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Abermal, Kapitel 18, Seite 03

flackert


Endgültig hilflos und verlassen! Von dieser Frau, dieser Raubtiermutter, erhielte er keine Hilfe oder Unterstützung. Sie sorgte mehr ihr Parkett. Noch kurz zuvor hoffte er, sie könne vielleicht Rettungsanker sein. - Vergebens! Herwig Perchten, der Hausherr, schaute aus einiger Entfernung herüber, lächelte schaurig wissend. Den scherte alles feuchten Kehricht, wollte bestenfalls eigenen Anteil sichern. Gleichgültig betrachteten alle Erfrieds Schicksal oder fädelten es absichtlich ein. - Bestimmt sogar!

Unwirklich verfolgte er durch Nebelschwaden, wie Nelda Perchten beim Büfett eine Serviette angelte und blutigen Schaden geschwind behob. Kurz schaute sie noch nach weiteren roten Lebenstropfen, befürchtete offenbar keine. Kopfschüttelnd sah sie beide Jungen ätzend mild vorwurfsvoll an. Herwig Perchten führte seine Unterhaltung fort, nachdem er räuberartig nickte. Zur Aussichtslosigkeit gesellte Verzweiflung.

"Erfried übernachtet heute bei uns", verkündete Gundram gespenstischer Gesellschaft lauthals, zeigte siegestrunken stolz sein Opfer, ließ den Jungen nicht aus Fängen.

Gesichter wandten eins ums andere ihre Flächen herum. Verzerrte Freude zeichnete aufsteigende Muster, nachdem wahrer Anlass der Aussage begriffen. Blutbeweis an Armen. Stille herrschte fast ganz. Letzte Gespräche sanken in Murmeln und Flüstern. Auch der Klavierspieler unterbrach seinen Tastenanschlag, sah wissbegierig herüber. Tragisch verklang letzter Ton, blieb in der Luft hängen, zitterte echogleich weiter, wollte auch danach nicht weichen, verharrte hartnäckig. Verlangte selbst jene Unwirklichkeit zukommende Befriedigung, saftvolles Beuteteil?

Erfried hasste Klaviermusik zumeist sowieso. Sie erinnerte ihn beständig an entsetzlich langweilige Sonntagnachmittage, wenn nichts unternommen werden konnte, weil es draußen unablässig regnete. Und nun auch noch das! Selbst solche Klangwelle wandelte jäh zum Alpdruck, weilte als hässliches Knarzen im Raum. Einzig Ingomar fehlte.

"Na, das ist ein Manneswort!" lachte Swantraut Perchten. "Ist doch schön, dass dein neuer Freund bleibt, wo wir doch heute Nacht noch die Feuerfeier machen. Weiß man denn bei Erfried Zuhause davon?"

Hoffnungsschimmer! In Erfrieds gefangenem Innern wuchs zaghaft Zuversicht. Die werden es nicht wagen und ihm etwas antun, ihn einfach hier zurückhalten. Seine Mutter würde spätestens ab zehn Uhr unruhig. Schließlich sollte er gegen neun Uhr wieder daheim sein. Um elf Uhr bekäme sie Zustände und scheuchte bis Mitternacht Himmel und Hölle auf. Sie weiß, er wollte auch zur Ronnburg, kannte den Namen dieses Hauses. Man wird ihn laufen lassen müssen! jubelte es stumm aber nur kurz. Dann wurde klar, er verriete damit alles, konnte es wenden wie er wollte. Diese mordgierigen Löwenrachen fänden Wege zum angepeilten Ziel.

Erfried sagte zuvor nicht, seine Mutter wüsste, wo er am Abend sein werde, nur dass er um neun wieder in der Bachgasse sein sollte. Trotzig wollte er weiterhin nichts sagen, seine Freilassung verlangen. Gundram schaute Antwort fordernd, griff ohnehin in Beschlag genommene Schulter fester. Forschender Blick lastete unerbittlich, erpresste verlangte Auskunft. Gegen schreienden gefesselten Willen schüttelte der Junge den Kopf. Gurgelnd entquoll ein Wort dem Brustkorb, stieg stachelnd schmerzhaft durch zugeschnürt trockene Kehle, erzwang Bahn nach draußen: "Nein..."

"Ach, das lässt sich machen", verkündete Frau Nelda. "Dort ist zwar kein Telefon, aber unsere Freunde Geraldine und Sieghardt müssen uns leider bald verlassen." Sie schaute zu wölfisch lächelndem Paar auf dem kleineren Sofa. "Ihr seid doch sicher so lieb, fahrt bei Frau Gundeleit in der Bachgasse vorbei und sagt der guten Frau Bescheid, damit sie sich nicht sorgt?"

"Aber sicher doch, liebe Nelda", bestätigte weibliches Wolfsgesicht. "Wie ist die Hausnummer?" Nelda Perchten nannte sie.

Woher kannte sie die Hausnummer? Er sagte sie ihr nie. - Wahrscheinlich von Ingomar! erinnerte er niedergeschlagen. Kurz bevor er an jenem denkwürdigen Gewitterabend das Haus der Perchtens verließ, fragte Ingomar danach. - Ingomar! Wo bist du? Hilf mir doch!

Eben öffnete er angestrengt seinen Mund, wollte Hilferuf hinausschreien. - Fehlschlag! Erster Ton erstickte bereits im Ansatz. Aus Augenwinkel sah er Gundram überlegen grinsend eigene Kehle fassen und kurz drücken. Sofort blieb Erfried alle Luft weg. Klammer um Hals und Kehlkopf. Vergebens rang er nach Atem, spürte lediglich pochenden Schlag im Brustkorb. Das Herz machte angstvollen Sprung, schien aus regelmäßigem Gang geraten, raste wild getrieben los. Todesangst riss letzten Willensrest fort. Dann wich die Sperre überraschend.

Noch immer grinste Gundram. Die Hand von der Kehle genommen, ließ er sie weiterhin drohend davor schweben. Harte Augen verrieten gleißend, wie wenig Scheu er fühlte. Sollte Erfried Widerstand wagen, seine Pläne durchkreuzen, ersticke er gnadenlos. Aber Widerstand gelänge sowieso nicht, weil Gundram offenbar stets vorher wusste, was Erfried gerade tun wollte.



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