Andere Spaziergänger schauten nach Quelle lodernder Fröhlichkeit. Missbilligend hochgezogene Augenbrauen. Kopfschüttelnd gingen alle Leute weiter. Einem jedoch missfiel jugendliche Belustigung sehr. Ein junger Mann, vielleicht zwanzig, dunkel gekleidet, wenig geistreicher aber dafür eigenartig verkniffener Gesichtsausdruck.
Plötzlich stand er neben ihnen. Anschaulich ängstigte langer Dolch aus dessen rechter Hand. Schlagartig umgeschlagene Stimmung! Jeder spürte von diesem Widerling ausgehende Bedrohung. Sie verstummten, hielten Atem an. Über den Gehsteig flanierten weiterhin Leute vor dunklem Hintergrund, nahmen Gefahr für die fünf Halbwüchsigen nicht zur Kenntnis. Tappende Gleichgültigkeit.
"Ich bring' dich um!" Mehr sagte der junge Fremde nicht. Flackernde Augen schauten Erfried ins Gesicht. Offenbar sah er es vornehmlich auf ihn ab, weil er zuvor am fröhlichsten lachte.
Keine leere Drohung! - Erfried und seine Freunde fühlten es sofort, wichen ängstlich zurück. Der Fremde folgte. Ein Irrer! Was sonst? Es gab keinen vernünftigen Grund, irgendwem wegen Gelächter Tod androhen.
"Jetzt mach' ich dich kalt!" Wiederholte der Fremde, hob den Dolch zum Stich.
Spitze Klinge glitzerte vor Erfrieds Gesicht. - Keiner Bewegung fähig! Er wusste, mache er auch nur kleinsten Schritt oder Fluchtversuch, atme stärker oder rühre einen Finger, stieße der Verrückte sofort zu. Und er träfe ihn sicher, stand nur halben Schritt entfernt.
Das ist kein richtiger Dolch! erkannte er durch vernebelnde Furcht. Tödlich zeigte dessen lange Stahlspitze auf ihn. Keine wirkliche Messerklinge. Übergroßer Rundnagel, spitz und scharf geschliffen. Den Griff konnte er nicht sehen, bemerkte aber ungewöhnlichen Handschutz, trotz endlos gedehnten Augenblicken in Todesgefahr. Über geballter Faust wölbte am Klingenende grauer metallener Schirm, verdeckte Daumen und Zeigefinger. - Fleischerwerkzeug zum Messerschärfen! Nun selber fleischbohrende Waffe! - Blinkende Spitze. Gleich stäche der Wahnsinnige zu.
"Wenn du einen von uns kalt machen willst, dann machen wir dich kalt!" Wütend entschlossen durchschnitt die Stimme von einem der Freunde Abendluft. Wieder näher gekommen, stand er herausfordernd vor dem Irrsinnigen. Finnendolch gezückt, den er von seinem Vater gestern geschenkt bekam und vorhin stolz zeigte. Finnendolche sind scharf wie Rasiermesser, lang und aus bestem rostfreiem Stahl - und tödlich!
"Überleg' es dir! Wenn du auch nur die kleinste Bewegung machst, den da abzustechen, dann ramme ich dir sofort diesen hier rein! Wir sind fünf!"
"Sechs!" Jener Eiswünschende vom Bahnhof erreichte gerade langbeinig die Gruppe, erkannte gefährliche Lage. Drohend trat der aufgeschossene Junge vor den Irren, sah ihm wild entschlossen ins Gesicht, besaß dessen Körperlänge.
Die übrigen tauchten aus Angstlähmung hoch, nachdem zwei Freunde gemeinsam den Durchgedrehten bedrohten. Sie umringten ihn. Dumpfer Chor raunte: "Dich machen wir kalt! Dich machen wir kalt! Dich machen wir kalt!"
Verunsichert irrte dessen Blick kurz ab. Lage gekippt. Plötzlich selbst Ziel möglich tödlichen Angriffs. Erfried nutzte das sofort, trat ihm aller Kraft ans Schienbein, schlug zugleich den Unterarm des Wahnsinnigen herunter. Selbstgefertigte Waffe klirrte auf Gehsteigpflaster. Der Irre floh! So schnell wie er auftauchte, verschwand er gleich schwarzem Blitz in der Nacht. Bereits nach wenigen Sprüngen im dunklen Hintergrund verschmolzen. Nicht einmal Licht umliegender Schaufenster und bunter Neonwerbung erfasste ihn noch irgendwo. Als habe die Nacht ihn buchstäblich verschluckt.
Erfried schaute zu Boden, suchte klirrend herabgefallenen Nageldolch, entdeckte die merkwürdige Waffe. Zuerst glaubte er an Irrtum. Spitze voran stak halbe Klinge im Stein des Gehsteigs. - Das ist doch nicht möglich! - Herabbeugen bestätigte unwahrscheinliche Tatsachen. Zum ersten Mal sah er den Griff. Außen grob belassener bleicher Knochen. Ohne Glättung. Hier und da ästelig harte Poren. Unheimliches Werkstück! Wieso drang dies Teil derart tief in dünn geteerten Untergrund, als sei es weicher Waldboden oder sonstig lockere Erde? Erstaunt zog er daran. Ganz leicht glitt es heraus. Metallisch kratzendes Geräusch. Wieder aufgerichtet sah er genauer hin.
Menschenknochen! wussten er und alle anderen im selben Augenblick.
Sie konnten nicht sagen, woher grässliche Gewissheit rührte. Unbezweifelbar! Am deutlichsten spürte Erfried es selbst, Knochengriff rechtshändig umfasst. Er wollte grausiges Ding angeekelt fallen lassen. Aber es haftete in der Handfläche. Vergebliche Mühe. Wieder und wieder schüttelte er Arm und Hand. - Weg mit dem Ekelteil! - Sein Blick streifte dabei kurz über das Schaufenster, verhielt, ruckte erschrocken zur Glasflächenmitte zurück, blieb starr haften.
Veränderung! Keiner bemerkte sie vorher. Vollendet höhnte sie entgegen. - Statt des lächerlich fetten Buddha, lagerten unförmig dunkle Flecken an selber Stelle. Im schwachen Licht der Glühbirne darüber glänzte matte Oberfläche. Erschreckend anders beschaffenes Kitschwerk. Zweifellos Porzellan, jedoch nicht mehr geschmacklos bunt, sondern nachtschwarz.
Verzerrte Totenkopffratze! Kein feist grinsendes Gesicht schaute samt spiegelnder Glatze dumm glücklich in die Welt. Böse starrte Knochengesicht, hier und da von grünlichem Schimmel überzogen. Schleimiges rann herab. Giftige Tränen an falschen Stellen. Zur knöchernen Kahlheit des Schädels gekrabbelt, bildeten lästig kletternde dicke Kinder bleiche Krone. Menschenknochen! Todesgewissheit verhießen finster glotzende Augenhöhlen darunter.
Keineswegs leer, wie entfleischte Menschenschädel sonst. Schwarze Blasen platzten schmierig, wurden in Knochenhöhlen zurückgesogen, bliesen neu auf, wölbten vor, zerrissen zäh. Feuchte Fetzen schürften zum Ursprung. Rußiger Nebel entströmte unentwegt glibbernden Aussparungen, kroch über Schaufensteruntergrund, flutete ungehindert durch Glasscheiben. Fauliges Ätzen fraß...