Zäh versperrten Gewächse erwählten Fluchtweg. Teilweise dornige Hecken. Hohes Gras ergoss vielfältig anhaftende Tropfen in Fluten über Füße. Kratzende Äste beschmuddelten, gaben nur unwillig nach, peitschten. Dornen stachen zahllos, ritzten schmerzhaft. Laub und kleine Äste klebten an bereits fühlbar nassen Sachen, verfingen im Haar.
Aber es kümmerte ihn nicht. Nur seine Augen schützte er mit gestreckten Armen. Am linken Hemdärmel zerriss Stoff. Erfried keuchte angestrengt, sah immer wieder furchtsam nach hinten. Keiner bemerkte seine Flucht, glaubte er erleichtert. - Wirklich? Alpe mochten scharfe Augen haben, menschlichen nicht vergleichbar.
Endlich am Gattertor, nach schier endlosem Kampf. Nur noch wenige Schritte trennten. Freie Sicht von der Haustür zum Gatter. Unsicher verharrte der Junge, überlegte bang, wie er restlich kurze Strecke bewältigen sollte. Wenn er das überblickte, dann Schwarzalben im Perchtenhaus erst recht. Wenn jetzt bloß nicht auch noch Frecke der Bernhardinerhund auftaucht und zu schlechter Letzt alles verrät, betete er. Doch der liebte patschnasses Gras offenbar nicht. Hunde scheuen Gewitter, verkriechen gewöhnlich, wenn's donnert, fiel ihm ein.
Nach lang abgewarteter Zeit sprang er drei weite Sätze vor, ruckte das Gatter genügend auf und sauste über abschüssigen Weg zum Wald. - Entkommen! - Keuchend rannte er wie wilder Wind. Noch musste er Wiesenfreiflächen überwinden, endgültig aus dem Sichtfeld fliehen. Oder wollte der kleine Wald zurückweichen, spärlichen Schutz verweigern? - Endloser Abstand.
Erste Büsche. Er brach einfach durch und verschwand zwischen deckenden Blättern im Schutz hoher Bäume. Kurz blieb er stehen, neuen Atem schöpfen. Heftig pumpte seine Lunge nach Luft. Angstvoller Blick zurück. - Keiner verfolgte. Nicht einmal das Haus an der Ronnburg sichtbar. Lediglich dunkle Drohung langte herüber. Verwünschter Ort, von düsterer Umwucherung unsichtbar gehalten. Grässliche Wallburg dahinter. Uraltes Ungeheuer lauerte unter gewaltigen Hainbäumen auf nächstes Opfer, kaltherzig angesprungen, ergriffen und hungrig einverleibt.
Kühler Wind drang durch feuchte Kleidung. Erfried fror. Eindringlich roch der Waldboden nach rottigem Laub und totem Holz. Aus wippenden Tannenzweigen trieften fette Wassertropfen, platschten ins Haar, trafen ohnehin benässtes Hemd. Regen rauschte im Geäst, leidlich gemildert von Baumkronen. Ob sie Mitleid fühlten? Mehr Schutz fand er unter dichtem Blätterwerk einer Rotbuche. Hier platschte es zwar auch nass und kalt herunter, aber nicht dermaßen schlimm, wie unter Fichten. Schließlich ließ der Regen etwas nach, minderte in leise kleine Fäden, verstummte fast ganz.
Seine nackten Füße quatschten bei jedem Schritt in Sandalen. Spitze Tannennadeln klebten, stachen unangenehm. Schwarzer Waldboden beschmierte Sohlen und Riemen. Weiter musste und wollte er. Weg von verwünschtem Hügelzug und dem unheimlichen Albenhaus. Fort von der scheußlichen Ronnburg. Nach Hause!
Könnte seine Mutter helfen? Sollte er ihr wirklich alles erzählen? Glaubte sie das überhaupt? - Unwahrscheinlich! Bestimmt hielte sie es für Ausrede, wegen seines abgerissenen Aufzugs.
Erfried zwängte durch Sträucher auf teilweise geteerten Weg. Der Regen ließ tatsächlich nach. Vereinzelt fielen sprühende Tropfen, überzogen Teerbelag als glatt glänzender Film, glitzten von Blättern begrenzender Büsche. Weitgehend nass, fror Erfried erbärmlich, eilte jedoch unbeirrt abwärts. Beidseitig sperrten dicke Hecken alle Sicht in den Wald.
Weit kam er nicht. Keine zwanzig eilige Schritte. Hinter tiefer gelegener Wegkehre erklang Motorbrummen, näherte. Ein Auto fuhr die Steigung zur Ronnburg hinauf. Blitzartig fiel ihm Swantrauts Bemerkung ein, Gundram sei mit einem Besucher in die Stadt gefahren. - Das könnten sie sein! Das sind sie bestimmt! Sie kommen zurück!
Gehetzt suchten seine Augen nach Auswegen. Erstes Kotflügelstück erschien. Durchdringend heulender Motor. Verzweifelter Sprung. Erfried hechtete ins Gebüsch. Schmerzhaft stemmten Äste entgegen. Doch er schaffte es, duckte zitternd und frierend in Deckung hier glücklicherweise weniger verfilzter Hecke. Schwein gehabt! Wenig später röhrte dunkelgrauer Wagen vorüber, walzte angestrengt bergauf. Drei Leute darin.
Den Fahrer erkannte er nicht. Auch nicht die Gestalt auf dem Rücksitz. Spiegelnde Autofenster. Aber deutlich, Gundrams Gesicht hinter Beifahrerseitenscheibe. Offenbar bemerkten sie ihn nicht, blickten allesamt in Fahrtrichtung. Schließlich verschwand das Heck aus dem Blickfeld. Motorbrummen minderte. Jetzt wagte er halben Schritt auf den Weg, sicherte nach oben. Das Auto fuhr davon. Schwach fernes Fahrgeräusch. Erleichtert hastete er abschüssige Strecke hinunter.
Sein Weg wandelte in verbogen andrängenden Schlauch. Bäume, Hecken, Häuser, letztlich Fenster, Schaufenster und Türen, schattenhafte Gestalten von Leuten säumten zerdehnt gewölbte Ränder. Verzerrt in Länge und Breite, schien zuweilen alles durch schlieriges Brennglas betrachtet, dann wiederum wild drehendes Kaleidoskop.