällig um die Ecke bringen, und davor noch meinen Vater." Aring von Dahlendorf lachte laut und belustigt. "Aber diese Zeiten sind nun wirklich schon lange vorbei. Und solange meine Frau Großmutter noch lebt, ist sie die Gräfin und somit das Oberhaupt. Mein Vater ist nur dem Namen nach der Graf. Erst wenn die Frau Großmutter nicht mehr fähig wäre oder stirbt, dann ist er auch wirklich der Graf. Mein Bruder und ich dürfen uns zwar rein rechtlich auch Grafen nennen, aber das wäre lächerlich, weil wir es gar nicht wirklich sind oder nicht wirklich werden, so wie ich."

"Ich verstehe. Das ist so, wie mit dem Erbhofbauern. Erben tun nach dem Gesetz eigentlich alle, aber nur einer ist der Erbhofbauer, stimmt's?"

"Grundsätzlich ist da kein Unterschied, junger Freund. Früher galt ein anderes Erbrecht. Noch bis in die Zeiten Kaiser Wilhelm II. Damals erbte nur der Haupterbe den Adelstitel und alles andere. Der musste dann die Geschwister abfinden oder versorgen. Genauso war es mit den Erbhöfen, den Erbhofbauern. Und die Mutter hatte stets ein gewichtiges Wort zu reden, behielt wenigstens vorerst das Heft in der Hand."

"Ich dachte bisher auch immer, dass die Witwe dann vornehm in den Hintergrund tritt."

"Nur, wenn sie das will und die Erben volljährig. Ansonsten ist sie ja schließlich die Mutter der künftigen Erben. Und mein Vater war sowieso noch minderjährig, als der Herr Großvater starb. Beim deutschen Adel gab es selten sogenannte Infanten, wie in anderen Ländern. In Spanien und Frankreich beispielsweise, wo schon Säuglinge auf dem Königsthron saßen. Das gab es hier nie."

"Das weiß ich, zumindest was den König oder die Fürstenhäuser anging. Die deutschen Könige und später die Kaiser wurden von den Kurfürsten auf dem Reichstag gewählt. Der Thron war eigentlich nicht zu erben."

"Richtig, junger Freund! Aber jetzt entschuldigst du mich bitte. Ich wollte noch meine Frau Großmutter fragen, wegen der Bücher. Schaue schon mal alles durch, vielleicht wirst du ja rasch fündig." Er winkte und verschwand in die Empfangshalle.

Eigentlich ist er gar kein übler Kerl, dachte Erfried. Wahrscheinlich zuerst nur unsicher, wie er sich verhalten sollte. Ich glaube, ich bin auch äußerst forsch aufgetreten und zeigte mich gar nicht sonderlich beeindruckt von ihm. Das hat er wohl untergründig gemerkt. - Er grinste verstohlen und schlug den ersten gewaltigen Band auf.

Schöne und teure Bücher allesamt. Und auch sehr viele genaue Abbildungen nebst Lageplänen darin. Dazugehörende Texte allerdings, knochentrockene Abhandlungen in angestaubt anmutender Sprachweise, teilweise schwer- bis unverständlich. Wissenschaftliche Berichte von Heimatforschern. Erfried bekam beim dritten Band runde Augen. Fesselnde Beschreibung der Geheimgänge und Gewölbe verschiedener Burgen des weiteren Umlandes fand seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Sofort versank er in Vorstellungswelten schwerterklirrender Bilder aus Sigurdheften. Gerüstet in Harnisch, Schild und Lanze in Händen, ritt er mutige Sträuße mit anderen Rittern, wetteiferte um die Gunst des Taschentuchs vom Burgfrollein. Er suchte geheime Verstecke in feuchten Verliesen, verjagte Kerkermeister aus finsteren Untergründen, durchbohrte Henkersknechte rächend mit Schwert und Speer.

Ausgiebig schwelgte er in Traumwelten vergangener Zeiten, welche doch ganz anders gewesen sein mussten, als gerne gehabt. Zeit und Ort schwanden für ihn irgendwohin. Alles vergessen! Vögel zwitscherten im Parkgarten draußen piepsige Lieder. Blumenduft wehte herein. Regelmäßig lautes Ticken und Tacken der gewaltigen Standuhr durchklang beschauliche Stille gräflicher Bibliothek.

"Du bist ja immer noch hier!" Verweisender Tonfall von hinten.

Wo bin ich hier? - Völlig verloren, die Zeit vergessen, ganz dem Gelesenen und seinen Gedanken hingegeben, erschrak Erfried gehörig. Jetzt fuhr er herum. Hohe Stuhllehne verdeckte die meiste Sicht. Aber er erkannte einige knappe Einzelheiten.

Es konnte nicht der Grafensohn sein. Bereits die Stimme bewies es. Im lichtarmen Winkel neben der großen Doppeltür wartete dunkle Gestalt. Frauengestalt! Schauder rieselte ihm über den Rücken. Frau von Preungen? - Nein, die nicht! Frau von Preungen sah viel draller aus und trug andere Kleidung. Er kniff seine Augen zusammen, stand halb auf, konnte trotzdem nichts genau erkennen.



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