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Abermal, Kapitel 29, Seite 05

flackert


"Kein Wunder", flüsterte Oskar Dimpfl dazwischen. "Wir wissen doch, dass hier nur die Brücke für den Lichtfraß geschlagen wurde. Meinst' denn, dass du wenigstens den Brückendiener ausreichend behindern kannst?"

"Den schon. Aber der Lichtfraß will unbedingt endgültig herüber. Da überwindet der früher oder später auch so was. Ich fürchte, es wird dann eher früher sein. Früher, als uns lieb ist."

"Immer noch besser, als gleich oder noch diese Nacht", murmelte Ingomar.

Herwig Perchten lotste an linksseitig geduckten Gebäuden vorbei unter schwere Dunkelheit riesiger Baumkrone. Kaum noch etwas wirklich erkennbar. Oskar Dimpfl musste zur Haustür gebracht werden, wollte er nicht über Stufen stolpern, die unsichtbar auf fremde Füße verweilten. Offenbar bargen dort lagernde Sperren ähnliche Hürden, wie jene Zugänge in Hügeltiefen im kleinen Parkviertel. Etwas mehr Zeit als am großen Tor benötigte er. Der Träger der schwarzen Kutte gesellte hinzu, benutzte offenbar seinen Zungendolch.

Funkenketten stoben und feine Blitze ästelten wie gierige Würmer.

Nachdem heulendes Rauschen wieder aus Köpfen wich, schwang die alte Haustür knarrend nach innen. Sehen konnte man es aber erst, nachdem Herwig Perchten seine Stablampe im niedrigen Flur dahinter anschaltete. Er trat leichtfüßig und sicher in dunklen Eingang. Sorglich hielt er eine Hand vor den Lichtstrahl, damit kein verräterisches Leuchten weit herausdränge. Aber es reichte für die anderen, deren Augen diese Nacht dunkle Orte und finstere Winkel gewohnt. Rasch verschwanden alle durch seltsam unförmigen Türrahmen, schoben knarrendes Türblatt an ursprünglichen Platz.

Muffig und alt roch es. Altersgestank! Krumm und gebuckelt drängelten Wände. Denen entkrochen Ausdünstungen von gewesenem Tod langer Schmerzen, verstummten Schreien Geschundener, bösem Folterknechtsgelächter, eingedunstetem Blut und niederträchtigem Willen der Hausherren vor langen Jahrhunderten. Darüber lagerte eine Schicht aus Armut und Armseligkeit, gefolgt von Leere und Schweigen.

Geisterhaft knackte altes Gebälk ab und an, als wollten Tote zu ihnen sprechen, deren Seelen schon lange umherirrten, während trauriger Zeiten aber zunehmend verflogen. Schwächliche Ahnung ihrer einstigen Wirklichkeit. Deutlich fühlte jeder ungesundes Strömen, nachdem die Haustür wie ein Gruftdeckel die äußere Welt der Lebenden wegsperrte.

Schmal und wenig einladend reckte steile Treppe ins nächste Stockwerk. Deren Holz an etlichen Stellen einst ausgebessert. Dennoch machte sie keinen besonders sicheren Eindruck. Und das klobige Geländer schien reichlich wackelig. Kurzer Prüfgriff am unteren Pfosten bestätigte es. Von oben drückte niedrige Flurdecke mitsamt finsterer Aussparung, worin roh gezimmerte Steigvorrichtung verschwand. Hier überkam unfreundlich verwirrender Eindruck, jene Höhe führe zugleich in verdoppelte Tiefe. Verkehrte Innenwelt.

Zuerst durchforschten sie das Erdgeschoss. Vom engen Flur führten hinter der steilen Stiege fünf niedrige Türen ab. Sie quietschten widrig, sperrten gegen Gebrauch. Eine bewies nasenfällig den schon vor längeren Zeiten eingebauten Abort. Es stank entsetzlich. Eilig machte Gundram das grause Kotgelass wieder zu.

Nichts in allen anderen drückend niedrigen Räumen, außer einem blinden Spiegel an bröckeliger Wand und weniges aber wild gestapeltes Gerümpel. Es hegte dort Hoffnung auf bessere Zeiten, welche aber niemals anbrechen dürften. Sterben und Leere unbestimmten Laufs, deren zugedachtes Schicksal. Großflockiger Staub lagerte darüber. Niemand erbarmte sich je dieser kummervollen Reste. Durchgebrochene morsche Bodendielen da und dort. Vorsicht geboten, wollte man keine ernste Verletzung erleiden. Lediglich wenige arme Mäuse mochten hier Unterschlupf vor jagenden Katzen suchen. Spinnweben zeugten von anderem Leben. Sämtliche Fensterscheiben heil, wenn auch vielfach blind.

Hinter letzter Tür bildeten schmutzig rutschige Steinblöcke dicke Stufen, führten erschreckend tief in fensterloses, unvermutet gewaltiges Kellergewölbe. Erheblich älter als das Haus selbst und wesentlich modriger und schimmliger als die Gruft des Inquisitors im Richthügel. Vormals unterteilten Folterkammern und Verliese. Spätere Eigner tilgten erinnerten Schrecken leidlich.

Übrig geblieben vom Ursprung, bewiesen unförmige Stützen aus kaum bearbeitetem Stein frühere Kammern und Kerkertüren, trugen wölbende Decke. Fädig und faulig hingen anhaftende Fetzen ekelnd glitschig herab. Ewig traurig lagen einige alte Fässer zerbrochen am Boden. Deren rostige Reifen, längst oberhälftig zerfallen, ragten wie geborstene Rippen über moderndes Holz. Vielleicht einst Wein darin gespeichert? - Wenigstens etwas Freude in diesem aussichtslosen Teil der Unterwelt. Jetzt nur noch klagend verrottete Zeugnisse einstiger Zwecke.

Schließlich stiegen sie ins erste Stockwerk. Bedrohlich knackte und knarrte unvertrauliche Treppe. Klobig gehobelte Stufen, abgewetzt und ausgetreten. Leicht konnte falscher Tritt jeweils Unglücklichen halsbrechend nach unten befördern. Erstaunlich lichte Höhe oben, im Gegensatz zum Erdgeschoss. - Verbannte man früher klein gewachsene nach unten, während hier größere Leute wohnten?



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