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Abermal, Kapitel 31, Seite 01

flackert


Wunderschöner warmer Sommerabend. - Was lag näher, als Spaziergang, schwindenden Tag verabschieden, heranrückende Nacht begrüßen?

Letztes Licht färbte westlichen Himmelsrand seidig rötlich. Samtblau verlaufende Helle in weiteren Höhen. Tiefe Nacht hingegen im Osten, wo zunehmende Mondsichel ihren Weg zwischen glitzernden Sternen suchte. Angenehme Dunkelheit beherrschte Straßen, gelblich durchbrochen von Lampen und schönem Schein aus Schaufenstern. Gemächlich fuhren Autos, säumten Bürgersteige. Keiner hastete herum. Spaziergänger genossen den Abend, frönten ungewohntem Müßiggang, bewunderten Schaufensterauslagen, sicher vielfach hier oder andernorts längst gesehen.

Offener Tür italienischer Eisdiele entquoll Klangbündel irgendeines sturzdummen Schlagers, gerade großartig angesagt. Niemand hörte hin, wollte gar nicht wissen, welchen hirnlosen Text die Sängerin schluchzender Stimme zum Besten gab. Gewisser Weise erinnerte diese Geräuschfahne an vor Jahren einst viel gespultes großes Fruchtbarkeitslied 'Am Tag als der Regen kam', in dem es irgendwo unter anderem heißt: "Da kamst du!" Muss ja mächtiges Niederkommen gewesen sein. Der reinste Sturzbach, jener damalige Erguss. Dies wiederum, ließ Erinnerungen an "ohohohoho wann kommst du?" anderen Schlagers aufkommen. Keiner verstand so recht den mehr oder minder unfreiwilligen Doppelsinn.

Oder sollte das erst später sein, sollte erst kommen? Sollte es erst in fernerer Zukunft zum Deutschlandlied ums Geschäft bangender Nutten während Stoßzeiten geraten? Wer oder was kam da und wie sehr?

Idiotenrennbahn... Zufällig trafen neun Halbwüchsige nach und nach zusammen. - Zufällig? - Eigentlich traf hier niemand wen zufällig. Fühlte wer solches Bedürfnis, wollte andere treffen oder angetroffen werden, lief man einzig auf der Idiotenrennbahn einander irgendwann über den Weg. Nur sie stellte es sicher. Stets wogte hier das meiste Leben, welches in etwa einer Stunde erstürbe. Nach Ende der Spätvorstellung beider Filmtheater an gegensätzlichen Enden flämme es noch einmal kurz auf, verfiele dann wenig später endgültig in todähnlichen Kleinstadtschlaf. Aber davon spürten sie heute noch nichts. Sechs Jungen und drei Mädchen zwischen zwölf und vierzehn Jahren lachten und alberten. Harmlose Abwechslung.

Vorhin erst schlenderten sie gemeinsam zum neueren der beiden Kinos beim Bahnhof, betrachteten Ankündigungsplakate in Schaukästen. Filme, in welche sie nicht hinein durften. Allesamt fieberten Zeiten entgegen, in denen keiner mehr nach Alter und Schülerausweis fragte. Doch bis dahin dehnten etliche Jahre. Keiner gestand es ein. Nicht zu ändern! Eine blöde Lebensspanne. Abwarten...

Zwei Mädchen und ein älterer Junge verschwanden im lauen Abend, wollten eine Fernsehsendung ansehen, die bald beginne. Weiterer Freund aus ihrer Gruppe wünschte am Bahnhof Eis. Sie sollen ruhig vorausgehen, er käme schnellsten nach. Er wies selbstbewusst grinsend auf seine langen Beine, womit wahrlich ausgreifende Schritte gelangen. Ihn verschlang doppelte Schwingtür zur Halle, wohinter Zeitschriftenstand behelfe Frostschleck lockte.

Zu fünft strebte man unter viel Hallo zum anderen Ende der Idiotenrennbahn. Abermals verkündeten angeleuchtete Plakate in Schaukästen Flimmerstreifen. Hin und wieder auch etwas für sie darunter. Zumindest konnten sie sehen, ob kommendes Wochenende Kinobesuch und Abzweigung aus zumeist gering bemessenem Taschengeld lohne.

An Einmündung zur kleineren Ladenstraße überquerten sie den Zebrastreifen, kamen ins mittlere Hauptstraßendrittel. Hier lagen immer noch einige kleinere Geschäfte, neben großen Läden und einem nicht sonderlich anziehenden Kaufhaus. Offenbar brachten jene auch in Kleinstädten gepfefferte Ladenmieten allmonatlich auf, falls betreffendes Haus nicht gerade den Ladeneignern gehörte. Das einzig bei ihnen verbliebene Mädchen entdeckte winzige Verkaufsecke, woran sie sonst vorbeigelaufen wären. Ein Antiquitätengeschäft.

Keiner von ihnen kannte diesen Laden. Nur übersehen haben, schien kaum möglich, weil man hiesige Einrichtungen allgemein gut kannte. Man kam doch schließlich alle Nase lang durch. Also, musste dies Geschäft sehr neu sein. Doch danach sah es überhaupt nicht aus. Es ragte sonderbar verwinkelt ins Haus, längs eines engen Gangs. Wesentlich größer als zuerst vermutet. Seitlich gelangte man an tiefer innen gelegene Ladentür vorbei zum Hauseingang. Bis dorthin weitete gute drei Meter wenig erhelltes Schaufenster alter Machart.

Jedenfalls passte alles zusammen. Nicht nur feilgebotene Waren, Antiquitäten, schienen alt, sondern auch Ladeneinrichtung und äußeres Erscheinungsbild. Nur sehr schmales Schaufenster zum Gehsteig gewandt. Sonst wies nichts auf dieses kleine Geschäft. Nirgendwo ein Name. Von Leuchtwerbung gar nicht erst zu sprechen. Wenige matte Glühbirnen unter altertümlichen Schirmen gestatteten angestrengte Blicke auf Angebot überteuerten Altwarenladens. Die Schirmfarben gemahnten heftig an getrocknete Menschenhaut.

Allen fiel sofort fetter Porzellanbuddha ins Auge. Kein bemerkenswertes Kunstwerk, welches da aus China, dem Reich der Mitte überkommen. Dies feststellen, bedurfte keiner Fachkenntnisse. Schlichter Kitsch, alt und teuer, bunt und geschmacklos!

Erfried wusste, Buddha war niemals fett, fand diese Darstellung um so lächerlicher. Feist und breit grinsend hockte falscher Halbgott auf nicht sichtbarem Sockel. Lästige Kleinkinder kletterten über bunten Buddha, grinsten ebenso feist aber nicht ganz so fett. Sie erinnerten stark an abgrundhässliche Barockputten, welche stets überfressen durch die Gegend flatterten. Man fragte schon in früheren Jahren, wie das mit derart winzigen Flügelchen möglich und ob beim unvermeidlichen Absturz anschließend glitschiger Fettfleck am Boden prange? Sie lachten bei diesen Vergleichen laut.



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Mannie Manie © 1999
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